Ausstellung: "Schloss.Stadt.Berlin": Die Baustellen der Preußenherrscher
„Schloss.Stadt.Berlin“ im Ephraim-Palais: Eine Ausstellung erhellt die Vorgeschichte des Humboldt-Forums – bis zurück in die Renaissance.
Eine überraschende Abbildung hat das Stadtmuseum für das Plakat seiner Ausstellung im Ephraim-Palais gewählt, überschrieben „Schloss. Stadt. Berlin“. Wer (er-)kennt das Gebäude mit seinen mehrfachen Giebeln? Zu sehen ist ein Ausschnitt aus der Darstellung des Berliner Schlosses um 1690 von der Hand eines unbekannten Künstlers. Das Gemälde bildet einen Fixpunkt der Ausstellung: Denn von dem hier festgehaltenen Bauzustand aus beginnt die wohl radikalste Umgestaltung, die Berlin je erlebt hat.
Es gab ein Berlin vor dem Barockschloss, das in unseren Tagen als rekonstruierte Fassade über einer modernen Betonkonstruktion „wiederersteht“. Das ist der erste Teil der Botschaft, die die Ausstellung vermittelt. Der zweite Teil lautet, mit den Worten ihres Kurators Peter Schwirkmann: „Das Schloss rückt in die Mitte dadurch, dass die Stadt nach den Plänen der Landesherren nach Westen hin ausgebaut wird.“
Das nun führt dazu, so Schwirkmann bei der Vorstellung der ab heute zu besichtigenden Ausstellung weiter, „dass die eigentliche, alte Stadt im Rücken des Schlosses liegt und die Mitte von Westen her gesehen wird“. Die frühere Mitte müsse man sich hingegen von Osten her denken: „Der König reitet von Osten her in die Stadt ein.“
Das Renaissanceschloss war nicht ärmlich
Im Osten liegt Königsberg, dort ließ sich Friedrich III. zum König krönen, „in Preußen“, wie er zunächst aufgrund der komplizierten staatsrechtlichen Konstruktion hieß, bevor sich das „von Preußen“ alltagspraktisch durchsetzte. 1701 war das, und so kam der als König nunmehr Friedrich I. Geheißene in eine Stadt, deren Schloss am Rande der Bürgerstadt lag, deren Erweiterung aber seit dem Großen Kurfürsten in eben die dahinter liegenden westlichen Gefilde vorangetrieben wurde. Diesen Prozess zeigt die Ausstellung mit den Stadterweiterungen des Friedrichswerder, der heute auf dem Stadtplan kaum noch aufzufinden ist, der Dorotheenstadt und der Friedrichstadt, die im Unterschied dazu das Straßenraster bis heute bestimmen.
Das städtebauliche Gelenk bildet das Schloss. Es war im Wesentlichen im 16. Jahrhundert entstanden, unter den brandenburgischen Kurfürsten. So wurden die charakteristischen Giebel, die das erwähnte Gemälde getreulich abbildet, im Jahr 1572 aufgesetzt, während der Gebäudekorpus 35 Jahre zuvor errichtet worden war. An der Spreeseite kam kurz vor 1600 das „Haus der Herzogin“ hinzu. Mit weiteren Ergänzungen präsentierte sich das Schloss so dem ambitionierten Friedrich III., der unbedingt die Königswürde erlangen wollte und nach deren Erringung ein repräsentatives Gebäude im neuesten Stil forderte.
Dabei war das Renaissanceschloss durchaus nicht ärmlich. Das zauberhafte Modell, das der 2006 verstorbene Privatmann Horst Dühring aus Karton und Kunststoff geschaffen hat, zeigt ein reich gegliedertes Ensemble, das romantischen Gemütern als eine Art ideale Dürerzeit vorkommen mag. Türmchen, Fialen, Erker, Vor- und Rücksprünge, dazu die verschwundene Dominikanerkirche – alles verwinkelt und organisch gewachsen, passend zur Baugeschichte. Der Bauplatz des Schlosses wurde 1442 festgelegt, als die Doppelstadt Berlin-Cölln bereits 250 Jahre alt war; und so konnte es nur eine Randlage sein, vor der sich eine Auenlandschaft bis zum nahen Tiergarten erstreckte. In diese Wildnis hinein ließ der Große Kurfürst 1647 eine Lindenallee anlegen. Der Landesherr konnte nicht ahnen, dass sie das Rückgrat künftiger Stadterweiterungen bilden und zu ihrer prachtvollen Hauptachse reifen sollte.
Der König gewordene Sohn also ritt von seinem Krönungsort Königsberg in Berlin ein und kam an eine Baustelle. Denn das Schloss befand sich seit 1698 in einem grundlegenden Umbau.
Andreas Schlüter wirkt als Hofbildhauer
Man kann die Geschichte des Barockschlosses auch vom Ergebnis her erzählen. Dann spielt der eher provinzielle Renaissance-Vorgängerbau keine Rolle, und Berlin ist tabula rasa. Dann kommt Andreas Schlüter in die Stadt, um als Hofbildhauer zu wirken. Nicht als Architekt: Das wird er erst beim Bau des Zeughauses im Jahr 1698. Zuvor entwickelte er das Bildprogramm für die prachtvolle Lange Brücke, die erste steinerne Verbindung über die Spree, und schuf den Entwurf für das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten. 1700 gegossen, wurde es in der Mitte der Brücke aufgestellt. Wer künftig von Osten her, aus Richtung des fernen Preußen zum Schloss kam, huldigte erst einmal jenem Herrscher, der das im Dreißigjährigen Krieg verwüstete Brandenburg wieder zu einem respektablen Staatswesen emporgeführt hatte.
Dieser Schlüter baute „das“ Schloss. Im allgemeinen Bewusstsein ist es eine creatio ex nihilo, als ob es zuvor nichts gegeben hätte. Schlüters radikaler Entwurf von 1698 ist auf der Höhe des europäischen Barock. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Überformung des buntgewürfelten Vorgängerensembles. Die Ausstellung lässt den gleitenden Übergang hervortreten, eingebettet in eine Sozialgeschichte der „einfachen“ Berliner, die durch drückende Dienstverpflichtungen an die landesherrlichen Vorhaben etwa im Festungsbau gebunden waren.
Das Berlin der „kleinen Leute“ lässt sich aus den Sammlungen des Stadtmuseums anschaulich erzählen. Ein lederner Feuerlöscheimer weist auf die größte Gefahr aller Ansiedlungen hin, ein gewaltiger Hobel auf die Härte der körperlichen Arbeit, Tonpfeifen weniger auf bescheidenen Genuss als auf die Unterdrückung beständig nagenden Hungers.
Viele Luxuswarenhersteller kamen aus Frankreich
Der Hof indessen zog Luxuswarenhersteller an, vielfach aus Frankreich; so zeigt sich die staatliche Toleranz als merkantil begründet. Im 18. Jahrhundert entfaltete sich die Hofwirtschaft mit ihren Juwelieren und Seidenwebern. Aus der Manufaktur des Charles Vigne stammt der herrliche Gobelin „Die Schaukel“, um 1750 gewebt nach einem Motiv des von Friedrich dem Großen so geschätzten Malers Antoine Watteau.
Mit dem bedeutendsten aller Preußenkönige ist bereits die Abkehr vom Schloss als dem alleinigen Zentrum verbunden. Die Lindenallee wird zum Prachtboulevard, an dem sich fürstliche Palais, Opernhaus und Bibliothek aufreihen, abgeschlossen nach Friedrichs Tod durch das Brandenburger Tor. Entscheidend ist das schräge Auftreffen der Linden auf den mittlerweile gegenüber Schlüters Entwurf glatt verdoppelten Baukörper.
Jetzt erst entsteht jenes suggestive Bild der preußischen Residenz, das das Schloss über die Linden hinweg angeschnitten zeigt, seit 1845 akzentuiert durch die barockisierende Kuppel. Mit ihr dreht sich das Schloss vom Schlossplatz weg und blickt über den Kupfergraben gen Westen. Nun erst ist es die Mitte der Stadt, zwischen den dichten Vierteln im Osten und den planmäßigen Erweiterungen im Westen.
Die Ausstellung – eine Art Probelauf für die Berliner Selbstdarstellung im künftigen Humboldt-Forum – endet in einem Sprung ins Jahr 1950. Da vergeht das Schlüter’sche Schloss im Pulverdampf der Sprengungen. Drei kurze Filmsequenzen laufen auf einem Monitor, eingebettet in eine illusionistische Darstellung des einstigen, so prachtvollen Thronsaals. Die stummen Bilder sind ein Schock. Binnen Sekunden stürzen die Mauern zusammen und begraben eine Geschichte, die der Nachbau unserer Tage nicht flicken kann. Es bleibt nur das Staunen, was einmal auf kargem märkischen Sand möglich war.
Museum Ephraim-Palais, Poststr. 16, Mitte, bis 23. April, Katalog: Holy Verlag, 29,80 €. Infos über das umfangreiche Veranstaltungsprogramm: www.stadtmuseum.de