10 Jahre Helmut Newton im Fotomuseum Berlin: Der zweite Aufguss
Vor zehn Jahren wurde das Berliner Fotomuseum eröffnet. Sein Herzstück ist der Nachlass von Helmut Newton. Impulse gehen von dem Haus nicht aus, zum Jubiläum zeigt es dieselbe Doppelausstellung wie damals.
Ein halbes Jahr waren Helmut und June Newton in Berlin unterwegs gewesen, auf der Suche nach einem Gebäude, in dem künftig ihre Fotos gezeigt werden sollten. Vergeblich. Dann brachte ein Mitarbeiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie in die Charlottenburger Jebensstraße, zu einem wilhelminischen Prachtbau, in dem zuletzt die Kunstbibliothek untergebracht gewesen war. Helmut Newton ließ seinen Blick über die Fassade wandern und drehte sich um zum Bahnhof Zoo. „Das ist es“, befand er. „Hier bin ich 1938 abgefahren und habe Berlin verlassen.“ In seinem Gepäck waren damals zwei Kameras.
Der Sohn aus einer jüdischen Knopffabrikantenfamilie, aufgewachsen in Schöneberg, emigrierte über Singapur nach Australien und brachte es als Fotograf schließlich zu Weltruhm. Aber das Heimweh nach seiner Vaterstadt sei er nie losgeworden, versichert seine Witwe June, die unter dem Pseudonym Alice Springs selber ein beachtliches fotografisches Œuvre geschaffen hat.
Die Anekdote von der schicksalshaften Entdeckung des ehemaligen Landwehrcasinos durfte nicht fehlen bei der Pressekonferenz, mit der die Helmut Newton Stiftung am Mittwoch das zehnjährige Bestehen des Museums für Fotografie feierte. June Newton, aus Los Angeles angereist, war am Dienstag 91 Jahre alt geworden. Sie fotografiert nicht mehr, fährt nicht Auto („the party is over“), aber ihr Enthusiasmus wirkt ungebrochen. „Dies ist mein zweites Zuhause“, sagte sie über das Museum. „Weil er hier ist.“ Er, Helmut Newton, ist Anfang 2004 nach einem Autounfall in Los Angeles gestorben. Die Stiftung hatte er noch selbst gegründet, die Eröffnung des Gebäudes dann aber nicht mehr erlebt.
Das Fotomuseum koch im eigenen Saft
Im Fotomuseum soll Newtons fotografisches Vermächtnis in wechselnden Ausstellungen präsentiert werden. Das geschieht tatsächlich, zum Jubiläum werden die beiden Ausstellungen „Us and Them“ und „Sex and Landscapes“ gezeigt, die 140 Werke von Helmut und June Newton versammeln. Außerdem war es der Wunsch des Fotografen, dass aus dem Haus eine „lebendige Institution“ werden möge. Doch davon kann keine Rede sein. Impulse gehen von dem Museum mit seinen prachtvollen Räumen schon lange nicht mehr aus. Man kocht im eigenen Saft.
Eindrucksvolle Ausstellungen hat es in dem Haus durchaus gegeben, über die Aktfotografie um 1900, das Japan der Nachkriegszeit oder die Bilder von Celebrity- und Paparazzi-Fotografen. In den Anfangsjahren kamen noch Fotostars wie David LaChapelle, James Nachtwey und Raymond Depardon in die Jebensstraße. Zuletzt waren es aber nur noch junge Talente und zweitklassige Newton-Adepten, die ihre Fotos dort aufhängten. Das mag auch mit institutionellen Reibereien zu tun haben, schließlich teilen sich die Fotografie-Sammlung der Kunstbibliothek und die Helmut Newton Stiftung die 2000 Quadratmeter Museumsfläche. Die Stiftung nutzt die beiden unteren Etagen, die Fotosammlung den Kaisersaal im zweiten Obergeschoss. Es wäre wichtig, dass das Fotomuseum gerade jetzt kraftvoll auftritt. Denn im Herbst will die Galerie C/O Berlin ihren neuen Standort im Amerika-Haus eröffnen, das nur ein paar Schritte entfernt liegt.
Die Stiftung übertreibt es mit dem Personenkult
Von einem neuen „Zentrum für Fotografie“, das einen „deutlichen Akzent im anderen Teil der Stadt“ setze, hatten Kulturpolitiker geschwärmt, als der Umzug der überaus lebendigen Institution C/O Berlin von Mitte nach Charlottenburg unter Dach und Fach war. Das Quartier würde glänzen. Helmut Newton ist eine überragende Figur der jüngeren Fotogeschichte. Aber die gleichnamige Stiftung übertreibt es mit dem Personenkult. Kritische Neubewertungen des Werks sind nicht erwünscht. In Newtons Nachlass existieren noch zahlreiche unbekannte Fotos und Kontaktbögen, die einen Blick in seine Werkstatt ermöglichen würden. Doch die Stiftung will sie nicht zeigen, wie ihr Direktor Manfred Heiting feststellt. Newtons Werk sei „das, was er publiziert“ habe. „Wir wollen das Archiv erhalten, nicht den Künstler umdefinieren.“
Ausstellungsrecycling: Der zweite Aufguss.
Wie erstarrt die Institution Fotomuseum ist, zeigt die aktuelle Doppelausstellung. Denn sie ist nur ein zweiter Aufguss, „Us and Them“ und „Sex and Landscapes“ waren schon 2004 zur Eröffnung des Hauses zu sehen. Bloß dass es damals noch zwei Begleitbücher gab, die heute vergriffen sind. Darüber war sogar June Newton entsetzt, die Präsidentin der Stiftung: „Man hätte sie nachdrucken müssen.“ Kuratorisch ist das Ausstellungsrecycling eine Bankrotterklärung. Aber zu sehen sind Fotos, die zweifellos zu den besten Werken von Helmut Newton gehören – und beweisen, dass er mehr war als bloß ein Mode- und Aktfotograf.
Reise durch das Leben und die Liebe des Fotografenpaares
„Us and Them“ funktioniert wie eine Reise durch das Leben und die Liebe des Fotografenpaares. Helmut hat June Newton bereits 1951 in Melbourne abgelichtet, als Schauspielerin in der Rolle von Oscar Wildes „Salome“ posierend. Sich selber hat er in der Badewanne, nackt und mit den Pfropfen eines EKG-Geräts behängt in einem New Yorker Krankenhaus und vor Courbets Skandalgemälde „Der Ursprung der Welt“ im Pariser Musée d’Orsay aufgenommen. Erhellend sind die Porträts, die June und Helmut Newton jeweils von denselben Personen gemacht haben. David Hockney zeigt sie frontal, würdevoll ein Einstecktuch tragend – er rückt dem Maler ganz nah auf die Pelle, das Hörgerät in Großaufnahme. Dennis Hopper trägt bei ihr einen zerschlissenen Pullover, der Star als Tramp – bei ihm einen Business-Anzug und in der Hand ein Exposé, ein fuchtelndes Investment-Männchen. Helmut Newton inszeniert, June Newton beobachtet.
Helmut Newton hat gerne provoziert, einige seiner Fotos waren ein Frontalangriff auf die Scham- und Moralgrenzen der Zeitgenossen. „Sex and Landscapes“ besticht durch delikate Bildkombinationen. Eine rauchende Nackte mit Augenmaske hängt neben einer schwarz-weißen Hafenansicht, auf der hell illuminierte Schiffe verwischt vorüberziehen. Hinreißend ist das „Stillleben in meinem Hotelzimmer“, entstanden 2001 in New York. Zeitungen, Äpfel und verwelkte Blumen vereinigen sich zum Vanitas-Symbol, hinter einer Champagnerflasche erkennt man das zerwühlte Bett. Nächtliche Straßenbilder erinnern an den Film noir. Am stärksten sind Fotos, die aus Newtons Leben erzählen, etwa eine Aufnahme vom Grunewaldsee. Der Wind bewegt das schiefergraue Wasser, Wellen schwappen ans Ufer. Der Himmel ist weiß und leer.
Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 16. November, Di/Mi, Fr–So 10–18 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr.
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