zum Hauptinhalt

Astronautinnendrama "Proxima" im Kino: Die Einsamkeit der Weltraumreisenden

Die großartige Eva Green spielt im Filmdrama „Proxima – Die Astronautin “ eine Mutter, die sich auf eine einjährige Weltraum-Mission vorbereitet.

.

Im Weltall fließen Tränen nicht, sie schweben. „Sie bilden kleine Kugeln aus Flüssigkeit“, erklärt Sarah (Eva Green) ihrer Tochter Sally (Zélie Boulant), wenn sie in ihrer Kapsel mit 28 000 km/h im Orbit kreist. Der Weltraum nimmt allem Irdischen seine Last, doch der dumpfe Schmerz der Abwesenheit wiegt schwer auf der Mutter.

Die Ingenieurin Sarah wurde für eine einjährige ISS-Mission im Rahmen des Mars-Programms der European Space Agency (ESA) ausgewählt, das Training beginnt in wenigen Tagen. Dann heißt es, Abschied nehmen. Das All, die final frontier der Menschheit, ist das Gegenteil von Leben: Es rieche nach Nichts, erzählt sie Sally in kurzen Videos aus der Quarantäne, man schmecke es nicht, und man fühle es auch nicht unter den nackten Füßen. Eine einzige große Schwärze.

Traurige Väter, die in den Weltraum aufbrechen, sind seit einigen Jahren ein beliebtes Topos im Science-Fiction-Kino Marke Hollywood. Einsame, einsilbige Männer, die unter den Sternen ihre Bestimmung suchen: ihr Seelenheil finden, ihre Familien retten – oder gleich die ganze Welt. Solche Aufgaben überlässt man den Vorzeigeexemplaren der menschlichen Spezies, einem Matthew McConaughey („Interstellar“), Brad Pitt („Ad Astra“) oder Ryan Gosling („First Man“).

Die Gegenerzählung zur Heldenreise

Alice Winocours „Proxima – Die Astronautin“ ist gewissermaßen die Gegenerzählung dieser Heldenreise. Science Fiction in dem Sinn, dass die französische Regisseurin die Ausbildung in der ESA zwar mit dokumentarischer Beobachtungsgabe einfängt - aber die Einsamkeit des Weltraumreisenden nicht wieder in traurigen Männeraugen reflektiert.

Sondern zum Beispiel im Bild eines kleinen Mädchens, das sich beim Herumstreunen in den Kulissen einer Mondsimulation verirrt. Im Tutu steht die achtjährige Sally zwischen Geröllhaufen und blickt auf eine Projektion des blauen Planeten.

So nah und doch getrennt: Stella (Zélie Boulant) darf ihre Mutter Sarah (Eva Green) in der Quarantäne besuchen.
So nah und doch getrennt: Stella (Zélie Boulant) darf ihre Mutter Sarah (Eva Green) in der Quarantäne besuchen.
© Koch Media

Wie Alfonso Cuaróns „Gravity“ (oder die „Alien“-Filme) dreht sich auch „Proxima“ um das Thema Mutterschaft – allerdings weniger im biologischen Sinn. Zwar muss auch Sarah die Entscheidung treffen, ob sie – aus praktischen Gründen – während der Expedition ihren Menstruationszyklus aussetzt (möchte sie nicht).

Sarah bietet komplizierten Männerfiguren Paroli

Aber die Fragen, die Winocour und ihr Ko-Autor Jean-Stéphane Bron verhandeln, berühren die zwischenmenschliche Ebene – wobei die Schwierigkeit, Familie und Karriere unter einen Hut zu kriegen, noch der am wenigsten interessante Aspekt des Films ist.

Ähnlich wie ihre Kollegin Céline Sciamma versteht es Winocour, die Sensorik zwischenmenschlicher Beziehungen visuell zu erkunden. Ob Sarah Sally zum Abschied badet oder Mutter und Tochter über Sprachnachrichten kommunizieren – während einer dieser Off-Monologe wird Sarah die Passform für einen Sitz im Shuttle gefertigt, sie verharrt in einer Art Embryonalstellung –, Georges Lechaptois’ Kamera findet immer einen sinnlichen Zugang, um das Gefühl von Intimität herzustellen.

[Alle wichtigen Updates des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Während einer Crew-Besprechung spielt Sarah unter dem Tisch mit den Füßen ihrer Mutter; oder zwischen Sarah und ihrem Ex-Mann Thomas (Lars Eidinger), der als Astrophysiker ebenfalls für die ESA arbeitet und sich angesichts ihrer einjährigen Dienstreise mit seiner ungewohnten Vaterrolle anfreunden muss. Thomas ist eine komplizierte Männerfigur, unterstützend, aber statusbewusst: „Ich bin immer einen Schritt weiter als Mama“, sagt er zu Sally einmal über seine Forschung, nur halb im Scherz.

Familienverhältnisse in hypnotischer Schwerelosigkeit

Die großartige Eva Green, die im US-Kino viel zu oft das Stereotyp der Femme Fatale bedienen muss, erträgt die subtilen Herabsetzungen, die Härte der Ausbildung, die Verlustangst mit undurchdringlicher Miene. „Proxima“ sondiert in hypnotischer Schwerelosigkeit Familien- und Arbeitsverhältnisse. Wie eine Frau in einer Männerwelt besteht: Matt Dillon spielt den amerikanischen Missionsleiter, der keinen Zweifel daran lässt, wer in seiner Abwesenheit für die Kindererziehung zuständig ist.

Und wie eine Mutter nach den Sternen greift: Nachts bricht Sarah heimlich aus der Quarantäne-Station aus, um in einer traumhaften Sequenz Sally die Rakete zu zeigen, die sie in den Weltraum bringt. Winocour hat ihren Film Frauen wie Sarah gewidmet: Im Abspann sind Bilder von Astronautinnen mit ihren Kindern zu sehen, vergessene Heldinnen.

Und so handelt „Proxima“ zwar vom Schmerz der Trennung, aber auch von der Erfüllung eines Lebenstraums. Männliche Kinohelden brechen in den Weltraum auf, um ihre Versäumnisse als Väter zu kompensieren, Sarah will ihrer Tochter ein Vorbild sein. Das Härteste sei ohnehin nicht die Reise, erklärt ihr russischer Kollege Sarah. Das Härteste sei die Rückkehr. Wenn man realisiert, dass auf der Erde das Leben auch ohne einen weitergeht. (Diese Woche bundesweit in den Kinos. In Berlin ab dem 1. Juli in den Kinos Kulturbrauerei, B-Ware!, Freiluftkino Hasenheide)

Zur Startseite