Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2019 – Sabine Scholz' Favoriten
Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Autorin Sabine Scholz.
Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren - hier eine Auswahl der Ergebnisse. Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Birte Förster, Christian Endres, Ute Friederich, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne.
Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 19. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.
Die Favoriten von Tagesspiegel-Autorin Sabine Scholz
Platz 5: "Der Mann meines Bruders" von Gengoroh Tagame (Carlsen Manga)
Die vierbändige Manga-Serie „Der Mann meines Bruders“ über einen alleinerziehenden Vater, der plötzlich mit dem kanadischen Ehemann seines verstorbenen Zwillingsbruders und damit mit seinen zum Teil schlichtweg homophoben Vorurteilen gegenüber Homosexuellen konfrontiert wird, wandelt auf dem schmalen Grad zwischen Komödie und Drama. Die Geschichte über eine Familie und ihre verdrängten Probleme hat es vor allem der kindlichen Arglosigkeit von Kana, der kleinen Tochter des überrumpelten Yaichi, zu verdanken, dass sie nie zu schulmeisterhaft wird. Gengoroh Tagames schlichte Slice-of-Life-Zeichnungen warten genreüblich mit luxuriösen Männerkörpern und nackter Haut auf. Ein starker Einsteigertitel für ein breites Publikum, der zeigt, wie es der queeren Gemeinschaft in der japanischen Gesellschaft ergeht und charmant für mehr Verständnis wirbt.
Platz 4: "Ich bin eine Spinne, na und?" von Okina Baba und Asahiro Kakashi (Manga Cult)
Die aktuell sieben Bände umfassende fortlaufende Serie „Ich bin eine Spinne, na und?“ ist einer der skurrilsten Vertreter des Isekai-Genres und ein Riesenspaß, wenn man auf japanischen Humor, bizarre Manga-Welten sowie Game- und Rollenspielreferenzen aller Couleur steht. Wie bei Titeln dieses Genres üblich, wird ein Mensch plötzlich in eine fantastische Welt versetzt. Genauer: ein cleveres, unscheinbares Mädchen gelangt als schwaches, achtbeiniges Spinnentier in einen düsteren und gefährlichen Dungeon. Gemäß des Titels findet sich die pragmatische Heldin schnell mit ihrem Schicksal ab, ignoriert zunächst sämtliche Fragen nach dem Warum und macht mit jeder Menge Galgenhumor das Beste aus ihrer Situation. Sie testet die Möglichkeiten ihrer Existenz, geht bis an ihre Grenzen und springt dem Tod mehr als einmal von der Schippe. Die Manga-Adaption von Asahiro Kakashi, die auf den Romanen von Okina Baba basiert, präsentiert sich in einem einfachen und kontrastreichen Fantasy-Zeichenstil mit vielen Soundwords und Rastereffekten.
Platz 3: "Tokyo Girls" von Akiko Higashimura (Egmont Manga)
Das in neun Bänden abgeschlossene Großstadtliebesdrama „Tokyo Girls“ über die panische Suche dreier lediger Mitdreißigerinnen nach Mr. Right zeigt zynisch, wie es „übrig gebliebenen“ Frauen in der patriarchalen japanischen Gesellschaft und der unpersönlichen Metropole Tokio ergeht. Reich an Dialogen und mit fast voyeuristischem Vergnügen präsentiert Akiko Higashimura basierend auf Erfahrungen ihres Freundeskreises die viel zu selten feministische, vielmehr verzweifelte Suche nach dem partnerschaftlichen und persönlichen Glück in oft schmucklosen, mal skizzenhaften, mal verzerrt-überspitzten Zeichnungen. Geheimtipp für „Sex and the City“-Fans.
Platz 2: "Atelier of Witch Hat" von Kamome Shirahama (Egmont Manga)
Mit „Atelier of Witch Hat“ hat Kamome Shirahama eine wundervoll magische, märchenhafte Geschichte und mit Zauberlehrling Coco eine zielstrebige Identifikationsfigur für junge Leserinnen geschaffen. Die Zeichnerin überzeugt vor allem mit dem außergewöhnlichen, schmuckreichen Artwork. Kamome Shirahamas Vorbilder sind keine Geringeren als Moebius, Alfons Mucha und Gustav Klimt. Ihr Werk atmet den Geist dieser Größen der Zeichenkunst auf jeder Seite im japanischen Shojo-Kontext, sei es mit lebendigen Schraffuren, prächtigen Art-déco-Rahmungen sowie fantasievollen Zauberdingen und unglaublichen Wesen. Cocos immenser Wissensdurst, ihre positiv-naive Einstellung und die Begegnungen mit ihrem kauzigen Lehrmeister und seinen drei übrigen nicht weniger schrulligen Magieschülerinnen konkurrieren mit geheimnisvollen Magierebellen, einem außergewöhnlichen Magiesystem und vielen anderen zauberhaft-fantastischen Plot-Elementen darum, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Die Serie ist noch nicht abgeschlossen und auch als Limited Edition erhältlich.
Platz 1: "Monster" (Perfect Edition) von Naoki Urasawa (Carlsen Manga)
Naoki Urasawas 18-teiliger Thriller „Monster“ wurde bereits von 2002 bis 2006 von Egmont in deutscher Sprache veröffentlicht. Leider blieb damals der Erfolg hierzulande aus, während in Japan sogar eine Anime-TV-Serie dazu produziert wurde. Carlsen Manga bringt die umfangreiche, mehrfach preisgekrönte Serie jetzt als sehr hochwertige Perfect Edition in Doppelbänden mit deutlich verbesserter Bildqualität und Farbseiten für das inzwischen ältere Manga-Publikum noch einmal heraus. Doch nicht nur Fans der japanischen Zeichenkunst sollten den Klassiker des „20th Century Boys“-Zeichners auf ihre Leseliste setzen. Die auch dank ihrer Schauplätze reizvolle Geschichte, die vorrangig in Deutschland und Tschechien spielt, bringt alle Qualitäten des Suspense-Genres mit. Die Charaktere spiegeln mit ihrer Mimik ihr Innenleben und die sterilen Kulissen die Tristesse. Trotz all der eindringlichen Düsternis und dem Spiel mit moralischen Fragen schimmert immer wieder auch Menschlichkeit durch.
Sabine Scholz
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