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Nie ohne Nudelsalat. Ekkehard Maaß (r.) bei einem seiner Salons.
© ekkemaass.de

Der Literarische Salon in Prenzlauer Berg: Dichtertreff im Schatten der Stasi

Seit 1978 war Maaß Wohnung in der Schönfließer Straße Szenetreffpunkt - und stand bald im Schatten der Stasi. Eine Dokumentation präsentiert die aufmüpfigen Dichter der Tafelrunde.

Als Besitzer der Wohnung Schönfließer Str. 21 machte die Staatssicherheit 1981 „Maaß, Ekkehard, ohne Tätigkeit“ aus. Dabei war Untätigkeit so ziemlich das Letzte, was man dem umtriebigen Hausherrn dieser „gastlichen Wartehalle in der Bleiernen Zeit“ (Wolf Biermann) nachsagen konnte. Peter Böthig nennt das Institut, seit 1978 Treffpunkt der Dichter- und Künstlerszene im Prenzlauer Berg, in seiner Dokumentation „Sprachzeiten“ einen Literarischen Salon. Ekkehard Maaß hat sich dieses Etikett für seine noch immer existierende Tafelrunde gern zu eigen gemacht hat, an die er heute zahlende Gäste und Besuch zum „Preis nach Vereinbarung“ einlädt.

Insofern hat Wolf Biermann, einst sein Lehrmeister an Gitarre und Harmonium, recht, wenn er den fast unverändert um die legendäre Küche gruppierten Salon „eine Art lebendiges Museum der Zeitgeschichte“ nennt. Er selbst, 1976 ausgebürgert, hat es zwar erst 1989 nach dem Mauerfall betreten, aber den Zeitgeist fast unverändert wiedergefunden: „Alle Wände hoch bis zur Decke vollgepflastert mit Bildern, der fast gleiche Stil wie einst in meinen Chausseestr. 131. Aber doch alles ganz anders, schön exotisch...georgisch!“ Da freilich war die „gastliche Wartehalle“ bereits im Begriff, zum Asyl für Künstler der untergehenden Sowjetunion, speziell ihrer kaukasischen Völker zu werden.

Als Freund und Nachbar kam für ein Jahrzehnt der georgische Dichter deutscher Sprache, Giwi Margwelaschwili; der tschetschenische Dichter Apti Bisultanov floh 2002 hierher ins Exil. In Rheinsberg, wo Böthig Leiter des Tucholsky-Museums ist, wurde Bisultanov Stadtschreiber und erkämpfte sich das Asyl in Deutschland. Seit 1996 ist Maaß Präsident der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft mit Sitz in der Schönfließer Straße, die Nachtasyl für verfolgte Dichter und Künstler blieb. Schon die Stasi hatte in ihrer vielbändigen Ermittlungsakte „ständige Übernachtungen, Aufenthalt und Verpflegung negativ-feindlicher Personen“ festgehalten.

Böthigs Dokumentation nennt die Klarnamen der sechs aktivsten Spitzel

Warum sie den Treffpunkt der aufmüpfigen Szene so lange geduldet hat, bleibt offen. Dass Christa und Gerhard Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann oder Heiner Müller durch ihre Anwesenheit bei den Lesungen Schutz vor unmittelbaren Zugriffen gaben, mag eine Rolle gespielt haben. Auch dass sich im Lauf der Jahre internationale Prominenz von Allen Ginsberg bis Jewgeni Jewtuschenko und Bulat Okudschawa einfand. Doch ebenso plausibel ist, dass die Stasi glaubte, durch lückenlose Überwachung die Jungautoren unter Kontrolle zu halten.

Böthigs Dokumentation nennt die Klarnamen der sechs aktivsten Spitzel. Allen voran Sascha Anderson, der sich 1980 bei Maaß und dessen Frau Wilfriede mit der Bitte um „Asyl“ in der Schönfließer Straße einquartierte und der Staatssicherheit Verlaufsprotokolle und Tonbandmitschnitte der Lesungen lieferte. Sein Leugnen bis zuletzt und seine Entlarvung durch Biermann sind ein Stück Fernsehgeschichte. Doch auch Boethig verweigerte er noch den Abdruck seiner Texte, während er seinen Freundesverrat literarisch stilisierte („Verrat ist das richtige Wort“).Die tiefe Verletzung, die er den Freunden zufügte, ist noch zwischen den Zeilen der Dokumentation spürbar, die eine kommentierte Chronik der Lesungen mit Auszügen aus den Stasiberichten konfrontiert.

Keimzelle eines staatsunabhängigen Literatur- und Kunstbetriebs

Nur Wolf Biermann hat sich nie von solchen Verrenkungen blenden lassen. Nicht sein Freund Maaß, den er als Nachdichter und Interpreten von Bulat Okudschawa schätzte, aber die Dichter der „Prenzlauer-Berg-Connection“ (Adolf Endler) kamen ihm als „Wirr- und Wahnköpfe“ vor, ihre Literatur als „surrealistisch aufgemotzte Entpolitisierung“. Davon nimmt er in seinem Vorwort nichts zurück. Dass er damit allerdings auch Autoren der Tafelrunde politisch wie literarisch Unrecht tut, belegen Namen wie Uwe Kolbe, Bert Papenfuß, Katja Lange-Müller, Elke Erb und Jan Faktor.

Widerlegt wird die Legende, die ganze Szene sei eine Inszenierung der Stasi gewesen. Nicht umsonst musste sich Sascha Anderson einmal heftig ins Zeug legen, um Uwe Kolbes Vorschlag für einen unabhängigen Schriftstellerverband zu sabotieren. Und sein IM-Kollege „Villon“ (alias Lutz Gattner) meldete der Stasi, die „Gedichte“ von Bert Papenfuß „sollten ausreichend sein, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen“. Boethig, selbst Salon-Teilnehmer, bis er 1988 verhaftet und abgeschoben wurde, beharrt deshalb darauf, in den Lesungen die „Keimzelle für einen in den 80er Jahren sich entwickelnden staatsunabhängigen Literatur- und Kunstbetrieb“ zu sehen. Die Textproben belegen das und fügen sich zu einer Anthologie, die man als Fundus einer damals von der Stasi verhinderten Anthologie lesen kann.

Malereien und handgedruckte Einladungen aus dem Archiv

Noch eindrucksvoller sind die Kostproben der Malereien und handgedruckten Einladungen an den Wänden und aus dem Archiv des Salons. Auch sie ein Beleg für eine Kunstszene, die quer zum offiziellen Kulturbetrieb der DDR lag. Zu entdecken sind frühe Arbeiten von Penck, Ralf Kerbach, Hans Scheib und Cornelia Schleime, aber auch ein fast unbekanntes Hauptwerk subversiver Malerei von Rainer Bonar, der die Juroren der Kunsthochschule Weißensee mit einem als „Grablegung des Soldaten“ getarnten Bildnis Wolf Biermanns übertölpelte. Bonars Freitod 1996 deutet Biermann als Ausdruck der Verzweiflung „über die ungebrochenen Karrieren der skrupellosen Kunstkader, der ostalgischen Wendehälse in Ostberlin... Sein skandalöses Werk hängt bei Dir im Salon über dem Sofa, genau richtig in dieser geschichtsträchtigen Bude.“

Peter Böthig: Sprachzeiten. Der Literarische Salon von Ekke Maaß. Eine Dokumentation von 1978 bis 2016, Lukas Verlag, Berlin 2017. 304 Seiten, 25 €.

Hannes Schwenger

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