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Zu Gast in Berlin: Armin Petras alias Fritz Kater schreibt und inszeniert, seit 2013 in Stuttgart.
© Arthur Zalewski/Staatstheater Stuttgart

Interview mit Armin Petras: „Die DDR war eine Truman Show"

Regisseur Armin Petras inszeniert diese Woche an der Schaubühne „Der geteilte Himmel“. Der ehemalige Maxim-Gorki-Intendant leitet jetzt das Staatstheater Stuttgart: Ein Gespräch übers Theatermachen hier und dort, über seine Zeit in der DDR – und die Utopien des Kapitalismus.

Armin Petras ist seit 2013 Intendant des Staatstheaters Stuttgart, zuvor leitete er sieben Jahre lang das Berliner Maxim Gorki Theater. 1964 in Meschede im Sauerland geboren und nach der Übersiedlung der Familie ab 1970 in Ost-Berlin aufgewachsen, ist Petras einer der profiliertesten Theaterregisseure des Landes. Unter dem Pseudonym Fritz Kater schrieb er außerdem zahlreiche Bühnenstücke. Am Dienstag, den 13. Januar, hat seine Inszenierung von "Der geteilte Himmel" nach der gleichnamigen Erzählung von Christa Wolf an der Berliner Schaubühne Premiere, mit Jule Böwe, Kay Bartholomäus Schulze und Tilman Strauß.

Herr Petras, in Ihrer letzten Premiere in Stuttgart, „Pfisters Mühle“, gibt es einen Chor, der ruft: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“. War das autobiografisch, haben Sie Heimweh nach Berlin?
Das ist insofern autobiografisch, als ich in den neunziger Jahren jedes Wochenende nach Berlin gefahren bin, weil ich jahrelang irgendwo in kleinen oder großen Städten von Chemnitz bis Frankfurt inszeniert habe. Das ist jetzt wieder genauso. Aber weil ich inzwischen Intendant in Stuttgart bin, kann ich nur noch alle zwei Wochen nach Hause zu meiner Familie fahren.

Wie schauen Sie von Stuttgart auf Berlin?
In der einen Stadt gibt es viele Parties und Touristen. In der anderen Stadt wird vor allem sehr viel gearbeitet.

Ist so eine freundlich saturierte Umgebung gut für Ihr Theater?
Zumindest lässt sich das Theaterpublikum in Stuttgart anders erfreuen als in Berlin. Dass da alles saturiert ist, stimmt nicht. In Richtung Cannstatt oder Pforzheim wird es hart und schmutzig. Von Stuttgart aus verändert sich der Blick auf Berlin. Ohne die Wirtschaftskraft von Bayern und Baden-Württemberg und ohne den Länderfinanzausgleich könnte sich Berlin kaum so viele große Theater leisten.

Machen Sie in Stuttgart anderes Theater als in Berlin?
Auf jeden Fall. Es gibt zwei Sorten von Theaterleuten. Die einen machen ihr Theater, egal wo sie sind. Eine Robert- Wilson-Inszenierung sieht in Tokio so aus wie in Berlin oder auf dem Mars. Die anderen, und zu denen gehöre ich, interessieren sich massiv für das, was links und rechts neben dem Theater passiert. Das ist gar keine Wertung, da funktionieren Regisseure einfach verschieden. Ich brauche die Umgebung, die Stadt, sonst habe ich keinen Impuls zu arbeiten. Ich reiche mir selber nicht aus.

Kann man im Theater in Berlin mehr riskieren als in Stuttgart?
Das scheint so zu sein, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Robert Borgmanns Stuttgarter Inszenierung „Onkel Wanja“ wäre nicht zum Theatertreffen eingeladen worden, wenn er keine eigene, radikale Form gefunden hätte. Die Zuschauer in Stuttgart sind von solchen Arbeiten irritiert. Aber sie sind offen und gehen ein zweites Mal in so eine Aufführung. Bei „Das Fest“ von Christopher Rüping, einem anderen tollen jungen Regisseur, gab es bei der Premiere massive Buhrufe und ein Pfeifkonzert. Inzwischen hat die Inszenierung ein großes Publikum gefunden, das am Ende begeistert klatscht. Solche gemeinsamen Prozesse finde ich toll. Berlin ist da ungeduldiger. In den neunziger Jahren bin ich dauernd zum Hebbel Theater gefahren, ich habe die Aufführungen von Jan Lauwers und Jan Fabre geliebt. Ich saß da gefühlt jahrelang mit 60 Leuten im Zuschauerraum, ich habe es aber trotzdem geliebt. Dass so etwas möglich ist, finde ich großartig. Das muss sich eine Stadt und ein Theater leisten wollen. Die Inszenierung „Staub“ von Sebastian Hartmann ist in Stuttgart nicht dauernd ausverkauft, um es mal sehr höflich zu sagen. Ich bin als Intendant sehr an einer guten Auslastung interessiert, die haben wir auch. Wir spielen „Staub“ trotzdem weiter, weil wir es für eine radikale Arbeit halten.

Wurden Sie gefragt, ob Sie das BE übernehmen wollen?
Nein, und das gehört sich auch nicht. Ich habe in Stuttgart erst vor anderthalb Spielzeiten angefangen, ich bin hier verpflichtet. Da redet man nicht über die nächste Intendanz.

Sie inszenieren an der Schaubühne einen Stoff, den Sie in Stuttgart vermutlich nicht auf die Bühne gebracht hätten, „Der geteilte Himmel“, eine Adaption der 1963 erschienenen Erzählung von Christa Wolf.
Stimmt, das hätte ich in Stuttgart nicht gemacht.

Christa Wolf erzählt eine Liebesgeschichte in der DDR der frühen sechziger Jahre. Der Mann geht vor dem Mauerbau nach West-Berlin, die Frau bleibt in der DDR. Das konnte man 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, auch als Rechtfertigung der Mauer lesen. Was interessiert Sie an diesem 50 Jahre alten Buch?
Mich interessiert deutsche Geschichte grundsätzlich. Ich kenne die DDR, von der Christa Wolf erzählt, nicht aus eigenem Erleben. Ich bin mit meinen Eltern 1970 als kleiner Junge in die DDR gekommen, und durch dieses Buch verstehe ich vieles besser, was ich damals erlebt habe. Ich habe lange mit Gerhard Wolf gesprochen, dem Mann von Christa Wolf. Ich wollte wissen, wann seine Frau und er den Glauben an dieses Land verloren haben. Seine Antwort war: 1968, mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Diese Antwort war ein Hammer für mich. Interessant ist, dass Christa und Gerhard Wolf und viele aufrechte Kommunisten 1961 im Mauerbau eher eine Chance auf eine freiere Entwicklung in der DDR gesehen haben. Das war ein Irrtum.

"Bei Christa Wolf versuche ich, das Kammerspiel für mich neu zu erfinden"

Probenszene aus "Der geteilte Himmel" mit Jule Böwe und Tilman Strauß
Probenszene aus "Der geteilte Himmel" mit Jule Böwe und Tilman Strauß
© Dorothea Tuch

Christa Wolf beschreibt differenziert und mit vielen kritischen Beobachtungen die frühe DDR als ein junges Land, voller Hoffnung auf eine gelingende Zukunft. „Das ganze Land war in Unruhe und Aufbruchsstimmung“, denkt Rita, die junge Hauptfigur. Ist das Verklärung und Propaganda oder ein halbwegs genauer Blick?
Das ist keine Propaganda. Ich bin davon überzeugt, dass es diese Aufbruchsstimmung gab. Das findet man auch in den Büchern von Franz Fühmann oder Werner Bräuning, in den Filmen von Jürgen Böttcher oder Frank Beyer. Es gab trotz des 17. Juni 1953 viele Menschen, die in den sechziger Jahren an dieses Land geglaubt haben, trotz der Zweifel, die man in den Tagebüchern von Christa Wolf auch lesen kann. Was mich an dieser Zeit so interessiert, ist zum Beispiel die Frage, was es mit Menschen macht, wenn es so etwas wie eine gesellschaftliche Idee gibt. In Stuttgart hat vor kurzem ein riesiges Einkaufszentrum eröffnet, angeblich das größte Deutschlands. Die Werbung dafür zeigt einen jungen Mann, der eine junge Frau auf den Schultern trägt, mit vier goldenen Paketen. Darüber steht der Satz „Ich kann endlich so lange shoppen, wie ich will.“ Das sind offenbar heutige Vorstellungen von Utopien. Im Kontrast dazu interessieren mich die Ideen und das Lebensgefühl, von dem Christa Wolf schreibt.

Wie gehen Sie mit diesem empfindsamen, leisen Text auf der Bühne um?
"Der geteilte Himmel" ist kein dramatisches Werk. Es ist wie vieles bei Christa Wolf sehr lyrisch, verhalten, introvertiert, fein. Und es ist die Erzählung einer jungen Frau, die damit ihr allererstes Buch schreibt. Ich verwende in meinen Inszenierungen gerne Trash und viele unterschiedliche Mittel und Stile. Genau das mache ich hier nicht. Ich versuche, so etwas wie ein neues Kammerspiel für mich zu erfinden.

Da werden Petras-Fans enttäuscht sein.
Tja, schade. Aber da kann ich auch nichts machen. Ich bin daran gewöhnt, dass irgendwer immer enttäuscht ist.

Unternehmen Sie so etwas wie die Archäologie eines untergegangenen Landes?
Absolut. Der Text ist in der Beobachtung sehr genau, er zeigt, wie mühsam und ineffizient es etwa in der Wirtschaft zugeht. Die Gründe, weshalb Manfred, Ritas Freund, nicht mehr in diesem Land leben will und nicht mehr daran glauben kann, sind absolut ernst gemeint. Diese Desillusionierung oder Enttäuschung 1963 so genau zu beschreiben, ist alles andere als SED-Propaganda – auch wenn dem Buch zunächst im Westen genau das vorgeworfen wurde. Die Erzählung ist der mutige Versuch einer jungen Künstlerin, DDR-Wirklichkeit zu beschreiben. Das ist jenseits von allem, was damals im „Neuen Deutschland“ stand.

Ab und zu stolpert man bei Christa Wolf schon über ideologische Schablonen – etwa wenn zwei Figuren ausgerechnet dadurch zu guten Sozialisten und loyalen DDR-Bürgern wurden, dass sie in Sibirien Zwangsarbeit leisten mussten.
Ich muss zugeben, dass ich solche Passagen, die es in dem Buch gibt, nicht unbedingt zum Zentrum meiner Inszenierung mache. Vielmehr interessiert mich, dass Christa Wolf selber öfter das erlebt hat, was ihre Romanfigur Rita durchmacht. Sie hat immer wieder in Lebenskrisen schwere Depressionen bekommen und musste ins Krankenhaus. Sie hat ihre Krisen in ihren Büchern verarbeitet.

Die DDR, die Sie in den achtziger Jahren erlebt haben, haben Sie mal als „schlechten Witz“ beschrieben. Ich nehme an, Ihr Blick zurück ist nicht besonders sentimental.
Sicher nicht. Meine Freunde hatten alle Schwierigkeiten. Die Autoritäten waren gefährliche Witzfiguren. Für mich war das wie im Film „Die Truman Show“. Man fragte sich, was für ein bizarres Stück führen die hier auf. Mitte der achtziger Jahre war klar, das wird nichts mehr. Ich war 19 oder 20, als mir ein BE-Schauspieler – natürlich unter Alkohol, aber absolut ernst gemeint – sagte, mach, dass du wegkommst, das bricht hier alles zusammen. Das war Konsens. Deshalb lohnt es zu schauen, wann das anfing, eine Farce zu werden – und nicht arrogant davon auszugehen, dass dieses Land schon immer ein schlechter Witz war. Man liest die Erzählung von Christa Wolf und denkt, dass es auch hätte anders kommen können. Es gab doch nicht nur Stalinisten und Duckmäuser, auch suchte man 1949 nicht nur in der DDR nach einer anderen Zukunft. Das Ahlener Programm der CDU von 1947 ist kapitalismuskritischer als alles, was die Linkspartei heute fordert. Es macht mir auch einfach Spaß, ausgerechnet am Kurfürstendamm ein linkes, sehr ostdeutsches Werk zu zeigen. Das ist die denkbar fremdeste Umgebung für diesen Stoff.

Erinnern Sie sich an Ihren Abschied von der DDR?
Das war 1988. Freunde und ich machten damals in Ost-Berlin mehr oder weniger illegal Theater. Eines Mittags um 12 Uhr bekam ich einen Brief, dass ich bis Mitternacht das Land zu verlassen hätte. Wir hatten aber am nächsten Tag in der Zionskirche Premiere mit „Technik des Glücks“ von Franz Jung, ich sollte mitspielen. Von den zwölf Stunden, die ich noch in der DDR hatte, habe ich acht Stunden die Umbesetzung geprobt. Danach haben mich alle zum Grenzübergang gebracht. Die Premiere fand am nächsten Tag statt, es war meine einzige Premiere, bei der ich nicht selbst dabei sein konnte.

Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

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