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Klare Kante. Walter Gropius entwarf das Bauhaus-Gebäude in Dessau.
© Reuters/Arnd Wiegmann

100 Jahre Bauhaus: Die Diagonale von Dessau

Zum Beginn des Jubiläumsjahrs: Hundert Jahre nach der Gründung bewegen das Bauhaus noch immer politische Konflikte.

Am nächsten Samstag „kommen 120 000 Nazis nach Dessau. Jedenfalls gibt es Keilereien. Das Bauhaus rechnet mit einigen kaputten Scheiben.“ Mit ungefähr diesem Szenario begründete das Bauhaus Dessau im Oktober vergangenen Jahres seine Entscheidung, die Punkband Feine Sahne Fischfilet dort nicht auftreten zu lassen. Und es erteilte dem linksradikalen Sender ZDF, dem eigentlichen Veranstalter, Hausverbot.

Nicht nur Kulturstaatsministerin Monika Grütters zeigte sich tief erschrocken. Niemals dürfe der Eindruck entstehen, dass der rechtsextremistische Druck ausreiche, um ein Konzert zu verhindern, mahnte sie. Die Öffentlichkeit merkte auf. So begann das Bauhaus-Jahr 2019 schon zwei Monate vorfristig und mit unverkennbarem Hang zum Gespenstischen. Schnee von gestern oder eher die Lawine von morgen?

Auch weil die politische Atmosphäre im Land der Zwanzigerjahre angeblich auf beunruhigende Weise zu gleichen beginnt. Man spricht vornehmlich mit dem Rücken zueinander. Aber was für ein rechtsextremistischer Druck? Was Monika Grütters nicht wusste: Das Dessauer Bedrohungsszenario bestand aus einem einzigen Tweet: „Patriotisches Köthen plant eine Aktion gegen den Auftritt.“ Das war alles.

Nein, keine 120 000 Nazis. Diese Nachricht ist nicht vom Herbst 2018, sie ist vom Juni 1932. Der Bauhaus-Student Martin Hesse hatte seinem Vater Hermann Hesse mitgeteilt, was unmittelbar bevorstand. Und da wird es nun doch interessant. „Wir als Bauhaus sind ein bewusst unpolitischer Ort“, ließ das Bauhaus noch am 18. Oktober 2018 bekräftigend verlauten, am Tag seiner Absage an die Freiheit der Kunst. Was weiß eine Institution, die so spricht, von ihrer eigenen Geschichte? Zumal das Bauhaus selbst als halber politischer Flüchtling in Dessau ankam. Es war 1925 vor den verbalen und pekuniären Feindseligkeiten der Weimarer Stadtväter geflohen.

Hermann Hesses jüngster Sohn Martin studiert in Dessau

Die Stiftung Bauhaus lebt vor allem von der Geschichte. Von etwas zu leben, von dem man nichts wissen will, ist eine große Misslichkeit. Vielleicht kann das Vater-Sohn-Gespräch im Hause Hesse von 1932 da erhellend wirken.

„Das Nest scheint ja keine Perle zu sein“, schrieb Hermann Hesse seinem jüngsten Sohn, dem Bauhaus-Studenten Martin Hesse aus der Schweiz. Martin teilte seinem Vater mit, dass er abstrakte Formenlehre bei Wassily Kandinsky höre, doch den Unterschied zwischen einer betonten und einer unbetonten Diagonalen noch immer nicht wirklich verstehe. Auch sei das Bauhaus viel zu politisch, schrieb er, um sich ganz auf abstrakte Formenlehre konzentrieren zu können.

Schon 1932 kamen die Nationalsozialisten im heutigen Sachsen-Anhalt an die Macht, und sofort stellten sie den Antrag, das Bauhaus, diesen „Schandfleck Dessaus“, diese „bolschewistische Hochburg“ abzubrechen. Was da durch die Stadt ging, war also, könnte man sagen, eine ungemein betonte Diagonale.

Andreas Mrosek mag das nicht gewusst haben. „Schandfleck Dessaus“? „Bolschewistische Hochburg“? Der Dessauer Stadtrat der AfD hatte sich am 17. Oktober 2018, am Tag, bevor das Bauhaus dem ZDF Hausverbot erteilte, um eine historische Einordnung des Phänomens Bauhaus bemüht: „Die Welt braucht Bauhäuser, Bauhaus ist Weltkulturerbe. Deutschland braucht Bauhaus und wir deshalb erst recht.“ Klingt, sagen wir, intellektuell etwas provisorisch, aber nicht feindselig.

"Abstimmung mit dem Land" ist ganz wichtig

Mrosek, Jahrgang 1958, gebürtiger Dessauer, früher Ringer beim BSG Motor Dessau, mehrfacher Weltmeister im Bankdrücken in der Gewichtsklasse bis 125 kg, nahm den Maßnahme- und Marketingplan der Bauhausdirektorin Claudia Perren nicht ohne Zustimmung zur Kenntnis. Aber eine Frage hatte er auf der Stadtratssitzung vom 17. Oktober dann doch noch: „Gehört zu Vermarktung des Bauhauses auch, ... dass am 6. 11. hier die linksextreme Gruppe Sahne, Fischfilet, feine Sahne Fischfilet auftritt ...?“ Der „Schandfleck Dessaus“, die „bolschewistische Hochburg“ war nicht mehr das Bauhaus selbst, sondern eine Band. Mag sein, die Bauhausdirektorin fühlte sich einem mehrfachen Weltmeister im Bankdrücken in der Gewichtsklasse bis 125 kg nicht ganz gewachsen, sie pflichtete dem Befremden des AfD-Manns umgehend bei: „... ich bin im Moment in Abstimmung mit dem Land und dem ZDF, wie dieses Konzert zurückgenommen werden kann.“

Die Wortgruppe „Abstimmung mit dem Land“ ist ganz wichtig, denn wer der eigentliche Bauhausdirektor ist, ist unter Dessau-Vertrauten durchaus umstritten. Manche sagen, es ist der Mann hinter Claudia Perren. „Das Land“ ist Rainer Robra (CDU), Staatsminister, Chef der Staatskanzlei in Magdeburg, Europaminister. Ihm obliegen die Bundes- und Europaangelegenheiten von Sachsen-Anhalt sowie seine Medienpolitik, außerdem ist er Kulturminister des Landes, damit Vorsitzender der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, der Luthergedenkstätten usw., nicht zuletzt ist er Vorsitzender der Stiftung Bauhaus Dessau. Man kann also nicht direkt sagen, dass der Mann keine Macht hat.

Und eine klare Meinung hatte er auch zum Auftritt von Feine Sahne Fischfilet. „Das Bauhaus rechnet mit einigen kaputten Scheiben“, schrieb Martin Hesse 1932. Auch Robra argumentierte wie ein enervierter Glasermeister sowie mit „den Grundsätzen und der Integrität des Bauhauses“, die eben auch Unvereinbarkeiten kennen würden. Aber war es denn mit den „Grundsätzen und der Integrität des Bauhauses“ vereinbar, eine Bedrohung auszurufen, die gar nicht bestand, assistiert vom früheren mehrfachen Weltmeister im Bankdrücken in der Gewichtsklasse bis 125 kg? Der Bauhausdirektorin und dem Kulturminister des Landes Sachsen/ Anhalt ist es gelungen, Dessau als Ort allgegenwärtiger rechtsradikaler Aufmärsche auszurufen, bis über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus, oder wie bereits Hermann Hesse formulierte: „Das Nest scheint ja keine Perle zu sein.“ Die vermeintliche Bedrohung des Konzerts von rechts wäre also zu konkretisieren: Sie kam aus der Stiftung Bauhaus selbst.

Vater Hesse rät dem Sohn, sich aus allem rauszuhalten

Hermann Hesse riet seinem Sohn 1932, sich bloß aus allem rauszuhalten. Du bist Schweizer, ließ er ihn wissen, sinngemäß, also bist Du gewissermaßen von Natur aus neutral. Die Claudia-Perren-Position, bloß dass sie keine Schweizerin ist. Bin ich nicht, schrieb Martin Hesse zurück, es sei völlig unmöglich: „Du weißt ja, dass das Bauhaus früher ein Versuchsinstitut, eine Gemeinschaft geistig arbeitender, revolutionärer Menschen war.“ Das sei vorbei und: Mies van der Rohe, der Direktor, sei „ein fabelhafter Architekt, aber ein reaktionärer Mensch.“

Mies van der Rohe hat wirklich alles getan, um sein Institut vor den Nationalsozialisten zu retten und scheute keine Konsequenzen. Martin Hesse: „Mies rief das Überfallkommando an und ließ die Studierendenvertretung verhaften.“ Die Studentenvertretung war ihm zu links, zu mitbestimmungsaffin. Das waren die Nachrichten vom Mai 1932.

Martin Hesse an Hermann Hesse im Juni: „Man spürt am Haus schon ziemlich Nazi-Geist. Ich halte das Bauhaus für ein besseres Technikum, aber mit revolutionärer Arbeitsgemeinschaft hat es nicht mehr das Geringste zu tun.“

26. Juli 1932: „Hier benehmen sich die Nazis grauenhaft. Neulich war ganz in der Nähe eine Schießerei, 1 Mann haben sie erstochen.“ Irgendwann hätte es ohnehin nicht mehr geholfen zu sagen: Ich bin Schweizer, ich bin neutral! 8000 Menschen bildeten einen Trauerzug quer durch Dessau für diesen Toten, erfuhr Hermann Hesse. „Fabelhaft“, fügte der Bauhaus-Student der letzten Tage hinzu.

Am liebsten war er an der Elbe, besonders bei Hochwasser. Das ist der Geist der Anarchie. Das ist Punk. Eigentlich steht fast ganz Dessau auf Überflutungsgebiet. Und dann sind da die Solitäreichen, die bleiben trotzdem stehen, nach jeder Flut. So was gibt es nur hier, Martin Hesse liebte sie.

Oswalts Sätze sind immer betonte Diagonalen

Die Vegetationsform der Solitäreiche kommt mitunter auch unter Menschen vor, und für die Glaubwürdigkeit von Institutionen wie dem Bauhaus ist sie beinahe unverzichtbar. Man mag sich gar nicht vorstellen, was Claudia Perrens Vorgänger Philipp Oswalt, dieser wehrhafte Anwalt der Moderne, dem AfD-Stadtrat Mrosek geantwortet hätte.

Oswalt hatte das Bauhaus wieder zu einem Ort für die Stadt Dessau gemacht; vieles, was hier in diesem Jahr geschehen wird, geht auf ihn zurück, der Dessauer Museumsneubau sowieso. Und natürlich auch die Bauhaus-Konzerte des ZDF, über einhundert waren es bis jetzt. Oswalts Sätze sind immer betonte Diagonalen. Nicht nur er hatte Robras Rücktritt als Vorsitzender des Stiftungsrats gefordert. Überhaupt sei der übermächtige Einfluss der Parteipolitik in diesen Gremien von Übel.

Oswalts Vertrag wurde 2014 zum allgemeinen und seinem eigenen Erstaunen nicht verlängert, nationale und internationale Proteste folgten. „Die Vertrauensbasis sei zerstört“, hieß es lapidar aus Magdeburg. Politiker, heute wie gestern, schätzen die Wuchsform von Windflüchtern viel mehr als die von Solitäreichen.

Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe hatte versucht, beide zu verbinden, am Ende vergeblich. Martin Hesse an Hermann Hesse am 31. August 1932: „Das Bauhaus ist nun leider von den Nazis geschlossen worden.“ Martin Hesse verließ Dessau mit dem Flugzeug, Studentenermäßigung: 5, 80 Reichsmark bis nach Berlin.

Das Eröffnungsfestival „100 Jahre Bauhaus“ beginnt am 16. Januar in der Akademie der Künste Berlin. Informationen unter: www.bauhausfestival.de

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