Das barocke Berlin des Andreas Schlüter: Mehr Prunk für Berlin
Die Stadt als Ausstellung: ein Spaziergang zu Schlüters Werken, die nicht in der Schau im Bode-Museum zu sehen sein können. Ein Stück Barock in Berlin, das ins Bewusstsein zurückgeholt werden muss.
Welch ein Koloss von einem Sarg! Noch im Tode sollte man zum ersten König der Preußen aufblicken. Sein Lieblingskünstler Andreas Schlüter schuf den Sarkophag im Berliner Dom ganz nach dem Geschmack des Verstorbenen. Ausladend, prunkvoll, überbordend, mit einem Zug ins Bombastische. Aber unter den Händen des Bildhauers wurde alles leicht, fließend und menschlich. Wie viel Bewegung ist in den Wölbungen des Sargs, der Fahnen und der bestickten Decke aus vergoldetem Zinn, in den Adlern und den beiden Frauenfiguren, die das Porträtrelief Friedrichs I. halten!
Ihre Blicke gehen hinüber zum wenig älteren Sarkophag seiner Gattin, der gebildeten Königin Sophie Charlotte. An den Fußenden der Särge sitzen Figuren, die nach 400 Jahren noch unmittelbar ansprechen: eine anmutig Verzweifelte, die ihr Gesicht in den Händen verbirgt, und ein Knabe mit einem Blasröhrchen, der vergnügt einer zerplatzten Seifenblase nachblickt – Sinnbild der Vergänglichkeit. Schön gruselig der mumifizierte Totenmann in Mönchskutte, der konzentriert die Verdienste der Königin in ein großes Buch schreibt. Die untoten Piraten im „Fluch der Karibik“ wirkten nicht lebendiger.
Großes Kino im Dom! Viel zu sehenswert, um die Särge unten in der Hohenzollerngruft dämmern zu lassen. Sie stehen oben in der Predigtkirche, leider hinter dicken Gitterstäben. In der Gruft gibt es künstlerisch kaum Vergleichbares, allenfalls den Kindersarg des Prinzen Friedrich Ludwig von 1708, der ebenfalls Schlüter zugeschrieben wird.
Aus der Andachtsstille der Domgruft steigt der Schlüter-Tourist auf kürzestem Weg in den Höllenlärm der Schlossbaustelle empor. Wow, die Betonwände reichen ja schon bis zum zweiten Stock! Das Schloss war Schlüters größte und wichtigste Baustelle. Sie hat ihn fast den Kopf gekostet, als der von ihm entworfene Münzturm einzustürzen drohte und abgerissen werden musste. Die Baugeschichte des Schlosses und des Berliner Großflughafens weisen jetzt schon bemerkenswerte Parallelen auf.
Die Kriegerköpfe im Innern des Zeughauses sind legendär
Ehe er zum Schlossarchitekten berufen wurde, durfte sich Schlüter am Zeughaus beweisen. Die Schlusssteine über den Fenster- und Torbögen des Erdgeschosses sind sein Werk, die Kriegerköpfe im Innenhof legendär. Einer beißt sich auf die Lippen, andere öffnen den Mund zum stummen Schrei oder scheinen sanft entschlummert. Keine blutleeren Kampfmaschinen, sondern junge und alte Männer im Todeskampf, erkennbar orientalischer Herkunft, eine Anspielung auf den Sieg über die Türken bei Wien, bei dem auch ein paar Soldaten aus Brandenburg dabei waren.
In der Mitte des Zeughaushofes sollte eigentlich der Auftraggeber, damals noch Kurfürst, später König Friedrich I., als leichtfüßiger Feldherr posieren. Diese Statue Schlüters wurde vollendet, jedoch nicht aufgestellt. Nach dem Tod des Königs schmückte sie kurzzeitig den Molkenmarkt, wurde im 19. Jahrhundert nach Königsberg gebracht und ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen.
Doch eine Replik nach einem Gipsmodell hat es vor den Knobelsdorff-Flügel des Charlottenburger Schlosses verschlagen. Auch das Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten steht ebenda scheinbar unverrückbar an seinem Platz. Friedrich I. gab es bei Schlüter in Auftrag, um seinen Vater wie einen antiken Cäsaren zu verherrlichen. Es war überhaupt das erste Reiterdenkmal in Preußen, der Bronzeguss eine technische Spitzenleistung.
Warum der Kurfürst seinen Kopf leicht nach links dreht, erklärt sich indes nur aus alten Stichen und Fotografien. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Kurfürstendenkmal Teil der Langen Brücke. Kürzlich wurde an dieser Stelle die neue Rathausbrücke zwischen Schlossplatz und Rathausstraße eröffnet. Vom alten Standort blickte der Große Kurfürst in Richtung der Schlüter’schen Schlossfassade, heute würde er dort Betonverschalungen und Kräne sehen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der stolze Reiter zum Schutz vor Bombenangriffen abgebaut und ausgelagert. Beim Rücktransport 1947 versank er im Tegeler See. Zwei Jahre später wurde er wieder herausgefischt und – in Zeiten des Kalten Krieges – nicht an die Hauptstadt der DDR übergeben, wo er hingehörte, sondern 1951 vor dem Charlottenburger Schloss postiert. Eine Kopie des Reiters empfängt auch die Besucher im Bode-Museum, dem Ort der aktuellen Schlüter-Retrospektive. Bereits der Museumsdirektor Wilhelm von Bode ließ sie am Beginn des 20. Jahrhunderts anfertigen, nachdem der schadhafte Originalsockel von der Langen Brücke in seine Sammlung gekommen war.
„So wie nun Schlüter voll von Erfindungen, und dabei sehr dienstfertig war: So half er auch gerne allen Künstlern mit seinen Zeichnungen, es mochte zum Tapetenwirken oder zu Stühlen, oder zur Goldschmied- oder Tischler- oder ausgelegter Arbeit sein“, heißt es 1768 in einer Würdigung von Schlüters Wirken in Berlin, „wie denn auch die Carossen eine bessere Gestalt und Form durch ihn erlangten, so dass sie von vielen Auswärtigen gesucht wurden.“ Schlüter, der Hansdampf und Berlin-Verschönerer!
Ein Stück Schlossdecke in Köpenick
Der Abstecher raus zum Kunstgewerbemuseum im Schloss Köpenick, das Friedrich I. in seiner Kronprinzenzeit ausbauen ließ, ist allerdings enttäuschend. Normalerweise gehört ein hölzernes Relief, das Schlüter als Supraporte für das schon im 19. Jahrhundert abgerissenen Palais Wartenberg an der Langen Brücke entwarf, zum Inventar. Sie ist nicht da. Und auch das Große Silberbuffet aus dem Berliner Schloss im Nachbarsaal, das sich sonst gülden bis zur Decke türmt, glänzt durch Abwesenheit. Man hätte es sich ja denken können: Diese Schlüter-Pretiosen sind an die große Schlüter-Ausstellung im Bode-Museum ausgeliehen! Besonders das unschätzbar wertvolle Silberbuffet mit seinen feuervergoldeten Tellern und Prunkgefäßen ist ein Highlight, das dort nicht fehlen darf. Gespeist wurde davon nie: So ein Geschirr war ein Statussymbol, eine Demonstration fürstlichen Reichtums, zu wertvoll selbst für die königliche Tafel. Wenn im Rittersaal des Stadtschlosses gespeist wurde, dann saßen die Gäste zwischen dem Thron und den vor einer Spiegelwand aufgebauten Prunkgefäßen. Sie waren Teil des architektonischen Innenraumkonzepts, das der Schlossbaumeister Andreas Schlüter im Auftrag seines prunkverliebten Königs realisierte, um die Untertanen und Gäste von fremden Höfen gehörig zu beeindrucken.
Ein seltenes Stück von Schlüters Stadtschloss ist aber doch in Köpenick geblieben. Das blau-weiße Fragment einer Stuckdecke mit einem Liktorenbündel, Blattranken und zierlichen Figuren hängt noch an seinem Platz. Es gibt eine Ahnung davon, wie überwältigt Besucher im Großen Treppenhaus von der Sorgfalt der Ausstattung gewesen sein müssen. Das Deckenfragment wird nicht Schlüter, sondern dem Stuckateur Giovanni Simonetti zugeschrieben, der freilich unter Aufsicht und nach Entwürfen des Schlossbaumeisters tätig war.
Als fantasie- und geschmackvoller Chefdekorateur des ersten preußischen Königs konnte Andreas Schlüter sein Talent voll entfalten, doch auch die Berliner Bürger hat er beschenkt. In der Nikolaikirche hinterließ er ein Grabmal für den befreundeten Goldschmied Männlich und dessen Familie. Über der Pforte tritt der mönchähnliche Totenmann vom Sarkophag der Königin erneut in Aktion: Erbarmungslos krallt sich der Tod ein Kleinkind, während ein älterer Sohn entsetzt auf das grausige Schauspiel blickt.
Mittelalter und Barock versöhnt
In der nahen Marienkirche scheint die Kanzel für die Predigt auf zwei von Engeln gehaltenen Voluten zu schweben. Über dem Kanzeldach jubiliert ein fröhliches Gewusel von Engelsfiguren. Erstaunlich ist die Aufhängung der Kanzel: Schlüter ließ einen der mittelalterlichen Hauptpfeiler kappen, um eine barocke Stützenkonstruktion mit Eisenträgern unterzuschieben. Wie leicht hätte das Mittelschiff einstürzen können! Spätestens seit dem Münzturmdesaster galt Schlüter als unzuverlässiger Statiker. Womöglich wollte er sich durch die kühne Kanzelkonstruktion in der Marienkirche rehabilitieren. Das war extrem kostspielig, aber dem Künstlerarchitekten kam es dabei nicht aufs Honorar an. Mehr als die Hälfte der Baukosten hat er aus eigener Tasche bezahlt.
Im Begleitprogramm der Schlüter-Ausstellung finden Stadtspaziergänge zu seinen Werken statt. Außerdem erscheint ein gedruckter Stadtführer: Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Schlüter in Berlin. Hirmer Verlag, München 2014, 80 Seiten, 9,90 Euro.