Provenienzforschung: Was tun mit Kriegstrophäen?
Mehr Systematik, mehr Vernetzung: eine Dahlemer Diskussion zur Provenienzforschung.
Flucht nach vorne, nennt man das wohl. Das Humboldt-Forum musste in den letzten Wochen heftige Kritik einstecken. Man kümmere sich zu wenig um die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und die Provenienzen von Objekten, die bald im Schloss ausgestellt werden sollen. „Gehört Provenienzforschung zur DNA des Humboldt Forums?“, lautete der wohl rhetorische Titel der Podiumsdiskussion in Dahlem. Draußen hatten sich Protestler vom Verein „Berlin postkolonial“ versammelt, die vor allem einen Dialog mit Wissenschaftlern und Personen aus den Herkunftsländern fordern.
Drinnen sitzen dann doch nur Funktionäre und Forscher aus der Preußenstiftung und der Humboldt-Uni auf dem Podium. Warum?, fragt Moderatorin Maria Ossowski gleich zu Beginn. Stiftungspräsident Hermann Parzinger hat die Antwort schon parat. Die Diskussion sei Auftakt für eine Veranstaltungsserie, die verschiedene Gesprächspartner zusammenbringe. Zunächst soll geklärt werden: „Wie arbeiten wir? Wo sind die Schwierigkeiten unserer Arbeit?“
Gesammelt haben überwiegend Kolonialbeamte und Militärs
Eine öffentliche Bestandaufnahme also. Um die 10.000 Objekte aus Tansania, dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika, lagern im Ethnologischen Museum, berichtet Lili Reyels, Kuratorin am Humboldt Lab Tanzania. Die meisten gelangten während der deutschen Kolonialzeit in Ostafrika in das Berliner Königliche Museum für Völkerkunde. Gesammelt haben überwiegend deutsche Kolonialbeamte und Militärs. So befindet sich im Depot Kriegsbeute aus dem Maji-Maji-Aufstand, der sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft wendete und 300.000 Todesopfer forderte. In zwei Projekten werden einige Objekte auf ihre Erwerbungsgeschichte hin untersucht: ein sogenanntes Kriegsblech, dessen arabische Inschrift gemeinsam mit Wissenschaftlern von der Universität Dar Es Salaam entschlüsselt wurde.
Wohin mit den Emotionen, die die Forschung auslöst
Bereits durch Zeigen von Objektfotos vor Ort seien Erinnerungen aktiviert worden, so die Wissenschaftlerinnen. Außerdem wurden einige Objekte im Maji-Maji Memorial Museum ausgestellt. Was Standard in der Provenienzforschung sein sollte, ist in den Tansania-Projekten Besonderheit: die Zusammenarbeit mit afrikanischen Kollegen, die es auch im Humboldt-Forum geben soll. Ist das ein erster Schritt in Richtung gemeinschaftlicher Gedenkkultur?, fragen die Forscherinnen. Und: Wohin mit den Emotionen, die eine Forschung über Kriegsbeutestücke bei Fachleuten und Zivilgesellschaft in beiden Ländern auslöst?
Tja, wohin? Nicht nur diese Frage hätte längst gestellt werden müssen, spätestens seit 2002 der Umzug der Dahlemer Museen ins Humboldt Forum beschlossen wurde. Auch hätten längst Forschungsbeziehungen zu ehemaligen Kolonien aufgebaut werden können, so Larissa Förster, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage an der Humboldt-Uni. In den ethnologischen und völkerkundlichen Berliner Sammlungen betreiben viele Kuratoren bereits Provenienzforschung, sagt Viola König, scheidende Direktorin des Ethnologischen Museums. Ein wunder Punkt: „Wenn jemand in Rente geht, ist ein riesiger Wissensschatz einfach weg.“ Eine Digitalisierung, Speicherung und Verbreitung des gesammelten Wissens ist umso wichtiger. Aber noch nicht weit fortgeschritten.
Parzinger plädiert für einen Forschungscampus in Dahlem
All das kostet Geld, man braucht Mitarbeiter, neue Stellen. Zumal die Zahl an ethnologischen Objekten, die in Berlin noch nicht beforscht sind, riesig ist. Dagegen seien 99 Prozent aller Exponate im Berliner Museum für Naturkunde bearbeitet, tönt Johannes Vogel, Generaldirektor des Hauses. Anhand der naturkundlichen Objekte wird etwa die Auswirkung des Klimawandels auf die Umwelt erforscht, Zukunftsfragen, die viele Menschen interessieren. Außerdem sei ein riesiges Digitalisierungsprojekt für naturkundliche Sammlungsbestände im Gange, für das stolze 370 Millionen Euro Kosten kalkuliert wurden, so Vogel. Berlins Naturkundliche Sammlung soll zur globalen wissenschaftlichen Infrastruktur werden und Forschern aus aller Welt dienen.
Auch für die ethnologischen Sammlungen wäre eine solche Entwicklung sinnvoll. Allerdings gibt es schon bei der Digitalisierung Fragen: Sprach-, Transkriptionsprobleme. Was kann das Humboldt Forum dazu beitragen? Kann es neben einem Ort für politischen und gesellschaftlichen Austausch auch Forschungsstelle sein? Hermann Parzinger plädiert einmal mehr für einen Forschungscampus am Standort Dahlem: Geld soll her, das möglichst nicht nur ans Humboldt Forum gekoppelt ist.