Hommage für Anita Berber im Bethanien: Die Fieberträumerin
Anita Berber war eine der radikalsten Tänzerinnen der Weimarer Republik. Nun feiert MS Schrittmacher sie im Kunstquartier Bethanien mit einer Hommage.
In seinen „Erinnerungen an Anita Berber“ schreibt Klaus Mann: „Nachkriegserotik, Kokain, Salomé, letzte Perversität: Solche Begriffe bildeten den Strahlenkranz ihrer Glorie. Nebenbei wussten die Kenner, dass sie eine ausgezeichnete Tänzerin war.“ Der Text erschien 1930 in „Die Bühne“, zwei Jahre nach dem Tod von Anita Berber. Er beschreibt die düstere Faszination, die die Tänzerin auf den damals 18-jährigen Jüngling ausübte. Sie soll ihn sogar zu einer Menage à trois verführt haben.
Klaus Mann liefert überdies eine glänzende Analyse des Phänomens Anita Berber: „Gewiß ist das Zeitbedingte, ja das Soziologische an dieser Lebenshistorie wichtig und interessant: wie das vom Inflationsfieber verzehrte Deutschland den Exhibitionismus dieser genialen Frau feiert, bezahlt, auf den Thron hebt; während gleichzeitig die hinter dem Fieber stark gebliebene Bürgerlichkeit ihrer Unmoral das Todesurteil spricht.“
Die Tanzikone der zwanziger Jahre, die mit 29 Jahren starb, wird nun wiederentdeckt. Der Choreograf Martin Stiefermann und MS Schrittmacher laden zu einer zehntägigen Hommage an Anita Berber – und zwar an ihren Sterbeort, dem früheren Krankenhaus Bethanien. Stiefermann ist schon in den achtziger Jahren auf die „Inflationstänzerin“ gestoßen – durch die erste Berber-Biografie von Lothar Fischer und einen Film von Rosa von Praunheim. „Mich hat sofort interessiert: Was hat sie denn gemacht als Choreografin? Was ist hinter dieser Ikone?“, sagt Stiefermann. Man merkt, wie sehr er Feuer gefangen hat. Schon damals hegte er den Wunsch, sich intensiver mit dieser Figur auseinanderzusetzen. Durch eine Förderung vom „Tanzfonds Erbe“ konnte er das Projekt jetzt realisieren. Allerdings wusste Stiefermann anfangs nicht, auf was für er ein Abenteuer er sich einlässt – und dass ihn das Anita-Berber-Fieber so packen würde.
Sex, Drogen und Skandale, darauf wird Anita Berber gern reduziert. Was man von ihr weiß: Sie provozierte als Nackttänzerin und schockte mit den „Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase“. Otto Dix stand sie hüllenlos Modell. Sein berühmtes Bildnis aus dem Jahr 1925 zeigt sie als ausgezehrten Vamp im roten Kleid. Das Porträt wurde nach 1933 als „entartet“ klassifiziert.
Sie war eine Stilikone. „Eine Zeit lang machten ihr in Berlin die mondänen Weiber alles nach. Bis aufs Monokel“, schrieb Siegfried Geyer. Sie war dreimal verheiratet – immer mit Schwulen – und hatte zahlreiche Affären sowohl mit Männern als auch mit Frauen. So liegt es nahe, sie zum Sinnbild für eine verkommene Epoche zu stilisieren oder in ihr eine Vorläuferin von Madonna und Lady Gaga zu sehen, die ja auch den Tabubruch suchen.
Um die schillernde Figur der Anita Berber ranken sich auch viele Mythen. Manches, was über sie kolportiert wird, stammt aus ihrem biografischen Roman „Tanz ins Dunkel“ von 1929. Martin Stiefermann wollte sich nicht mit der Legende zufrieden geben, also hat er sich vor mehr als zwei Jahren auf Spurensuche begeben. Der Choreograf, der früher einmal Archäologe werden wollte, hat mit seinem Team in den Archiven gegraben.
Anita Berber: Ich bin keine Nackttänzerin!
„O-Töne von Anita sind sehr rar“, erklärt Stiefermann. Es gibt einen Brief, den sie mit 18 Jahren an Erich Mühsam geschrieben hat, in dem sie seine Kritik reflektiert. Zwei Briefe an Otto Dix. Ein Interview mit einer Wiener Tageszeitung von 1922, wo Berber betont: „Ich bin keine Nackttänzerin“. „Nackt meint nicht nackt“, stellt der Choreograf klar. „Gemeint waren die Tänzerinnen vom Celly de Rheidt Ballett, die nur von einem Schleier verhüllt griechische Friese nachgestellt haben.“
Zwar gibt es die Fotos von den „Tänzen des Lasters“, Anita nackt vor ihrem ersten Partner Sebastian Droste kniend, in einer tiefen Rückbeuge. Oder im Mieder mit bloßen Brüsten in „Kokain“. Aber es gibt so gut wie kein Filmmaterial über ihre Tänze – abgesehen von einem Sekunden-Ausschnitt in Fritz Langs Film „Dr. Mabuse, der Spieler“. Verbessert wird diese dürftige Quellenlage durch einen überraschenden Fund im Anita-Berber-Archiv. Der tschechische Choreograf und Autor Joe Jencík beschreibt in „Anita Berberová – Studie“ einzelne Tänze ganz detailliert. „Das ist mein Joker!“, sagt Martin Stiefermann, der den Text aus dem Jahr 1930 nun im Klaus-Kieser-Verlag herausbringt.
Gemeinsam mit der Tänzerin Brit Rodemund hat Stiefermann auf der Grundlage dieser Studie ausgewählte Soli von Anita Berber rekonstruiert, etwa „Kokain“, „Morphium“ oder „Astarte“. Sie werden eigens in einer Lecture Performance gezeigt, „Da braucht es wirklich Erklärung, wie wir gearbeitet und die Stücke ins Heute geholt haben“, sagt Stiefermann.
Die wagemutige Künstlerin will er in den Fokus rücken, nicht die Skandalnudel. „Ich finde sie sehr radikal“, sagt Stiefermann. „Sie war eine der ersten im Tanz, die aus dem persönlichen Erleben geschöpft hat. Sie war selber kokain- und morphiumabhängig und hat darüber Soli gemacht.“
Die Sängerin Cora Frost gehört zu den Darstellerinnen
Martin Stiefermann hat die Performance „Anita Berber – Sie trägt die Nacktheit im Gesicht“ mit drei Darstellerinnen erarbeitet. Warum er dabei die beiden Tanzpartner der Berber – Sebastian Droste und Henri Châtin-Hofmann – unterschlägt? „Wir haben mittlerweile so viel Material zu Berber“ seufzt der Choreograf. „Wir würden nochmal eine Tür aufmachen, wenn wir den Droste hinzunehmen würden.“ Neben den Tänzerinnen Brit Rodemund und Maria Walser wollte er unbedingt auch Cora Frost dabei haben. „Ich habe angenommen, weil sich für mich ein Kreis schließt“, erzählt die Sängerin. Marianne Enzensberger hatte sie damals Rosa von Praunheim für seinen Film „Anita – Tänze des Lasters“ vorgeschlagen. Doch der lehnte ab. „Ich war ihm zu wenig extrovertiert. Aber durch ihn bin ich drauf gekommen.“ Frost klingt fast wie eine Seelenverwandte der Berber, wenn sie betont: „Der Tanz des Lebens und des Todes – das interessiert mich.“ Brit Rodemund ergänzt, dass sich die Tänze nicht in Exaltation erschöpfen: „Das kann bei ihr sehr expressiv und groß sein, das kann aber auch ganz klein und trotzdem radikal sein.“
Fünf Formate in zehn Tagen – ein ambitioniertes Projekt ist diese „Retro/Perspektive“. Parallel dazu hat Stiefermann einen Lehrauftrag an der FU Berlin . „Ich würde mich freuen, wenn noch einmal eine andere Auseinandersetzung mit Anita Berber passiert“, sagt er. Bislang galt Valeska Gert als die radikale Tänzerin – und die Berber eher als exzentrisches Demi-Monde-Geschöpf oder Hohepriesterin der Dekadenz. Es ist Zeit für eine Neubewertung.
„Anita Berber Retro/Perspektive“, 18. bis 29. Juni im Kunstquartier Bethanien, Studio 1. Tanzperformance „Anita Berber – Sie trägt die Nacktheit im Gesicht“: Premiere 18.6., 20 Uhr (außerdem 20.,21., 25. - 28.6., 20 Uhr); Lecture Performance am Do 19.6., 20 Uhr (außerdem 22. u. 29.6., 18 Uhr) Infos: www.msschrittmacher.de
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