zum Hauptinhalt
Großer Schritt für die Menschheit. Neil Armstrong (Ryan Gosling) und die Apollo-Crew in „Aufbruch zum Mond“.
© Universal

"Aufbruch zum Mond" mit Ryan Gosling: Helden in Blechbüchsen

Zerreißprobe für Mensch und Material: "La La Land"-Regisseur Damien Chazelles Drama über Neil Armstrong, den ersten Menschen auf dem Mond.

Wie das donnert. Wie das rüttelt. Wie das ächzt. Die Kapsel gleicht einer Keksdose. Sie ist ein Relikt der mechanischen Ära, das mit einer plump vernieteten Metallhaut in das Weltall, ja in die Zukunft fliegt. Der Schub verzerrt die Gesichtszüge, lässt die Augäpfel des Astronauten wandern. Irgendwo da draußen muss doch irgendwas sein, woran der hilflose Blick sich festsaugen kann. Schnell und flach geht sein Atem. Angetan mit Helm und Schutzanzug und eingezwängt von Apparaturen wird das Atemgeräusch zur Metapher einer allzu fragilen Existenz.

Die Raumfahrt ist eine Zerreißprobe für Mensch und Material. Der Mensch im Orbit des Planeten, der Mensch auf dem Mond, das war in den sechziger Jahren nichts anderes als heute – eine Frage von Leben und Tod. Das hat jüngst wieder das Versagen der russischen Sojus-Rakete gezeigt. Das zeigt das lakonische Explosionsgeräusch („Plomp!“), das in „Aufbruch zum Mond“ nach einem Kabelbrand die Crew der Apollo 1 noch auf der Startrampe auslöscht.

Nie zuvor hat ein Weltraumfilm diese Zerreißprobe so sinnlich erzählt wie Damien Chazelles Porträt des Astronauten Neil Armstrong. Das detailversessene, absolut überwältigende Sounddesign von Ai-Ling Lee und Mildred Iatrou Morgan erinnert in seinem ebenso dröhnenden wie subtilen Schrecken an Wolfgang Petersens klaustrophobische Unterwasserelegie „Das Boot“ – und empfiehlt „Aufbruch zum Mond“ in dieser Sparte zwingend für einen Oscar.

Das Aufpflanzen der US-Fahne hat Chazelle ausgelassen

Dass Donald Trump Chazelles einigermaßen unheroisches Heldenporträt nicht im Kino anschauen möchte, wie er nach der Uraufführung des Films bei den Filmfestspielen von Venedig äußerte, weil der Regisseur bei der Mondlandung nicht zeigt, wie Neil Armstrong und Buzz Aldrin die US-Fahne in den Staub pflanzen, wird Chazelle verschmerzen können. Nach seinen mehrfach Oscar-prämierten Meisterwerken „Whiplash“ (2014) und „La La Land“ (2016) gilt der 33 Jahre alte, in Harvard ausgebildete Filmemacher als Hollywood heißestes Regietalent überhaupt.

Sein Film nach der autorisierten Armstrong-Biografie des Historikers James R. Hansen läutet gewissermaßen die Welle der zum Mondlandungs-Jubiläumsjahr 2019 anrollenden Veröffentlichungen ein. Neil Armstrongs epochale erste Schritte auf dem Erdtrabanten jähren sich am 21. Juli zum 50. Mal. Und tatsächlich bildet Armstrongs Laufbahn vom Testpiloten des Überschallflugzeugs X-15, mit dem er zum ersten Mal in den Orbit vorstößt und die Atmosphäre als verstörend schmalen hellblauen Ring um eine von Schwärze umgebene Erde erblickt, über die Gemini- bis schließlich zur erfolgreichen Apollo-11-Mission das chronologische Rückgrat von Chazelles mit dem fulminanten X-15-Flug startenden Film.

Doch wer glaubt, durch den smarten Schweiger Ryan Gosling in der Hauptrolle darüber aufgeklärt zu werden, aus welchem Stoff der „Astro Alex“ der Sechziger war, wird enttäuscht. Zwar ist Armstrongs Perspektive Chazelles konsequenter Dreh- und Angelpunkt, doch leider schaffen es weder er noch Gosling, ein Psychogramm des schon von Zeitgenossen als extrem introvertiert beschriebenen Weltraumfahrers zu erzählen. Als einziges Vehikel emotionaler Annäherung dient Armstrongs bis auf den Mond mitgeschlepptes Trauma der Trauer. Der Verlust seiner Tochter, die als Kleinkind an einem Tumor stirbt, erscheint in „Aufbruch zum Mond“ als eine ihn von aller Welt abschottende Wunde.

Was den Raumfahrer antreibt, verbergen seine Züge

Doch welche Motivation den Ingenieur zur lebensgefährlichen Astronautenkarriere treibt, bleibt hinter Ryan Goslings stoischen Zügen verborgen. Seine Söhne, die Kollegen und seine Frau Janet, die „The Crown“-Star Claire Foy mit blassblauem Melancholikerinnenblick spielt, kommen selten genug an ihn ran.

Überhaupt ist die Rolle der von der Nasa gern für werbeträchtige Fernsehauftritte der heilen Astronautenfamilie abkommandierten Ehefrau ein undankbares Geschäft. In gerade mal zwei Szenen darf Foy aus der Defensive kommen: Als sie bei der Nasa reinrauscht, um zu verlangen, dass der Lautsprecher wieder angestellt wird, mit dem sie den Funkverkehr zwischen der havarierten Gemini-Kapsel und dem Kontrollzentrum verfolgen kann. Und als sie von ihrem Ehemann verlangt, dass er seine Söhne vor dem Start von Apollo 11 erklärt, möglicherweise nie mehr zurückzukehren. Da war selbst in Ron Howards kreuzbravem „Apollo 13“ mehr Astronautenfamiliendrama zu sehen. Und das ist immerhin mehr als zwanzig Jahre her.

Und noch ein Thema verschenkt Chazelle durch die extreme Konzentration auf die Hauptfigur: die gesellschaftliche Dimension. Die von Vietnamkriegs- und Bürgerrechtsprotesten geschüttelten Sechziger geraten in den wenigen Fernsehausschnitten zur bloßen Staffage, in der ein Doppelgänger Gil Scott-Herons in einem kurzem Ausschnitt des Songs „Whitey on the Moon“ seinen Ärger über den Unsummen verschlingenden Raumfahrt-Patriotismus der US-Regierung zum Ausdruck bringt.

Der authentische Retrolook ist wichtig

Dass Chazelle aus diesem Sprengstoff so wenig macht, ist umso erstaunlicher, weil er beim Oberflächendekor besonders viel Wert auf den authentischen Retrolook legt: in der detailgetreuen Ausstattung, den Raumfahrtszenen, die Armstrong beim Navigieren mit Stift und Zettel zeigen. Bei der Optik, die teilweise mit grobkörnigem 16-Millimeter-Material arbeitet. Und in ruhigen, in Imax 65 gefilmten Mond-Totalen, die die Stille und Faszination des Alls erlebbar machen.

Dass der verbissen geführte und ideologisch zum Kampf der Systeme aufgeblasene Wettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion so unterspielt wird, ist allerdings auch ein Pfund von „Aufbruch zum Mond“. In den wenigen Szenen, die Neil Armstrong und seine Kollegen beim Feierabendtreff in ihren Vorstadtgärten zeigen, entsteht ein wahrhaft frappierendes Bild vom Stoff, aus dem die Helden tatsächlich sind: ein rustikaler Haufen von Ingenieuren mit Dosenbier in der Hand. Sie sind Pragmatiker, Rechenkünstler, Konstrukteure, keine Visionäre oder Top-Gun-Helden. Männer, die – so wie Neil Armstrong, der sich nicht durch sein schillerndes Ego, sondern durch sein ruhiges Krisenmanagement als Kommandant der Apollo 11 empfiehlt – als Teamarbeiter zur rechten Zeit das Richtige tun. Das ist trotz aller Verwunderung darüber, dass einem Könner wie Damien Chazelle keine packendere Astronautensaga gelingt, ein für Normalsterbliche verdammt tröstlicher Befund.

In 17 Berliner Kinos, OmU: Neues Off, Odeon, Hackesche Höfe, OV: Rollberg, Cinestar Imax, Cinestar Sony Center

Gunda Bartels

Zur Startseite