zum Hauptinhalt
Dem Deutschen Volke - der Bundestag ist die gewählte Volksvertretung.
© Michele Tantussi/REUTERS

Gewaltenteilung in Gefahr: Die Exekutive hat derzeit extreme Macht, das darf nicht von Dauer sein

Justiz und Parlamente können derzeit nicht richtig arbeiten. Das ist eine Gefahr, denn die Exekutive darf nicht durchregieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

In der Coronakrise ist der starke Staat gefragt. Damit beherrscht die Exekutive das Geschehen. Bundes- und Länderregierungen treffen täglich Entscheidungen, die tief in die Grundrechte der Bürger eingreifen: Das Grundrecht auf Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, das Recht auf Berufsausübung. 

Die jetzt geltenden Einschränkungen dieser Freiheiten wären noch vor kurzem undenkbar gewesen. Ebenso wie die Bereitstellung von „Bazooka“-Rettungspaketen in Milliardenhöhen.

Über aktuelle Entwicklungen zum Coronavirus berichten wir in unserem Liveblog. Zu den Nachrichten, die Berlin betreffen, führen wir einen eigenen Blog

Bisher hat die Bevölkerung größtenteils das Vertrauen, dass diese Einschnitte, den Empfehlungen von Virologen folgend, sinnvoll zum Schutz unserer Gesundheit und rechtens sind. 

Doch je länger diese Auflagen dauern und je gravierender sie möglicherweise noch ausfallen, desto mehr wird sich die Frage nach deren Legitimität und Verhältnismäßigkeit stellen.

Wer soll die Regierung kontrollieren, wenn die Parlamentarier in Quarantäne sind?

Doch wer fragt und kontrolliert das Regierungshandeln? Das sind eigentlich zunächst der Bundestag und die Landesparlamente sowie die unabhängige Justiz. Doch diese sind genauso betroffen von der Pandemie, die ihre Arbeitsfähigkeit einschränkt: So bangt der Bundestag, immerhin eine Versammlung von mittlerweile 709 Volksvertretern, um seine Funktionsfähigkeit. 

Viele Abgeordnete sind bereits in häuslicher Quarantäne und können nicht an Abstimmungen teilnehmen. Die Sitzungswoche des Bundestages wurde verkürzt, die meisten Themen von der Tagesordnung genommen bis auf Entscheidungen zur Coronakrise und zu Auslandseinsätzen, deren Mandate auslaufen. Auch Gerichte reduzieren ihre Arbeit drastisch.

Bisher haben wir keine Verfassungskrise, sondern eher ein technisches Problem. Wie können Abläufe so organisiert werden, dass die Parlamente und Gerichte weiterarbeiten, ohne ihre Mitglieder in gesundheitliche Gefahr zu bringen. Der Bundestag will seine Geschäftsordnung temporär ändern, so dass er schon bei Anwesenheit von 25 Prozent der Abgeordneten beschlussfähig ist - um die Mehrheitsverhältnisse zu wahren, sollen alle Fraktionen dann entsprechend weniger Abgeordnete zur Abstimmung schicken.

Noch verbreitet das Bundesverfassungsgericht Normalität

Auch das Bundesverfassungsgericht verbreitet noch relative Normalität: So hat es gerade in einer Eilentscheidung die Beschwerde von zwei Anwälten abgelehnt, die erzwingen wollten, Strafprozesse wegen der Corona-Ansteckungsgefahr auszusetzen. Allerdings prüft das Justizministerium nun eine Verlängerung der Unterbrechung von Strafprozessen.

Doch die Lage verändert sich rasant schnell. Dann käme man womöglich auf die Idee, auf Notstandsregelungen zurückzugreifen, in denen für bestimmte Fälle ein Landtag durch ein Notparlament oder einen speziellen Ausschuss ersetzt werden kann. Diese Regelungen sind nach Ansicht von Verfassungsrechtlern allerdings problematisch. Da oft nicht genau definiert ist, in welcher Situation sie zur Anwendung kommen könnten. Daher müssen die Fraktionen in den Parlamenten kreativ und konstruktiv kooperieren und Wege finden, um ihre Arbeitsfähigkeit sicher zu stellen. Dies ist eine Reifeprüfung auch für unsere Parlamentarier.

Ministerpräsidenten müssen dem politischen Wettbewerb widerstehen

Und die Exekutive muss sicherstellen, dass sie ihre Macht mit Bedacht nutzt. Dies ist bisher meist der Fall. Ein austarierendes Element ist in diesem Fall sicher der Föderalismus. Zwar führt er einerseits zu Kakophonie, andererseits aber auch zu einer Arbeitsteilung zwischen Bundesregierung und Länderchefs. Letztere müssen der Versuchung widerstehen, Stärke um jeden Preis zeigen zu wollen, weil dies in Krisenzeiten Punkte bringt.

Die jeweiligen Regierungen könnten noch mehr und systematischer als bisher ihre Überlegungen und Entscheidungen erklären. Was spricht für die eine, was spricht für die andere Maßnahme? Wie wird der Erfolg gemessen? Was sind die Indikatoren, die erfüllt sein müssen, um Einschränkungen wieder aufzuheben?

Maximale Transparenz in Zeiten, wo Normalzustand und Ausnahmezustand ineinander zu fließen scheinen. Damit die Bürger folgen können, und sich nicht wie Untertanen fühlen. Denn dann könnten sie den Gehorsam verweigern. Daher dürfen und müssen Opposition, Medien und Öffentlichkeit sehr wohl die Politik der Exekutive hinterfragen. Denn die Pandemie ist eine gesellschaftliche Ausnahmesituation, das spüren wir alle. Aber er darf kein politischer Ausnahmezustand werden.

Zur Startseite