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Alte Schule. „Washington Post“-Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) und seine Verlegerin (Meryl Streep).
© Niko Tavernise/Fox

Steven Spielbergs „Die Verlegerin“: Die freie Presse ist das höchste Gut

Brandaktuell: Steven Spielbergs Journalismus-Thriller „Die Verlegerin“ über die Enthüllung der Pentagon-Papiere. Mit Meryl Streep als „Washington Post“-Herausgeberin.

Zwei Geschichten stecken in Steven Spielbergs Journalismus-Thriller „Die Verlegerin“ über die Enthüllung der Pentagon-Papiere Anfang der Siebzigerjahre. Welchem Aspekt man mehr Gewicht beimisst, hängt maßgeblich davon ab, von welcher Seite des Atlantiks man auf den Fall blickt. Wie unterschiedlich die beiden Perspektiven sind, drückt sich schon in den Schwerpunkten aus, die die jeweiligen Filmtitel setzen.

Spielbergs Film heißt im Original lapidar „The Post“. Die „Washington Post“ war bei den Enthüllungen des geheimen Dossiers über die militärischen Ziele in Südostasien, die von den Regierungen Harry Trumans bis Lyndon B. Johnsons getragen wurden, zwar nicht federführend, die Geschichte erschien zuerst in der „New York Times“. Sie bezog aber publizistisch Stellung, als der damalige Präsident Nixon und das Justizministerium die Veröffentlichung weiterer belastender Dokumente unter Strafandrohung zu verhindern versuchten. „Post“-Chefredakteur Ben Bradlee widersetzte sich der Anordnung aus dem Weißen Haus, ein gutes Dutzend Tageszeitungen folgte seinem Beispiel und berichtete ebenfalls über die Pentagon-Papiere. Der Oberste Gerichtshof erklärte schließlich die Pressefreiheit zum höchsten demokratischen Gut. Der mediale Coup machte die Lokalzeitung „Washington Post“ über Nacht zu einer nationalen Institution, die kurz darauf Watergate aufdeckte und „Tricky Dicky“ Nixon zum Rücktritt zwang.

Der Fall hat natürlich brennende Aktualität in einer Zeit, in der im Weißen Haus ein Präsident sitzt, der die „Fake Medien“ zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt. Die Enthüllungen der Pentagon-Papiere besitzen aber noch andere Facetten; die nicht minder faszinierende Geschichte des Whistleblowers Daniel Ellsberg etwa, der die Dokumente der „Times“ zuspielte, unterschlägt Spielberg weitgehend.

„Die Verlegerin“ ist viel zu lange Hanks’ Film

In Deutschland kommt sein Film nun unter dem Titel „Die Verlegerin“ in die Kinos, er bezieht sich auf die „Post“-Herausgeberin Katharine Graham. Die 2001 verstorbene Graham entstammte einer alten Mediendynastie, sie war die erste Herausgeberin einer großen amerikanischen Zeitung. Es gibt somit eine politische und eine gesellschaftliche Dimension zu den Enthüllungen der Pentagon-Papiere, die Spielbergs Film in ein Verhältnis zu setzen versucht.

Dass die Politik in den Siebzigern eine männliche Domäne war, muss Spielberg dem Zuschauer regelrecht einhämmern. Zwei Frauen arbeiten im Newsroom der „Post“, eine von ihnen darf über die Hochzeit von Nixons Tochter berichten. „Die Verlegerin“ ist aber auch ein Film über zwei sehr unterschiedliche Temperamente, das gilt für die Figuren wie für die beiden Hauptdarsteller. Tom Hanks spielt Ben Bradlee gewohnt hemdsärmelig, Meryl Streeps Katharine Graham strahlt anfänglich noch eine gewisse Trutschigkeit aus. Beim Betreten eines Restaurants stolpert sie erst mal über einen Stuhl, ihre Redakteure empfängt sie zu Hause in wallenden Roben. Was Grahams Stellung im Amerika der frühen Siebzigerjahre bedeutete, überperformt Streep gelegentlich. Trotzdem ist „Die Verlegerin“ viel zu lange Hanks’ Film.

In Grahams sozialen Zirkeln treiben sich zwielichtige Gestalten herum. Der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara (Bruce Greenwood), ein Freund der Familie, gilt als Architekt von Kennedys Vietnamkrieg – und ist damit ein maßgeblicher Autor der Pentagon-Papiere. Im Aufsichtsrat wiederum sieht sich Graham mit einem old boys club von Anzugträgern konfrontiert, die die Krise der Zeitung ihrer schwachen Führung anlasten. Sie will die „Washington Post“ an die Börse bringen, ohne deren journalistische Integrität zu kompromittieren: „Die Qualität bestimmt die Profitabilität“, erklärt sie den Bankern und Anwälten.

Eigentlich ein Prequel

Immer muss sie sich gegen Männer behaupten, die es besser zu wissen glauben. Bradlee drängt sie, die Pentagon-Papiere zu veröffentlichen, ihre Anwälte warnen sie vor den juristischen Konsequenzen in der Auseinandersetzung mit einem Präsidenten, der nach dem Prinzip „Der Staat bin ich“ regiert. Graham steht vor einer schwierigen Entscheidung: Darf sie das Lebenswerk ihres Vaters für eine Geschichte opfern oder ist sie dem amerikanischen Volk die Wahrheit schuldig? Sie findet die Antwort, als sie die Männer um sie herum endlich zum Schweigen bringt.

Grahams Geschichte ist die interessantere der beiden, aber es dauert ewig, bis sie hinter dem Zigarettenqualm in den Konferenzräumen und der patinierten Old-School-Journalismus-Nostalgie zum Vorschein kommt. Die identitätsstiftenden Reden halten am Ende zwei Frauen: Graham über die Verantwortung der Vierten Macht im Staat, Bradlees Frau (Sarah Paulson) über Grahams Verantwortung für das Familienunternehmen und ihre Angestellten. Spielberg hat über die Jahre sein Pathoskino, das immer auf der richtigen Seite der Geschichte steht, perfektioniert, man muss ihn für seinen robusten Traditionalismus auch bewundern. Umso sympathischer, dass er sich dem modernen Erzählkino nicht abgeneigt zeigt. Sein Film endet mit einem Cliffhanger, der einer Marvel-Verfilmung würdig ist: in den Räumen des Watergate Hotels. „Die Verlegerin“ ist eigentlich ein Prequel.

In 23 Berliner Kinos. OV im CineStar Sony Center und Moviemento, OmU in Delphi LUX, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe Kino, Kino in der Kulturbrauerei, Odeon und Rollberg

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