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Ein Raum für eine Königin. Die Büste der Nofretete im Nordkuppelsaal des Neuen Museums in Berlin. Die Kalksteinbüste stammt aus der Zeit des Neuen Reiches, 18. Dynastie (um 1340 v. Chr. ) und wurde in Tell el-Amarna gefunden.
© Achim Kleuker Staatliche Museen zu Berlin

100 Jahre Entdeckung der Nofretete: „Die bunte Königin“

„Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen“:   Vor 100 Jahren entdeckte Ludwig Borchardt die Büste der Nofretete.

Um die Kalksteinbüste der Nofretete, zweifellos das berühmteste Kunstwerk der Berliner Staatlichen Museen, ist es etwas ruhiger geworden. Der langjährige, ebenso medienerprobte wie demagogische Chef der Ägyptischen Antikenverwaltung, Zahi Hawass, eng mit dem Mubarak-Regime verbandelt, musste seinen Posten unter den neuen politischen Verhältnissen nach zähem Widerstand räumen. Er hatte die Forderung nach „Rückgabe“ immer und immer wieder erhoben, ohne je zu belegen, dass die bemalte Büste tatsächlich unrechtmäßig nach Berlin gekommen wäre.

Das ist sie nämlich nicht. Die entsprechenden Dokumente liegen seit längerem der Öffentlichkeit vor. Wenn etwas zu beklagen ist, dann allein, dass sich die Staatlichen Museen mit der vollständigen Aufarbeitung dieser ihrer Geschichte sehr viel Zeit gelassen haben.

Am 6. Dezember jährt sich zum 100. Mal der Tag, da die Königin nach über 3200 Jahren wieder ans Tageslicht gelangte. In den Grabungsprotokollen der Deutschen Orient-Gesellschaft, die – von dem unvergleichlichen Mäzen James Simon finanziert – die Grabungen ausführte, liest sich der Vorgang ganz undramatisch und, bedingt durch die Zeitumstände, bisweilen fast komisch. Am 6. Dezember 1912 dampfte nämlich der altertumsbegeisterte sächsische Prinz Johann-Georg samt Anhang den Nil herauf, ein gesellschaftliches Ereignis, das wohl berücksichtigt sein wollte.

Aber der Tag begann so. Kaum ist der Expeditionsleiter, Ludwig Borchardt, eingetroffen, werden die bisherigen Funde begutachtet. „Nach Lage der gefundenen Bruchstücke von Statuen und halbfertigen Figuren ist anzunehmen“, heißt es in der noch vormittäglichen Eintragung, „dass in der Nähe von P 47.2 + 1 eine Bildhauerwerkstatt gelegen haben muss.“ Kaum ist die Mittagspause vorüber, ist die „prinzliche Gesellschaft“ da, wie nun Borchardt höchstpersönlich ins Tagebuch einträgt. Und nun, vor den Augen des sächsischen Hochadels, kommt in Haus 47.2 Überraschendes zutage, darunter als „Position 7“ eine „lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch.“ Borchardt kann nur schwer am sachlichen Dokumentarstil festhalten und schreibt: „Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.“

Fundteilung nach verschärften Regularien

Auf der Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft in Amarna wird beim Besuch des Prinzen Johann Georg von Sachsen und Prinzessin Mathilde von Sachsen die Büste der Nofretete am 6. Dezember 1912 am Fundort präsentiert.
Auf der Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft in Amarna wird beim Besuch des Prinzen Johann Georg von Sachsen und Prinzessin Mathilde von Sachsen die Büste der Nofretete am 6. Dezember 1912 am Fundort präsentiert.
© Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum

Was für ein schöner Tag! „Thee auf der Veranda. Bei Sonnenuntergang gehen die Gäste zum Dampfer zurück. 7 h 30 treten wir alle 6 in Khaki zum Dinner an.“ Es gibt Fotos, sie sind längst bekannt, auf denen die noch vom Staub der Jahrtausende bedeckte Büste hochgehalten wird. Hawass setzt die Behauptung in die Welt, mit Fotografien der verschmutzten Büste seien die ägyptischen Behörden gezielt getäuscht worden. Die tatsächlich gefertigten, aufwändigen Glasplattenaufnahmen im Format 18 mal 24 Zentimeter jedoch zeigen von allen Seiten die gereinigte Büste, über deren Wert es kein Missverständnis geben konnte. Diese Fotos waren für die Kommission bestimmt, die am 20. Januar 1913 die Fundteilung vornahm. Friederike Seyfried, die Direktorin des Ägyptischen Museums, hat sie im Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 2010 samt vollständiger Grabungsprotokolle veröffentlicht. Auf ägyptischer Seite wurde als wertvollstes Objekt eine bemalte Stele mit der Darstellung des Pharaos Amenophis IV. (reg. 1353-1336 v.Chr.) und seiner Familie reklamiert, der deutschen Seite fiel dadurch – und zwar nachrangig! – die „bunte Königin“ zu, wie sie mittlerweile im Grabungsprotokoll hieß.

Wohlgemerkt fand die Fundteilung bereits nach verschärften Regularien statt. Den Hintergrund bildet der Streit zwischen der britischen Kolonialverwaltung Ägyptens und der weiterhin in französischer Hand liegenden Altertümeraufsicht, dem Service des Antiquités. Die Briten hatten noch während des Jahres 1912 der nachgeordneten, französisch geleiteten Behörde für sämtliche Funde eine Teilung „à moitié exacte“ auferlegt, „genau zur Hälfte“ und also ohne Berücksichtigung wissenschaftlicher Erwägungen wie etwa der Zusammengehörigkeit einzelner Objekte. Im Zweifelsfall sollten für Kairo bestimmte Stücke sogar in Paris verkauft werden, statt dem jeweiligen Grabungsprojekt zuzufallen. Der französische Beauftragte, Gustave Lefèbvre, der für einen Tag nach Tell el-Amarna kommt, beklagt selbst diese Regelung. Sei's drum: „Besonders genau besichtigt er die Stücke aus hartem Gestein, Stele, die bunte Königin“, heißt es im Protokoll der deutschen Ausgräber.

James Simon und die Deutsche Orient-Gesellschaft

Foto der Büste der Nofretete, im Dezember 1912 angefertigt und bei der Fundteilung vorliegend.
Foto der Büste der Nofretete, im Dezember 1912 angefertigt und bei der Fundteilung vorliegend.
© Deutsche Orient-Gesellschaft (DOG)

Schließlich ist die Liste komplett, je sieben Lose sind für Kairo wie für Berlin zusammengestellt. „Darauf wird ein Gang durch die Grabung unternommen, Thee getrunken und Lefèbvre von uns an den Fluss gebracht.“ Der – wenn man so will – Schicksalstag des 20. Januar 1913 ist vorüber. Es beginnt die aufregende Nachgeschichte.

Die Deutsche Orient-Gesellschaft (DOG), die in Amarna grub, war eine vergleichsweise neue Institution, 1898 erst gegründet. Die Initiative dazu ging von James Simon (1851-1931) aus, dem – wie sein Vater als „Baumwollkönig“ bekannten – Textilunternehmer, dessen Vermögen in der Gründerzeit stark angewachsen war und der nun gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem, ja dem bedeutendsten Kunstförderer und Mäzen im Kaiserreich reifte. Das strategische Interesse am Nahen und Mittleren Osten sicherte der Orient-Gesellschaft allerhöchste Protektion und finanzielle Unterstützung; der größere Teil der Mittel jedoch wurde allein von Simon aufgebracht. Internationale Grabungen in Ägypten nahmen an Zahl rasch zu und vervierfachten sich nach 1900 binnen eines Jahrzehnts auf 24. Simon gelang es in Absprache mit Grabungsleiter Ludwig Borchardt, für die Arbeiten in Amarna, dem vom glücklosen Pharao Amenophis IV. gegründeten und nach seinem Tod alsbald aufgegebenen Achet-Aton, von der – formal souveränen – ägyptischen Regierung am 29. August 1911 eine Lizenz zu erlangen.

Die DOG fungierte rechtlich als Auftragnehmer Simons, der alle Kosten bestritt und rechtmäßiger Eigentümer der bei der Fundteilung zugewiesenen Stücke wurde. Natürlich war klar, dass sich Simon damit nicht auf Dauer seine Villa in der Tiergartenstraße 15a schmücken würde (deren Grundstück übrigens heutzutage von der Landesvertretung Baden-Württembergs besetzt ist). Jedoch war insbesondere Borchardt als Kenner der Verhältnisse besorgt, dass künftige Fundteilungen weitaus ungünstiger ausfallen würden, ja dass überhaupt die Erteilung weiterer Grabungslizenzen in Frage stünde, würde die Nofretete-Büste als dasjenige Prunkstück herausgestellt, das sie in den Augen der Archäologen von Anfang an war. Sogar ein Ankauf wurde für den Fall des Streits über die Aufteilung der Objekte erwogen, und dies zu einem Preis, der die Kosten der gesamten Grabungskampagne übertroffen hätte!

Der Irrtum der französischen Antikenverwaltung

Relief mit der Darstellung König Echnatons, Königin Nofretetes und dreier Töchter. Deutlich ist die Sonnenscheibe zu sehen, die Aton repräsentiert. Neues Reich, 18. Dynastie, 1351-1334 v. Chr.; Kalkstein. Schenkung James Simon.
Relief mit der Darstellung König Echnatons, Königin Nofretetes und dreier Töchter. Deutlich ist die Sonnenscheibe zu sehen, die Aton repräsentiert. Neues Reich, 18. Dynastie, 1351-1334 v. Chr.; Kalkstein. Schenkung James Simon.
© Margarete Büsing, Staatliche Museen zu Berlin

Dieses Szenario blieb ein Gedankenspiel, richtete doch die französische Altertümerverwaltung ihre Begehrlichkeit auf andere Stücke. Borchardt warnte gleichwohl davor, die Nofretete in Berlin überhaupt öffentlich zu machen. Die Situation in Ägypten , so der gewiefte Borchardt bereits am Tag nach der Fundteilung, sei „derart schwierig, dass jede überflüssige Demonstration von Funden schädlich wirken kann“. So wurde die Büste nicht einmal bei der kurzzeitigen Berliner Erstpräsentation der Funde aufgestellt. Allein Kaiser Wilhelm II. wurde sie vorgeführt, zudem erhielt er eine eigens gefertigte Kopie – und zeigte sich, wie erhofft, begeistert. Das Berliner Haus konnte sich, nächst dem Museum in Kairo, als bedeutendstes Ägyptisches Museum weltweit betrachten.

Es kam der Erste Weltkrieg, und mit ihm endeten abrupt die Mittelost-Träume des wilhelminischen Kaiserreiches. Die Weimarer Republik, die dessen Erbe schultern musste, wurde zum Paria der internationalen Politik. Und hatte wirtschaftlich die Staatspleite zu tragen, die in der Hyperinflation von 1923 kulminierte. Simons Unternehmen war bereits zuvor am Boden. Doch in einer großen Geste machte James Simon gerade in dieser Zeit unmittelbar nach Kriegsende den Preußischen Museen die größten Geschenke, darunter 1920 seine Amarna-Schätze. „Doch Nachahmer derart umfangreicher Schenkungen“, konstatiert der Historiker Olaf Matthes in seiner maßgeblichen Simon-Biografie aus dem Jahr 2000, „fanden sich nicht.“

Zu Ende war es auch mit den Ausgrabungen, ja, überhaupt verwehrte Frankreich, das den Vorrang in der Ägyptologie beanspruchte, den deutschen Wissenschaftlern sogar die Teilnahme an Konferenzen und am Austausch generell. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und gebürtige Französin, hat erstmals die in Paris schlummernden Akten des langjährigen Leiters der ägyptischen Altertümerverwaltung gesichtet und in ihrem 2011 erschienenen Buch „Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre 1912-1931“ zugänglich gemacht (Böhlau Verlag, Köln, 24,90 €). Aus ihnen geht hervor, dass es der französische Direktor Pierre Lacau war, ein begeisterter Weltkriegsteilnehmer, der die deutschen Archäologen erbittert verfolgte und die Rechtmäßigkeit der unter seinem Vorgänger vereinbarten Fundteilung in Abrede stellte. Jedoch musste er gegenüber der ägyptischen Regierung, die sich im Zuge des weltweiten Ägypten-Booms für den Jahre zurückliegenden Vorgang interessierte, wahrheitsgemäß einräumen: „Niemals ist von Diebstahl die Rede gewesen. Juristisch ist alles vollkommen in Ordnung.“ Die französische Antikenverwaltung, mithin sein Vorgänger Gaston Maspero, habe einen Irrtum begangen und den Wert der Nofretete nicht erkannt: „Das zuzugeben fällt schwer genug.“

Die Sonderrolle der Amarna-Kultur}

Ausgräber Ludwig Borchardt und sein Förderer James Simon hingegen hatten deren Wert begriffen, sie waren unter den ersten, die überhaupt die Sonderrolle der Amarna-Kultur des Pharaos Amenophis IV. herausarbeiteten. Der Pharao, besser bekannt unter seinem Zusatznamen Echnaton, verfiel nach seinem Tod der damnatio memoriae, dem gezielten Vergessen seitens der Priesterkaste. So blieb auch die Sonderstellung der eigentümlich weichen, individualistischen Amarna-Kultur, ablesbar an den Familienbildnissen des Pharaos, unerkannt. Mit den Ausgrabungen von 1912 kam sie ans Licht, auch wenn die Büste der Nofretete erst ab 1924 im umgebauten Neuen Museum ausgestellt wurde. Da war die Furcht vor ungünstigen Fundteilungen längst hinfällig – denn für die deutschen Ägyptologen gab es im Land des Nils nichts mehr zu ergraben. Und Antiken-Direktor Lacau, dies nebenbei, hatte Ludwig Borchardts ägyptisches Privathaus bereits 1915 hasserfüllt zerstören lassen, bei einem Kurzbesuch aus den Schützengräben des Weltkriegs.

Unter den Wissenschaftlern gab es später jahrelang Gespräche über einen Tausch der Nofretete gegen andere, qualitativ als gleichrangig erachtete Stücke aus dem Kairoer Museum. Sie endeten abrupt im Jahr 1930, als eine empörte deutsche Öffentlichkeit davon erfuhr. Der Letzte, der einen solchen Tausch unterstützte, war NS-Mann Hermann Göring in seiner Eigenschaft als Preußischer Ministerpräsident. Hitler persönlich pfiff seinen voreiligen Paladin zurück, wie Rolf Krauss, Mitarbeiter des Ägyptischen Museums, im Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 1991 darlegt.

Allerdings ging die Ära der Fundteilungen in der Archäologie mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Tutenchamun in seinem goldenen Sarkophag, 1923 unter der Anteilnahme der Weltöffentlichkeit ans Licht geholt, blieb in Ägypten (das British Museum hat allerdings früher bereits heftig gesammelt). Nofretete jedoch hat in Berlin eine zweite Heimat gefunden. Wie es ihrem altägyptischen Namen gebührt: „Die Schöne ist gekommen“.

Bernhard Schulz

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