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Hier geht's lang: Oliver Stone mit "Snowden"-Titelheld Joseph Gordon-Levitt bei den Dreharbeiten.
© graypictures/Universumfilm

Oliver Stone - ein Porträt zum 70.: Der zornige Patriot

Oliver Stone liegt mit Amerika im Krieg, weil er sein Land so sehr liebt: Jetzt bringt er „Snowden“ und den NSA-Skandal ins Kino. Eine Begegnung mit dem Regisseur zu seinem 70. Geburtstag.

Kaum setzt man sich hin, legt er schon los. Selbst mit Jetlag und Erkältung ist Oliver Stone ein energischer, von Leidenschaft getriebener Mann, eine Kämpfernatur mit buschigen Brauen, tiefer Stimme und hohem Sprechtempo. Irgendwann in diesen gut 30 Interviewminuten in München im Bayerischen Hof wird er sagen: „Was mich antreibt, ist der Zorn.“ Der Zorn über sein Land, das er so liebt.

Oliver Stone, der passionierte Patriot, den sie gern einen Vaterlandsverräter schimpfen, der Filmemacher, der mit Amerikas Macht- und Profitstreben im Krieg liegt, seitdem der Vietnamkrieg ihn traumatisierte und politisierte – er wird 70 an diesem Donnerstag. Eigentlich wollen wir über seinen „Snowden“-Film reden, der jetzt in den USA und nächste Woche in den deutschen Kinos startet. Aber dann verblüfft er einen derart mit Äußerungen zu Donald Trump, dass Fragen zum Werk sich fast schon verbieten.

Oliver Stone: Trump ist ein Protz, aber Clinton ist gefährlich

Stone lernte Trump kennen, als er für „Wall Street 2“ mit ihm drehte, eine Szene, die es nicht in den Film schaffte. „Ein unwiderstehlicher, charmanter Typ. Er sagt verrückte Sachen und erschreckt die Leute, aber er ist nicht das eigentliche Problem.“ Stone redet sich in Rage. Trump sei zwar ein Protz, aber längst nicht so dumm wie George W. Bush, Stones Kommilitone in Yale. Hillary Clinton mache ihm größere Sorgen. „Sie ist eine Hardlinerin, die schlimmste Außenministerin, die das Land je hatte, immer bevorzugt sie die militärische Lösung. Sie bringt Amerika an den Rand des Kriegs, so wie sie über Iran, Putin und China redet.“

Wie bitte? Der Sohn eines Börsenmaklers, der mit „Platoon“, „Wall Street“ und „Natural Born Killers“ US-Filmgeschichte schrieb und umstrittene Dokumentarfilme über Fidel Castro oder Hugo Chavez drehte, erregt sich weniger über Trump als über Clinton? „Die Leute sind begeistert, weil sie eine Frau ist, aber genügt das? Ich werde 70, man sammelt doch Erfahrungen im Leben! Sie ist 68 und hat nichts begriffen.“ Trotzdem, so räumt der Bernie-Sanders-Anhänger ein, hofft er, dass Clinton gewinnt und von den vernünftigen Demokraten in Schach gehalten wird.

Oliver Stone ist ein Verzweiflungstäter, der mit seinen eigenen Widersprüchen kämpft. Gegen Bushs Anti-Terror-Krieg wetterte er mehr als gegen die Attentäter von 9/11 – und brachte mit „World Trade Center“ einen Heldenfilm über die Feuerwehrleute in den Twin Towers heraus. Ein Berserker, der sich an der Macht reibt, der die Mächtigen begreifen will. Was kann ich für mein Land tun? Filme drehen. Über die mutmaßlichen Hintermänner bei der Ermordung Kennedys („JFK“), über Vietnamveteranen, die wie er selber zu Kriegsgegnern werden („Born on the 4th of July“), über die Gier (die Wallstreet-Filme) und die Schattenseiten der US-Geschichte (die TV-Serie „The Untold History of the United States“).

Der bad guy ist bei ihm oft Amerika selbst. Weil es vom Dollar und von Waffen regiert wird, sagt Stone. Nach dem 11. September 2001 habe Amerika sein moralisches Gleichgewicht endgültig verloren. „Fast alle Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg gehen auf unser Konto. Weil wir anders als die Europäer nie einen Krieg im eigenen Land erlebten, gehen wir leichtfertig damit um und verehren das Militär, als seien Soldaten nicht nur ein notwendiges Übel.“ Wegen solcher Sätze hassen sie ihn in Amerika, allen Kassenerfolgen zum Trotz.

Edward Snowden hat ihn beeindruckt, als mutigen Mann

Aber er hört nicht auf, „Wir“ zu sagen. „Wir sind das Imperium des Chaos, aber statt die Verantwortung für unseren Schlamassel zu übernehmen, machen wir uns aus dem Staub. Wo kommen all die Flüchtlinge in Europa denn her?“ Stone schlägt Haken, spricht die Sätze nicht zu Ende, ist schon beim nächsten Gedanken. Edward Snowden hat ihn beeindruckt, als der CIA-Mitarbeiter 2013 seine Existenz aufs Spiel setzte, um die umfassenden Überwachungsmethoden der NSA zu enthüllen. Stone war mit einem Drehbuch über Martin Luther King beschäftigt – ein Projekt, aus dem nichts wurde –, als Anatoly Kucherena ihn kontaktierte, Snowdens russischer Anwalt.

Neun Mal trifft Stone den ehemaligen CIA-Computerexperten dann in seinem russischen Asyl, das Script für den Film schreibt er zusammen mit Kieran Fitzgerald. Die großen Hollywood-Studios lehnen ab, der Whistleblower gilt in den USA als Schwerverbrecher. „Ohne den deutschen Produzenten Moritz Borman wäre es nicht gegangen“, sagt Stone. Er klingt jetzt wie ein Verschwörungstheoretiker, von wegen der schier unüberwindlichen Hindernisse und der Sicherheitsmaßnahmen für Buch und Team. Gedreht wurde unter dem Decknamen „Sacha“, auch mit deutschen Fördergeldern (ein Zehntel des 50-Millionen-Euro-Budgets): in München, Moskau, Hongkong, Washington und auf Hawaii.

Das Licht im Zimmer stört Oliver Stone, er springt auf, knipst eine Stehlampe aus. „Ich bin nervös, kleine Sachen machen mich verrückt.“ Er schwärmt von dem Journalisten Glenn Greenwald, der Snowdens Material publik machte, spricht mit Respekt über Laura Poitras und ihren ebenfalls in Deutschland realisierten, oscar-prämierten Snowden-Dokumentarfilm „Citizenfour“. Dem „New York Times Magazine“ zufolge haben die beiden sich nicht gut verstanden. Das Alpha-Tier Stone und die besonnene Poitras, die Chemie stimmte wohl nicht.

Ein Typ sitzt am Computer, wie macht man daraus einen Thriller?

Im Film schmuggelt Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) den Chip mit den geleakten Daten im Zauberwürfel durch die Kontrollen.
Im Film schmuggelt Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) den Chip mit den geleakten Daten im Zauberwürfel durch die Kontrollen.
© Universumfilm

Der Film nimmt sich in Teilen allerdings aus wie eine getreue Nachinszenierung von „Citizenfour“. Die Szenen im Hotel Mira in Hongkong zum Beispiel, mit Joseph Gordon-Levitt, der den damals 29-jährigen Snowden bis in kleinste Gesten hinein authentisch verkörpert, mit Melissa Leo als Poitras und Zachary Quinto als Greenwald. Die größte Herausforderung bestand allemal in der Versinnlichung eines abstrakten Geschehens. Der junge Snowden heuert bei den US Special Forces an, kriecht bebrillt durch den Schlamm, bricht sich beide Beine, das war’s dann schon mit der Action. Als hochbegabter Programmierer kann er seinem Land als CIA-Computerspezialist dienen, aber es ist langweilig, „einem Menschen zuzusehen, der Programme schreibt,“, so Stone. „Es gibt keine Gangster, keine Schießerei, nur einen Typen, der in einem Kabuff sitzt und Zahlen tippt.“ Mit der NSA sei es wie mit der Bürokratie in George Orwells „1984“: „Wir stochern im Nebel“. Dank Snowden habe sich das ein wenig geändert.

"Ich habe doch nichts zu verbergen": Das sagt im Film Snowdens Freundin

Das Bemühen um Dramatisierung verleiht dem Film etwas Angestrengtes. Big Brother wird mit Schauwerten aufgemotzt, mit schnellen Schnitten, explodierenden Computer-Diagrammen, Zooms auf Überwachungskameras. Den Chip mit den geleakten Daten versteckt Snowden in einem Zauberwürfel, den er durch die Kontrollen schmuggelt. Und natürlich braucht es eine Liebesgeschichte, um den Cyberspionagekrimi zu emotionalisieren. Zum Glück gibt es Lindsay Mills (Shailene Woodley), die Frau, von der Snowden sich schweren Herzens auf immer verabschieden zu müssen glaubt, wegen seiner Mission. Heute lebt sie mit ihm in Russland.

Stone ist geschickt genug, die populären Einwände gegen Überwachungsangst und Datenschutz im Rahmen der Lovestory zu thematisieren und den Satz „Ich habe doch nichts zu verbergen“ Lindsay in den Mund zu legen. Beim Sex klebt Snowden ein Pflaster über die Laptop-Kamera. Der letzte Auslöser für Snowdens Entscheidung, das ungeheure Ausmaß der Ausspähung öffentlich zu machen, ist im Film die detaillierte Kenntnis eines Kollegen über das Geschehen in Lindsays Schlafzimmer. Snowden brauche sich keine Sorgen zu machen, sie sei ihm treu.

Beim Sex hört die politische Indifferenz der Amerikaner bekanntlich auf, Stone spielt bewusst auf dieser Klaviatur: Dem Comedian John Oliver war es 2015 gelungen, die scharfen Antiterrorgesetze des Patriot Act zu kippen, indem er über ein etwas anderes Snowden-Interview deutlich machte, dass der Geheimdienst private Penisfotos im Netz abgreifen kann.

Der Regisseur ist jetzt wieder im Erregungsmodus. Er spricht sarkastisch vom militärisch-industriellen Glücksmanagement-Komplex, vom Polizeistaat USA, von Gewalt, Korruption und Konsumkultur. Davon, dass die Medien feige sind und der legendäre Watergate-Reporter Seymour Hersh nicht mehr in Amerika publiziert, sondern in der „London Review of Books“. „Sicherheit ist wichtiger als Freiheit“, den Satz sagt im Film Snowdens CIA-Mentor. Seit 9/11, so Stone, ist die Nation darauf konditioniert. „Der Schutz der Privatsphäre ist im vierten Verfassungszusatz verankert, aber wir kriminalisieren Snowden, wie die anderen Whistleblower auch.“

Stone: Filme werden vergessen, Gesetze bleiben in Kraft

Popularisierung als politischer Akt: Stone macht sich dennoch keine Illusionen darüber, dass sein Film die Überwachung wieder auf die Agenda setzen könnte. Zwar wurde der zweimal verschobene Start nun mitten in den Wahlkampf platziert (und an den Beginn der Oscar-Saison), „aber Filme werden gedreht und vergessen, während Gesetze in Kraft bleiben – auch wenn der Staat sich selber nicht dran hält“. Von Bildern lasse sich das Publikum ohnehin kaum noch wachrütteln.

„Wir könnten in einer anständigen Welt leben, aber mein Land hat es vermasselt,“ lautet sein Mantra. Kein US-Politiker könne die Idee von Zärtlichkeit, Sanftheit oder Frieden vermitteln. „Warum diese Härte?“ Stone kann sich nicht abfinden damit, Resignation ist ihm fremd, er schläft lieber schlecht, bleibt ein Sturkopf. Bei der Weltpremiere auf dem Filmfest Toronto wünschte er sich, dass Obama Snowden begnadigt. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade hat der US-Präsident erneut verlangt, dass Snowden sich stellt. Ihm drohen 30 Jahre Haft in den USA. Donald Trump möchte die Todesstrafe für ihn.

"Snowden" startet am 22. September in den deutschen Kinos.

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