Thomas-Mann-Villa in Los Angeles: Die Geburtsstätte des "Doktor Faustus"
Vorne Pazifik, hinten Hollywood: Die Thomas-Mann-Villa in Los Angeles ist fast gerettet, der deutsche Staat steht an erster Stelle der Kaufinteressenten. Das Haus könnte zur Künstlerresidenz werden.
Thomas Mann vor der wunderschönen Palme im Garten seines Hauses am San Remo Drive in Pacific Palisades – dieses Foto von Florence Homolka, einer Tochter von Agnes Meyer, die den Bau finanziell abgesichert hatte, ist die Ikone von „Deutsch-Kalifornien“, wie Golo Mann die Emigrantenkolonie am Pazifik nannte. Bis vor wenigen Tagen sah es so aus, als ob das nicht unter Denkmalschutz stehende Haus womöglich abgerissen wird – eine betrübliche Aussicht. Zum Glück wendet sich gerade das Blatt.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier stellte am Donnerstag im Bundestag die Rettung der Villa in Aussicht. Deutschland stehe im amerikanischen Bieterverfahren unter den Kaufinteressenten an erster Stelle, so der SPD-Politiker, der sich ausdrücklich bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters für ihr Engagement bedankte. Noch gehört die Villa nicht dem Bund, aber die Chancen stehen gut.
Das schönste Haus der Manns
Wer das seltene Glück hatte, das Haus der Manns einmal von innen zu sehen, der konnte nur darüber staunen, dass der elegant-moderne Entwurf des Architekten Davidson im Bauhausstil Thomas Mann damals überzeugt hatte. Es war ein Bau auf Bestellung: Der 1941 von Princeton an die Westküste gezogene Nobelpreisträger hatte ihn in Auftrag gegeben. Katia Mann hielt das Anwesen am San Remo Drive – die „San Remi“, wie man in der Familie sagte (in München hatte man die Villa in der Poschingerstraße nur „Poschi“ genannt) – für das schönste Haus, das die Manns je bewohnten.
Und wie ist es den anderen kalifornischen Wohnstätten der vor den Nazis geflüchteten Emigranten ergangen? Etwa dem Holzfassadenhaus von Brecht im hinteren Santa Monica, in dessen Nähe sich auch das schlichte zweistöckige Wohnhaus befindet, in dem Heinrich Mann starb? Oder das sonderbar geformte Refugium von Emil Ludwig? Und natürlich die wunderbare Villa von Lion und Marta Feuchtwanger, jenes geräumige Haus im dekorativ-spanischen Stil, das heute als Villa Aurora Stipendiaten beherbergt.
Der hartnäckige Villenbesitzer Thomas Mann hätte auch diese Villa haben können, er fand sie aber zu verkommen. Der Bau aus dem Jahr 1928 hatte lange Zeit leer gestanden, der Garten war verwildert, das Gebäude ziemlich verdreckt, als die Feuchtwangers es im Jahr 1943 für 9000 Dollar erwarben.
Die Villa Aurora als deutsch-amerikanisches Kulturzentrum
Es bedurfte des guten Auges von Marta Feuchtwanger, um den Wert des Hauses zu erkennen. In wochenlanger Arbeit und mit nur wenig Unterstützung machte sie es bewohnbar – prompt sprach auch Thomas Mann anerkennend vom kleinen Schloss am Meer. Das Haus hatte damals keinen Namen; die Bezeichnung Villa Aurora kam erst 1985 auf, als die Universität von Süd-Kalifornien, die es nach Lion Feuchtwangers Tod samt Inhalt (Papiere, Manuskripte, Bücher, Kunstgegenstände) erbte, es meistbietend verkaufen wollte – Marta Feuchtwanger blieb es gleichwohl auf Lebenszeit zur Nutzung überlassen.
Der Name passte zur neuen Funktion der Villa seit 1996 als deutsch-amerikanisches Kulturzentrum, Stipendiaten-Wohnhaus, Begegnungszentrum und repräsentativer Ort für Veranstaltungen wie die jährliche Oscar-Party der Deutschen. Damit diese Nutzung möglich wurde, war viel Geld für den Umbau nötig, denn als Marta Feuchtwanger 1987 starb, war alles in sehr schlechtem Zustand. Das Haus musste unterkellert und erdbebenfest gemacht, die Küche modernisiert, der Garten saniert, der Garagenkomplex erweitert werden. Auch das Archiv musste in jahrelanger Kleinarbeit erst geschaffen werden.
Umfangreiche Bauarbeiten werden nötig
Der Vergleich mit der Villa Aurora offenbart das Problem mit dem Haus der Manns am San Remo Drive. Innen hat es kaum noch etwas mit dem Zustand von 1952 zu tun, als die Manns, amerikanische Staatsbürger seit 1944, nach Europa zurückgingen und in die Schweiz übersiedelten.
Viele Umbauten sind seither erfolgt, vom Mobiliar ist nichts erhalten und das Arbeitszimmer von Thomas Mann, in dem „Doktor Faustus“ entstand, ist zu einem banalen Wintergarten geworden, seit man die Rückwand entfernt hat. Der Schreibtisch, der gepolsterte Arbeitsstuhl, das helle kalifornische Sofa mit den Tintenflecken, der Teewagen, der als Ablage diente, die Gemälde, all das befand sich bis vor Kurzem im altehrwürdigen Bodmer-Haus in Zürich, mitsamt dem Thomas-Mann-Archiv. Aber nun ist dort ein Umzug angesagt, die Bestände wurden vorübergehend in den Vorort Höngg ausgelagert, und wo sie auf Dauer bleiben werden, ist noch völlig offen.
Versetzt man sich in Gedanken zurück in die kalifornische Villa Thomas Manns, so ahnt man, dass sich das Arbeitszimmer seinerzeit zwar wie ein großes Aquarium mit hohen Glaswänden ins Grün des Gartens vorschob, aber keinen Blick in die Landschaft ringsum freigab. Dem Vergleich mit dem Ausblick von der Hanglage der Villa Aurora hielte er ohnehin stand. Von deren Terrasse überschaut man in Richtung Südosten fast die gesamte Bucht von Santa Monica.
Auch am Thomas-Mann-Haus werden umfangreiche Bauarbeiten nötig, wenn man es nutzen will; als Veranstaltungsort ist es kaum geeignet, es liegt auch etwas abgelegen, auf halber Strecke zwischen Pazifik und Hollywood, oberhalb des Sunset Drive. Das muss man sich vor Augen halten, ehe man sich um die großen Summen bemüht, welche Ankauf, Erhalt und Umbau erfordern würden.
Feuchtwanger-Archiv auch mit Nachlässen von Heinrich Mann
Von Deutsch-Kalifornien bleibt zudem ein anderer großartiger Schatz, der erst in Ansätzen gehoben ist: das Exilarchiv in der Universität, gemeinhin Feuchtwanger-Archiv genannt. In Wahrheit handelt es sich um den Aufbewahrungsort für die Nachlässe auch von Heinrich Mann, Ludwig Marcuse und anderen Emigranten. Das Archiv wird sorgsam verwaltet, wenn auch personell mit unzureichenden Mitteln. Und es wird von Europa her kaum genutzt, da Anreise und Aufenthalt kostspielig sind. Die Archivalien werden in einem Bunker außerhalb des Campus aufbewahrt und müssen bis zum Lesesaal in der Doheny Library transportiert werden – auch das ein problematischer Zustand.
Es wäre wünschenswert, dass dieses Archiv nach Europa käme, vielleicht als Grundstock des von Herta Müller vorgeschlagenen großen Exilarchivs, und sei es in digitalisierter Form. Ob die wertvolle Bibliothek von Lion Feuchtwanger dann ebenfalls den Standort wechseln sollte, wäre zu überlegen. Die Verlagerung des Archivs nach Deutschland wäre in jedem Fall die günstigere und vor allem nachhaltigere Lösung. Und was die Nutzung von „San Remi“ betrifft, spricht das Außenministerium inzwischen von einer Nutzung als Künstlerresidenz, eine gute Idee. Womöglich, so heißt es aus dem Hause Steinmeier, lässt sich ein Verbund mit der nahe gelegenen Villa Aurora eingehen.
Manfred Flügges Buch „Das Jahrhundert der Manns“ erscheint im Oktober in einer überarbeiteten Fassung als Taschenbuch im Aufbau Verlag.
Manfred Flügge
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