Ein Literaturnobelpreis hier, einer dort: Die Aura ist weg
Der alternative Literaturnobelpreis ist eine schöne Anerkennung, aber eben nicht der "richtige": Über die Erneuerungsprozesse bei der Schwedischen Akademie.
Ob Haruki Murakami wohl auch den gewissermaßen „richtigen“ Literaturnobelpreis ausgeschlagen hätte? Weil er sich aufs Schreiben konzentrieren muss? Murakami stand nämlich mit Maryse Condé, Kim Thuy und Neil Gaiman in der Endrunde für den sogenannten alternativen Literaturnobelpreis, den „New Academy Prize in Literature“, und er hatte vor der endgültigen Entscheidung darum gebeten, seine Nominierung zurückzuziehen, weil er so intensiv in der Arbeit stecke.
Den Preis, den eine Gruppe von über 100 schwedischen Kulturschaffenden wegen der Turbulenzen in der Schwedischen Akademie und der Aussetzung des Literaturnobelpreises 2018 an seiner Stelle ausgelobt hatte (und für den mittels Crowdfunding 100 000 Euro als Preisgeld zusammenkamen), bekam dann die französische, 1937 auf der Karibikinsel Guadeloupe geborene Schriftstellerin Maryse Condé. Eine gute Wahl, keine Frage, eine mit der auch eine funktionierende Schwedische Akademie die Literaturwelt hätte überraschen können, wie einst mit V.S. Naipaul oder J.M. G. Clézio. Und trotzdem gab es dieses Jahr einen Phantomschmerz, hat nicht zuletzt Haruki Murakami mit seinem vorauseilenden Verzicht demonstriert, dass ein alternativer Literaturnobelpreis bei allem Respekt eine schöne Anerkennung, aber auch ein Muster ohne Wert ist, eben nicht der „richtige“ Literaturnobelpreis.
Katarina Frostenson wurde nahegelegt, auf ihren Sitz in der Akademie zu verzichten
Nur, wird es den noch mal geben? Im nächsten Jahr gar zweifach, mit einem Nachtrag 2018, dann vielleicht gar wirklich für den seit Jahren favorisierten Murakami? In Stockholm jedenfalls wird daran gearbeitet. Mit dem Juristen Eric M. Runesson und der Schriftstellerin Jila Mossaed hat die Schwedische Akademie zwei neue Mitglieder bekommen, anstelle der seit langem ihre Sitze ruhen lassenden Autorinnen Kerstin Ekman und Lotta Lotass, und dazu kommt auch der Göteborger Literaturhistoriker Martin Malm. Was auch dadurch möglich wurde, dass sich drei bislang abtrünnige Mitglieder der Akademie zu einer Mitabstimmung für diese Wahl bereit erklärt hatten.
Überdies hat die Schwedische Akademie in Person ihres Übergangsvorsitzenden Anders Olsen der Lyrikerin Katarina Frostenson nahegelegt, doch bitte nicht zurückzukehren in den Kreis der 18. Weil die Mitglieder auf Lebenszeit gewählt sind und die Statuten in dieser Hinsicht anscheinend nicht geändert werden können, liegt diese Entscheidung allein bei Frostenson, die im Zentrum des Skandals steht und deren Ehemann vor kurzem zu zwei Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Falls sie sich querstellt, will Olsen eine Kommission einsetzen, die untersuchen soll, ob und wie Frostenson gegen die Statuten der Akademie verstoßen hat (was er eigentlich so oder so tun sollte, die Vorwürfe der Vorteilsnahme, Steuerhinterziehung etc. stehen ja weiter im Raum).
Gut möglich also, dass 2019 alles wieder wird wie früher. Beschädigt sein wird die Akademie trotzdem über Jahre hinaus. Und ihre Aura, ihre Unfehlbarkeit, das Definitive, das die Verleihung eines Literaturnobelpreises immer hatte – all das ist unwiderruflich verloren.