Polanski, Finkielkraut und Haenel: Die französische MeToo-Debatte eskaliert
Eklat um Alain Finkielkrauts Fernsehauftritt, neue Anschuldigungen gegen Roman Polanski, Offenlegungen von Adèle Haenel. Die französische Filmszene bebt.
„Ich sage den Männern: Vergewaltigt die Frauen! Ich vergewaltige meine Frau übrigens jeden Abend!“ Das sagte der französische Philosoph und Journalist Alain Finkielkraut am vergangenen Mittwoch in einer Fernsehdiskussion und löste in der ohnehin derzeit hitzig geführten MeToo Debatte einen Shitstorm aus.
Die Feministin Caroline de Haas hatte in der vom Nachrichtensender LCI organisierten Diskussion mit der Frage, welche Meinungen öffentlich geäußert werden dürften, Finkielkraut vorgeworfen, Roman Polanski zu verteidigen und Vergewaltigungen zu banalisieren. Der sichtlich aufgebrachte Intellektuelle reagierte, wie oben zitiert, mit grimmiger Ironie und dieser geschmacklosen Bemerkung.
In den sozialen Netzwerken hingegen wurde der ironische Kontext entfernt, so als rufe der Siebzigjährige hier allen Ernstes zur Vergewaltigung auf. Jetzt fordern einige, France Culture müsse Finkielkraut entlassen, wo er die wöchentliche Sendung „Répliques“ betreut. Und es wird darüber diskutiert, ob man sich in öffentlichen Debatten überhaupt noch Ironie leisten kann.
Finkielkraut, der sich immer wieder für Roman Polanski eingesetzt hatte, sprach drei Tage später in seiner Traditionssendung über das Filmwerk Woody Allens. Kritisch setzte er sich mit einem New Yorker Filmjournalisten auseinander, der in der Rückschau auf Allens Filme Indizien für die vermutete Pädophilie des Regisseurs ausgemacht hatte.
Lassen sich Werk und Privatleben des Künstlers voneinander trennen? Wird die Justiz der sexualisierten Gewalt gegen Frauen überhaupt gerecht? Auf beide Fragen antworten z.B. Finkielkraut und französische Feministinnenverbände völlig unterschiedlich.
Vorführungen von Polanskis neuem Film wurden abgesagt
Auch deshalb sprengten Feministinnen am Samstagabend im bretonischen Rennes eine Filmvorführung von Roman Polanskis neuem Film „J’accuse“, um den bereits bei seinem Festivalauftritt in Venedig im Spätsommer eine Debatte entbrannt war. Polanski, gegen den neuen Vergewaltigungsvorwürfe laut wurden, hatte sich am Ende seines Films über die Dreyfus-Affäre mit dem zu unrecht beschuldigten jüdischen Offizier gleichsetzt.
Der war übrigens in Rennes inhaftiert, genau da, wo heute das Theater steht, dessen Leiter Arthur Nauzyciel nach Diskussionen mit den Aktivistinnen die Filmvorführungen am Wochenende absetzte, in diesen Tagen aber doch wieder im Programm hat: „Noch nie habe ich darüber nachdenken müssen, das Werk eines anderen Künstlers zu zensieren, nicht wegen seiner Arbeit oder deren Inhalten, sondern wegen der Taten, die er begangen haben soll“, schreibt Nauzyciel in einer Mitteilung des für die französische Theaterlandschaft bedeutsamen Theaters.
Die französische Filmszene bewegt sich weiter
Im Streit um sexualisierte Gewalt und Missbrauch von Filmkünstlern hatte sich zu Beginn des Monats die Schauspielerin Adèle Haenel geäußert, die derzeit in „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ auf der Leinwand zu sehen ist. Zwölfjährig hatte sie in einem Film von Christophe Ruggia vor der Kamera gestanden. In einem einstündigen Video der Investigativplattform Mediapart beschuldigt sie den Regisseur, beklagt die Omertà, das Schweigen ob der Übergriffe in der Filmszene.
Mediapart hatte in einer Recherche mit Beteiligten der neunzehn Jahre zurückliegenden Dreharbeiten die Beschuldigungen erhärtet. Christophe Ruggia ist aus dem Regieverband (SFR) ausgeschlossen worden, sein Produzent hat ein laufendes Projekt auf Eis gelegt.
Und die französische Filmszene bewegt sich weiter: Am Montagabend hat der Verwaltungsbeirat der Gesellschaft der Autoren, Regisseure und Produzenten (ARP) das Ruhen der Mitgliedschaft beschlossen, wenn gegen Mitglieder wegen sexueller Übergriffe ermittelt wird, und den Ausschluss bei solchen, die rechtskräftig verurteilt wurden.
Das wird Roman Polanski betreffen. Den französischen Kinoerfolg seines „J’accuse“, der im Januar in deutsche Kinos kommen soll, hat das nicht beeinträchtigt. Er läuft seit einer Woche in 545 Kinos und ist statistisch der siebtbeste Filmstart einer französischen Produktion des Jahres 2019.
Eberhard Spreng