Festivals im Burgenland: Der Wind hat mir ein Lied erzählt
Zwei deutsche Frauen leiten die wichtigsten Festivals im österreichischen Burgenland in Mörbisch und St. Margarethen – und trotzen bei ihren Premieren widrigen Bedingungen.
Das Burgenland hat in den Sommermonaten so viele Veranstaltungstickets im Angebot wie kein anderes Bundesland Österreichs. Eigentlich ist die Region rund um den Neusiedlersee eine eher verschlafene Gegend, traditionell im toten Winkel Wiens gelegen, wirtschaftlich schwach, weil von den großen Handelsrouten abgekoppelt – und zu Zeiten des eisernen Vorhangs auch noch kapitalistisches Zonenrandgebiet an der Grenze zu Ungarn und Slowenien. Wenn aber die Bühnen der nahen Hauptstadt – nach einem Gesetz, das noch aus der Kaiserzeit stammt – Ende Juni ihre Pforten dicht machen, erwacht der Landstrich zu einem kulturellen Leben von erstaunlicher Vielfalt. An der Spitze der beiden bedeutendsten Festivals des Bundeslandes stehen dabei zwei Frauen aus Deutschland, die beide während der prägenden Jahre ihrer Karriere in Berlin gearbeitet haben.
Maren Hofmeister war Castingdirektorin an der Lindenoper, bevor sie im April als Intendantin nach St. Margarethen wechselte. In einem Steinbruch von imposanten Ausmaßen, der schon zu Römerzeiten angelegt wurde und im 19. Jahrhundert das Material für die Prachtbauten der Wiener Ringstraße lieferte, wird seit 1996 Oper gespielt. Noch traditionsreicher sind die Seefestspiele Mörbisch, 1955 gegründet und auf Operette spezialisiert. Hier beerbte vor drei Sommern die lange an der Komischen Oper engagierte Sopranistin Dagmar Schellenberger den Intendanten Harald Serafin, einen Küss-die-Hand-Kavalier wie aus dem Bilderbuch, der die Ästhetik des Festivals ein Vierteljahrhundert geprägt hatte. Eine Frau, eine berufliche Quereinsteigerin, eine Preußin noch dazu: Für Dagmar Schellenberger war es nicht leicht, sich durchzusetzen. Zumal dem potenziellen Publikum das Geld nicht mehr so locker sitzt wie vor den Euro-Krisen-Zeiten.
"Tosca" im Steinbruch, Johann Strauß auf der Seebühne
Gerade einmal 14 000 Einwohner hat Eisenstadt, das Hauptstädtchen des Burgenlandes, 6000 Plätze gilt es allabendlich in Mörbisch zu füllen, weitere 4000 im wenige Kilometer entfernten St. Margarethen. 18 Abende sind im Römersteinbruch bis Mitte August angesetzt, 22 Mal wird bis zum 22.8. auf der Seebühne Operette gespielt. Da kann das Wetter zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor werden, denn auf beiden Großbühnen wird natürlich unter freiem Himmel gesungen. „Urlaub mit Sonne drin“ lautet der Slogan der Burgenland-Tourismuswerbung, und wer die Weine vom Neusiedlersee trinkt, kann genussvoll schmecken, wie viel Wärme die Trauben während des Reifeprozesses speichern konnten. Tomaten und Paprika sind die Gemüsesorten, die hier besonders gut gedeihen.
Seit Mitte Juni war der Himmel strahlend blau, in den letzten Tagen herrschte gar eine Hitze, dass die Winzer schon Sorgenfalten auf der Stirn hatten. Dann aber kommt, ausgerechnet zu den beiden Musiktheater-Premieren, der Umschwung. Was als Wärmegewitter angekündigt ist, entpuppt sich als massive Regenfront. Zwei Stunden, bevor Puccinis „Tosca“ im Steinbruch starten soll, öffnet der Himmel seine Schleusen. Lange harren die Besucher unter ihren Schirmen auf dem Gelände aus, das keinerlei Unterstellmöglichkeiten bietet. Viele aber geben dann doch durchnässt auf, bevor um 22 Uhr die ersten Takte erklingen können.
Zum Schutz vor derartiger Unbill hatte man 2013 in Mörbisch mächtig investiert und an die Zuschauertribüne einen neuen, überdachten Foyerbereich angebaut. Die Neuinszenierung von Johann Strauß’ „Eine Nacht in Venedig“ bleibt tags darauf zwar von himmlischen Feuchtigkeitsentladungen verschont, dafür aber kommt nach einem wohltemperierten Tag abends plötzlich ein derart heftiger Wind auf, dass es die Zuschauer schon zur Ouvertüre fröstelt.
Richtig ins Schwitzen kommen dagegen die Tontechniker, weil die steife Brise natürlich auch in die Mikroports fährt, die alle Darsteller bei solchen Open-Air-Musiktheaterspektakeln am Kopf tragen. Da gehen viele Nuancen verloren, zumal im Bestreben, einen passablen Lautsprecherklang zu mixen, auch noch das – aus dem hinter der Bühne gelegenen Probensaal zugespielte – Orchester allzu pauschal und überlaut ausgesteuert wird.
Herbert Lippert hat das Format eines Rudolf Schock
Schade, denn musikalisch hat die Produktion Klasse. Mit Herbert Lippert kann Dagmar Schellenberger in der Premierenbesetzung einen Protagonisten von Rudolf Schock’schem Format aufbieten. Für die Buffopaare hat sie junge, schauspielstarke Sänger gefunden, mit Heinz Zednik steht ein legendärer Recke des internationalen Opernbetriebs als Senator Delaqua auf der Bühne. Und natürlich spielt auch die Frau Intendantin höchstselbst mit. Prächtig ist sie immer noch bei Stimme, eine echte Operettendiva mit toller szenischer Präsenz. Nur leider hat sie sich von der Kostümbildnerin Susanne Thomasberger gleich mehrere trutschige Kleider aufschwatzen lassen.
Das übrige weibliche Personal dagegen wirkt merkwürdig derangiert in Karnevals-Roben aus zottigen Federn, Strass und Korsagen, die fatal an Friedrichstadtpalast-Looks aus den Neunzigerjahren erinnern. Die Herren des Stücks wiederum sind kaum zu unterscheiden, weil sie meistens weiße Goldknopf-Zweireiher tragen. Der Regisseur Karl Absenger hat nämlich aus der Librettofigur des Herzog von Urbino den Kapitän eines gleichnamigen Kreuzfahrschiffs gemacht – und aus dem Barbier Caramello seinen 1.Offizier.
In der Tat drängen sich beim Gedanken an Venedig mittlerweile die vielstöckigen Vergnügungsdampfer sofort vor dem inneren Auge ins Bild, wie sie bedrohlich am Markusplatz vorbeiziehen. Einfach nur den Bug eines dieser monströsen Riesen auf die Mörbischer Bühne zu wuchten, ohne dann in der Handlung die Problematik dieser desaströsen venezianischen Tourismusstrategie wenigstens zu streifen, ist aber selbst für eine massentaugliche Operettenproduktion doch zu kurz gegriffen.
Zumal Absenger ja versucht, Johann Strauß’ Hit aus dem Jahr 1883 gemeinsam mit dem Kabarettisten Joesi Prokopetz zeitgemäß aufzupeppen. Darum wird einerseits in Handys und Gegensprechanlagen gesungen. Andererseits wiederum sprechen die Herren Senatoren aus unerklärlichen Gründen nur in Reimen. Die sind ihrerseits dann noch so grauslich zusammengezimmert und mit altbackenen Schlüpfrigkeiten gespickt, dass für den Hörer die Grenze von Charme zu Scham schnell überschritten ist.
Weitere Infos unter www.arenaria.at und www.seefestspiele-moerbisch.at