Neues vom Drachenreiter: Die Fabel der Welt
Beschützen und erhalten: Cornelia Funkes zweiter Drachenreiter-Roman „Die Feder eines Greifs“.
Es ist gut möglich, dass spontane, gänzlich unvorbereitete Leser und Leserinnen – insbesondere solche, die mit der literarischen Welt von Cornelia Funke nicht so vertraut sind – zu Beginn der Lektüre ihre Schwierigkeiten haben mit diesem Buch, mit „Die Feder eines Greifs“. Hier ein Drache, der Lung heißt, dann noch einer namens Schieferbart und dort Ben, ein „drachenreitender Junge“ mit einer Adoptivfamilie, bestehend aus Vater Barnabas, Mutter Vita und Schwester Guinver. Und schwups kommt auch noch die Koboldin Schwefelfell vorbei, springt der Homunkulus Fliegenbein aus Bens Jackentasche, fliegt ein Nebelrabe um alle herum und wird ein Fjordtroll vorgestellt: Hothbrodd, der wiederum alle Gebäude dieses fabelhaften, wunderschönen, verwunschenen Ortes Mimameidr an einem Fjord irgendwo in Norwegen gebaut hat.
Ja, es ist viel Personal auf einmal – allerdings nicht für jenes Funke-Publikum, das vor fast 20 Jahren schon ihren Erfolgsroman „Drachenreiter“ verschlungen hat und alle diese Fabelwesen und die paar Menschen lange kennt. Funke hat sich viel Zeit gelassen für eine Fortsetzung. Viel anderes war zwischendrin zu tun, etwa das Verfassen ihrer noch erfolgreicheren „Tintenwelt“-Trilogie oder der „Wilden-Hühner“-Bücher. Womöglich musste Funke sich selbst erst wieder vertraut machen mit ihrer Drachenreiter-Mimameidr-Welt. So braucht es ein paar Warmlaufkapitel, um die Szenerie aufzubauen, weitere Figuren einzuführen und die Geschichte in Gang zu bringen.
In deren Zentrum steht die Rettung dreier noch nicht aus ihren Eiern geschlüpfter Pegasus-Fohlen, deren Mutter gestorben ist und deren Vater Anemos, der letzte seiner Art, mit den Eiern nach Mimameidr kommt, „halb wahnsinnig vor Verzweiflung“. Um die Eier zum Wachsen und die Fohlen zum Schlüpfen zu bringen, braucht es den Speichel der Mutter – oder die Sonnenfeder eines Greifs, eines Löwenvogels mit Schlangenschwanz, dessen Kiele eine Substanz enthalten, die selbst Metall und Stein wachsen lässt. Nur: Die Greife sind schwer aufzuspüren; sie wohnen irgendwo auf den tausend mal tausend Inseln Indonesiens. Schlimmer noch: Sie sind das Böse schlechthin und verachten jede Kreatur. So auch den Menschen, dem sie den Krieg erklärt haben als Reaktion auf die zwei großen „G“s, welche die Menschheit nun mal ausmachen: „Gier und Größenwahn“.
Cornelia Funke schreibt in ihrem Intro, ganz greifengemäß, dass sie ihre zweite „Drachenreiter“- Geschichte nicht für die geschrieben habe, „die den Menschen für die Krone der Schöpfung halten“, sondern „für all die, die den Mut haben, zu beschützen statt zu beherrschen, zu behüten statt zu plündern und zu erhalten statt zu zerstören“.
Diese Sendung ist ihrem Roman deutlich eingeschrieben, auch ihrem Personal. Das beweist mitunter einen gewissen Humor bei all der sich entwickelnden Dramatik, kann aber doch stets klar einer Seite zugeordnet werden: der guten oder der bösen. Freefab heißt zum Beispiel eine Organisation, die Bens Adoptivvater Barnabas Wiesengrund gegründet und die sich dem Schutz bedrohter Tierarten und Fabelwesen wie der letzten Pegasus-Familie verschrieben hat.
Es fehlt die latente Düsternis
Die Landschaften Norwegens, Indonesiens oder des „Saums des Himmels“, die Funke gewissermaßen malt, die Zeichnung ihrer Fabelwesen und mythologischen Figuren,ihre Buntheit und Vielgestaltigkeit: All dies lässt einen oft an die Welt von Tove Jansons Mumins denken – und das durchaus gern.
Doch, es macht wirklich Spaß, diesen Roman zu lesen. Nur fehlt der „Feder eines Greifs“ jedes indifferente Moment, jede latente Düsternis. Da kann Kraa, der fiese Anführer des Greifenschwarms auf Pulau Bulu, noch so finster sein und Geschäfte mit den Wilderern machen. Schließlich ist man ganz verblüfft, dass auf der Greifeninsel tatsächlich einer existiert, der eine Art Wanderer zwischen den Welten ist: Shrii. Der lehnt das Regiment seines Onkels Kraa rundweg ab. Als Greif ist Shrii ein Guter, ein Öko, wenn man so will, dem seine Insel und ihre Naturwüchsigkeit eine Herzenssache ist und der, von Kraa gefangen, diesem vorwirft, nur deren Ausbeutung im Sinn zu haben: „Jeder Käfer auf dieser Insel ist nützlicher, jeder Fisch im Ozean. Du bist ein Parasit, Kraa!“
Es kommt zum Kampf zwischen dem Drachen Lung und Kraa, zu einer Rebellion der Greife, und am Ende, klar, wird alles gut. Und Ben, der Drachenreiter, fragt seinen Freund Fliegenbein: „Wen retten wir als Nächstes?“ Was auch heißt: Cornelia Funke arbeitet literarisch weiter am Projekt zur Rettung der Welt.
Cornelia Funke: Die Feder eines Greifs. Roman. Dressler Verlag, Hamburg 2016, 415 Seiten, 18,99 Euro. Ab zehn Jahren.
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