Ruprecht Polenz im Gespräch: „Deutschland will sich seiner kolonialen Verantwortung stellen“
Im Deutschen Historischen Museum diskutiert ein Symposium über die Rückgabe eines Wappenpfeilers an Namibia. Ein Gespräch mit dem Verhandler Ruprecht Polenz.
Der Seefahrer Diogo Cão ließ vor 500 Jahren eine dreieinhalb Meter hohe Sandsteinsäule mit portugiesischem Wappen am Kreuzkap im heutigen Namibia aufstellen. 1894 nahm das Deutsche Kaiserreich das Gebiet als Teil der Kolonie Deutsch- Südwest-Afrika in Beschlag, die Säule wurde nach Berlin verfrachtet.
Heute steht sie in der Dauerausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM). Die Regierung von Namibia verlangt die Rückgabe. Ein Symposium im DHM debattiert den Fall am Donnerstag, 7. Juni. Anmeldung erforderlich, Teilnahme frei. Zu den Referenten gehören Ethnologen, Politiker und Museumsleute aus Afrika und Europa. Mit dabei ist Ruprecht Polenz. Der 72-jährige Jurist und ehemalige CDU-Generalsekretär ist Sondergesandter der Bundesregierung für deutsch-namibische Beziehungen.
Herr Polenz, die Regierung von Namibia fordert die Restitution der Säule vom Kreuzkap. Das Deutsche Historische Museum versucht, die Angelegenheit in einem Symposium zu klären. Kann das gelingen?
Ich finde den Weg, den das DHM geht, gut. Das Museum sagt: Wir haben hier ein Objekt mit einer jahrhundertelangen Geschichte, es ist bei uns in Berlin, wie wollen wir in Zukunft damit umgehen? Das ist ein guter Ausgangspunkt, um zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.
Als Namibia-Beauftragter verhandeln Sie vor allem über den Umgang mit dem Völkermord, bei dem von 1904 bis 1908 zehntausende Herero und Nama starben. Die Gespräche sind kompliziert, spielt der Disput um das Kreuz dabei eine Rolle?
Das Thema, das ich mit meinem namibischen Counterpart verhandle, ist breiter angelegt. Der Disput um die Säule ist darin durchaus mitumfasst. Meine Aufgabe ist es aber nicht, über einzelne Kulturgüter zu verhandeln, die zum Beispiel im Besitz deutscher Museen sind. Die Regierung kann nur ein Klima schaffen, in dem solche Gespräche gut geführt werden können. Ich denke beim Symposium werden sich Schlussfolgerungen ergeben, wie man mit dem Kreuz umgehen kann und will. Ich bin selbst sehr gespannt.
Was genau verhandeln Sie, geht es dabei auch um die Rückgabe von Kulturgütern?
Deutschland will sich seiner kolonialen Verantwortung stellen. Wir halten das für eine moralische Verpflichtung. Wir wollen mit der namibischen Seite über politische Lösungen sprechen. Es geht um die Entwicklung einer gemeinsamen Erinnerungskultur. Dazu haben wir vorgeschlagen, eine deutsch-namibische Zukunftsstiftung zu gründen. Die könnte sich auch mit Provenienzforschung beschäftigen. Ich bin in die Rückführung von Gebeinen involviert, die in Museumssammlungen und teils auch in universitären Sammlungen sind. Die Gebeine sind Anfang des 20. Jahrhunderts zu „Forschungszwecken“ von Namibia nach Deutschland verbracht worden. Zweimal sind bereits Gebeine nach Namibia überführt worden. Wir bereiten jetzt gerade sehr sorgfältig eine weitere Rückführung vor. Wir legen großen Wert darauf, dass das in Würde geschieht. Auch weil das bei den vergangenen Rückführungen nicht so gut geklappt hat.
Wird es einen finanziellen Ausgleich geben?
Wir fragen uns, was wir heute tun können, um Wunden aus der Kolonialzeit zu heilen. Dafür haben wir einen Pakt vorgeschlagen, der sich besonders an die damals hauptbetroffenen Communities der Herero und Nama richtet. In deren Gebieten wollen wir etwas für Jugendliche tun, Einrichtungen für die berufliche Bildung etablieren. Preiswerter Wohnraum soll entstehen und Elektrizitätsversorgung in Gegenden, die nicht am allgemeinen Stromnetz sind. Wir wollen auch an der Landreform mitwirken.
Könnte das Museum die Kreuzsäule einfach zurückgeben oder muss die Bundesregierung zustimmen?
Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Auch die Frage, inwieweit der Staat da überhaupt Zuständigkeiten hat. Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Da bin auf das Symposium gespannt. Das ist insofern auch für mich eine Lernveranstaltung.
Die Zuständigkeiten sind also unklar. Könnte es Teil des Symposiums sein, darüber zu verhandeln?
Ja. Was ich mir vor allem erhoffe, ist ein Einvernehmen, wie man in Zukunft mit Kulturgütern umgeht.
Warum hat Berlin sich bislang geweigert, das Kreuz zurückzugeben?
Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen: Es gab auch schon mal eine Rückgabeforderung von portugiesischer Seite. Portugal hat ja dieses Kreuz errichtet, als Zeichen dafür, wo es die Grenze seines Reiches sah. Ob die portugiesischen Ansprüche noch bestehen, weiß ich nicht. Da wird das Symposium hoffentlich weitere Einsichten bringen.
„Statt nach Besitz, könnte man nach Interessen fragen“
Der Philosoph Achille Mbembe fordert den Aufbau und Unterhalt von Museen in Afrika, bezahlt von den ehemaligen Kolonialmächten. Gute Idee?
Im Moment sind alle Ideen willkommen. Einzelne Maßnahmen müssen dann letztlich von denen entschieden werden, die unmittelbar involviert sind, etwa die Museen. Wenn es konkrete Vorstellungen gibt, dann könnte der Staat auch bei der Umsetzung helfen.
Vertreter der Herero und Nama haben eine Sammelklage vor einem Gericht in New York angestrengt. Sie fordern Reparationszahlungen für den Genozid. Die Bundesregierung sieht diese Klage nicht als rechtmäßig an. Wo stehen Sie mit den Verhandlungen im Moment?
Wir haben uns sechs Mal getroffen, das siebte Treffen ist in Vorbereitung. Wir erarbeiten einen gemeinsamen Text, der die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 beschreibt. Eine Arbeitsgruppe bereitet das rechtliche Gerüst der Zukunftsstiftung vor. Wir sind auf einem guten Weg. Doch durch die gleichzeitige Klage in New York verzögern sich die Dinge im Augenblick etwas.
Warum?
Es hat ja bereits zwei Klageversuche gegeben, die das Gericht beide Male wegen Unzuständigkeit gar nicht erst angenommen hat.
Könnte das Gericht die Klage dieses Mal annehmen?
Davon geht die Bundesregierung nicht aus. Ich habe auch keine gutachterliche Stellungnahme von unabhängigen Völkerrechtlern gelesen, die das anders sehen.
Wovon hängt ab, was in die Verhandlungsmasse kommt?
Es hängt davon ab, was die eine oder andere Seite thematisiert. Wir haben zum Beispiel auch über die Witbooi-Bibel gesprochen.
Die Familienbibel des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi, die im Stuttgarter Linden-Museum liegt.
Aber auch die Witbooi-Bibel wurde nur stellvertretend genannt. Was wir tun können, ist einen Rahmen verhandeln, innerhalb dessen die einzelnen Themen bearbeitet und gelöst werden.
Wie könnte dieser Rahmen aussehen?
Ich kann mir eine Art Clearing-Stelle vorstellen, bei der man sich melden kann, sei es weil ein Museum in Deutschland Dinge in den Beständen hat, über die es Zweifel hegt, sei es weil die namibische Seite sagt, wir vermissen etwas. Ich würde mir wünschen, dass Win-Win-Situationen daraus entstehen. Man sollte Lösungen finden, die einen verbindenden Charakter haben, grade wenn es um Kulturgüter mit übernationaler Bedeutung geht.
Wie meinen Sie das?
Ein Objekt kann nur an einem Ort sein. Statt nach Besitz, könnte man nach Interessen fragen. Durch wechselnde Ausstellungen in verschiedenen Ländern könnte diesen Interesse möglicherweise entsprochen werden.
Kann es überhaupt etwas wie historische Gerechtigkeit geben?
Man kann Vergangenheit nicht rückgängig machen. Man kann nur versuchen, richtig damit umzugehen. Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt und zeigen müssen, dass das möglich ist. Wenn Sie daran denken, dass Israel Deutschland jetzt als zweitbesten Verbündeten nach den USA sieht, wenn Sie sehen, wie das deutsch-französische Verhältnis ist, dass das deutsch-polnische Verhältnis immer besser wird – diesen Weg müssen wir auch gegenüber einer früheren Kolonie wie Namibia gehen.
Das Gespräch führte Birgit Rieger
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