Deutsche Geschichte: Die Gesellschaft braucht Erinnerungsorte der Demokratie
Hambach, Frankfurt Rastatt, Weimar: Die Bundesregierung beschließt die Gedenkstättenkonzeption "Orte der deutschen Demokratiegeschichte". Aber die Forschung hinkt hinterher.
Die Kranzniederlegung von Bundespräsident Steinmeier auf dem Friedhof der Märzgefallenen war unlängst eine recht einsame Veranstaltung. Sicher, das lag am Corona-bedingten Versammlungsverbot – aber es hatte Symbolcharakter. Denn der 18. März, der Gedenktag der Revolution von 1848, wird zwar alljährlich begangen, aber im öffentlichen Bewusstsein ist er nicht. Die Geschichte der Demokratie in Deutschland, zu der die Ereignisse von 1848/49 einen Meilenstein bilden, hat es im kollektiven Gedächtnis schwer. Andere, düstere Erinnerungen überwiegen.
Das eine kann nicht gegen das andere aufgewogen werden. Aber dass die Geschichte der Demokratie stärker konturiert zu werden verdient, steht – nicht zuletzt angesichts zunehmender antidemokratischer Tendenzen in der bundesdeutschen Gesellschaft – außer Frage. Geschichte braucht Anschaulichkeit. Die lieux de mémoire, die Erinnerungsorte einer Nation, mögen vielfach geistiger Natur sein; doch auch dann binden sie sich zumeist an konkrete Örtlichkeiten, an Stätten geschichtlicher Ereignisse.
Die Frankfurter Paulskirche ist ein herausragender Ort der deutschen Demokratiegeschichte. Hier tagte 1848/49 die Nationalversammlung; ihre Abgeordneten gingen aus freien und gleichen Wahlen hervor. Die Paulskirche ist baulich in schlechtem Zustand, ihre Restaurierung steht an. Die Stadt Frankfurt als Eigentümerin und ihre Politiker behandeln die Entscheidung darüber in unerschütterlicher Ignoranz als lokale Angelegenheit. Das ist sie mitnichten.
Womöglich verändern sich die Gewichte mit der Gründung der Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“. Das Errichtungsgesetz wurde im März auf den parlamentarischen Weg gebracht. Zu dessen inhaltlicher Bestimmung hat das Bundeskabinett vergangene Woche ein „Rahmenkonzept“ aus dem Haus der Kulturstaatsministerin (BKM) verabschiedet. Darin wird die Stiftung als eine Art Koordinierungsstelle beschrieben.
Ratlosigkeit über geeignete Maßnahmen
Als bestehende „Orte der Demokratie“ werden neben der Paulskirche, in historischer Reihenfolge, aufgeführt: das Hambacher Schloss (1832), der Friedhof der Märzgefallenen (1848, aber auch 1918), Schloss Rastatt (1849) sowie das erst 2019 eröffnete Haus der Demokratie in Weimar gegenüber dem Nationaltheater, in dem 1919 die Verfassung der Weimarer Republik erarbeitet wurde.
Als museale Einrichtungen kommen selbstverständlich das Deutsche Historische Museum in Berlin und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn hinzu. Das allmählich im Bau befindliche Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal wird ebenfalls genannt. Es spricht eine gewisse Ratlosigkeit aus dem Satz, mit ihm sollten „geeignete Maßnahmen einhergehen, die sich der Vermittlung unserer Freiheits- und Einheitsgeschichte am Standort in Berlin wie auch auf geeigneten Plattformen im Internet annehmen“.
Anschließend verweist das Konzeptpapier auf Leipzig, wo mehrere Orte und Einrichtungen vorhanden sind, die die Demokratiegeschichte in der End-DDR zum Thema haben, etwa das „Museum in der Runden Ecke am Standort der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung“.
Allerdings unterscheiden sich alle genannten Einrichtungen nach Struktur und Trägerschaft. Es gibt Vereine und Stiftungen, bisweilen sind einzelne Bundesländer beteiligt, auch der Bund mischt mit; so ist Rastatt eine Außenstelle des Bundesarchivs. Dass das Weimarer „Haus der Demokratie“ gar beim Bundesjustizministerium angesiedelt ist, verstehe, wer will.
Entsprechend harsch fällt das Urteil des Konzeptpapiers aus: „Trotz vielfachen Engagements und zahlreicher Initiativen ist nicht zu erkennen, dass eine der bereits existierenden Einrichtungen in der Lage wäre, unabhängig sowohl von Eigeninteressen wie auch vom politischen Tagesgeschäft und zugleich wissenschaftlich basiert der Thematik ,Orte der Demokratiegeschichte’ deutlich neue und nachhaltige Impulse zu geben.“
Diskussionen um die Paulskirchen-Sanierung
Als Sitz der Stiftung wird ohne Wenn und Aber Frankfurt am Main bestimmt, „um nicht zuletzt im Kontext der ambitionierten Pläne für die Sanierung der Paulskirche und der Etablierung eines Hauses der Demokratie einen Schwerpunkt zu bilden, der dem Anliegen der Demokratiegeschichte in der gesamten Bundesrepublik die angemessene Aufmerksamkeit und Breitenwirkung in Verantwortung des Bundes verschaffen kann“.
Das Stiftungs-Konzept sucht die Entwicklung einzufangen, die sich bereits zuvor in Frankfurt aus der Diskussion um die Paulskirchen-Sanierung ergeben hat: dass nämlich ein in unmittelbarer Nähe – sei’s zu errichtendes, sei’s in einem Bestandsbau – unterzubringendes „Haus der Demokratie“ vonnöten ist, um darzustellen, was die Paulskirche in ihrer beim Wiederaufbau 1948 purifizierten Gestalt selbst nicht mitzuteilen vermag. Seit ihrem Wiederaufbau ist die Paulskirche eine nüchterne Raumhülle, genutzt für allerlei Veranstaltungen, aber nicht mehr erkennbar als der Ort des ersten frei gewählten, gesamtdeutschen Parlaments.
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Gewiss, die Paulskirche war seit den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs eine ausgeglühte Ruine. Doch mit dem Wiederaufbau wurde ihr jede Erinnerung an Revolution und Nationalversammlung ausgetrieben, zugunsten eines moralischen Imperativs – so in einem Wort der vier Wiederaufbau-Architekten über die neugeschaffene Raumfolge: „Wir wollten damit ein Bild des schweren Weges geben, den unser Volk in dieser seiner bittersten Stunde zu gehen hat.“ (nachzulesen in „Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie“, hrsg. v. Frankfurter Institut für Stadtgeschichte. Societäts-Verlag, Frankfurt/M., 15 €).
Die Forschung muss stärker gebündelt werden
Die Worte von 1948 sind ihrerseits historisch geworden. Selbstverständlich ist der Wiederaufbau der Paulskirche in der Zeit schlimmster Not unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der deutschen Demokratiegeschichte, aber weder der einzige noch der maßgebliche.
Dass die historische Forschung durchaus im Argen liegt, weiß auch das BKM-Konzeptpapier. „Zwar sind verschiedene Ereignisse, Akteure und Epochen bereits sehr gut untersucht, gleichwohl gibt es Forschungsdesiderate, beispielsweise zur Vor-und Frühzeit der Demokratiegeschichte, zur teilweise sehr verschiedenen Entwicklung in den deutschen Teilstaaten und Ländern oder zur Biografie herausragender Demokratinnen und Demokraten“, heißt es in aller Deutlichkeit. „Ausgebaut werden sollten eine übergreifende Betrachtung der Demokratiegeschichte und Vergleiche zwischen den Epochen, sodass längere Entwicklungslinien sichtbar werden.“
Eine im Papier benannte, lediglich als Verein konstituierte „Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte“ kann da kaum mehr sein als ein erster Versuch, Forschung anzuregen und zu bündeln. Gegenüber den gut ausgebauten Einrichtungen zur Erforschung der dunklen Kapitel deutscher Vergangenheit bedarf das zarte Pflänzchen Demokratiegeschichte noch erheblicher Pflege, um gleichermaßen Früchte zu tragen.
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