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Auftrag für Wittenberg. Dürer malte die „Anbetung der Könige“ 1504 für Kurfürst Friedrich den Weisen als Bravourstück mit komplizierter Perspektive, reichem Kolorit und Details aus seinen Naturstudien. Heute befindet sich die Tafel in Florenz.
© Galleria degli Uffizi

Albrecht Dürer: Der Universaldeutsche

Von Anbeginn ein Genie: „Der frühe Dürer“ wird in einer großartigen Nürnberger Ausstellung umfassend vorgestellt.

Wollte man nach dem bedeutendsten Künstler Italiens fragen, fiele die Antwort schwer. Anders hierzulande: Als bedeutendster deutscher Künstler gilt unverändert Albrecht Dürer. Als solcher wurde er denn auch gefeiert, zuletzt vor vierzig Jahren, im Sommer 1971 anlässlich seines 500. Geburtstags.

Diesmal gibt es für das erneut veranstaltende Germanische Nationalmuseum keinen kalendarischen Anlass, vielmehr den Abschluss eines mehrjährigen Forschungsprojekts, um den „frühen Dürer“ in den Blick zu nehmen. Das reicht, so die Forscher, bis 1505. Da war der Mann bereits 34 und europaweit berühmt.

Schon in ihrem Verzicht auf das weitere Werk des Künstlers war das Nürnberger Unternehmen schwierig genug. Landespolitische Wellen schlug die Weigerung der Alten Pinakothek München, das christusgleiche Selbstbildnis des Jahres 1500 auszuleihen. Die beiden älteren Selbstbildnisse aus Madrid (1493) und Paris (1498) waren ohnehin nicht zu erlangen. Dürers Werke werden nicht nur aus konservatorischen Gründen zurückbehalten. Sie gelten überall als Ikonen, in denen sich eine Epoche verdichtet.

Die Silberstiftzeichnung des Dreizehnjährigen - ein frühreifes Wunderwerk

Doch die Ausstellung macht aus der Not eine Tugend. Dem Kuratorenteam um Daniel Hess und Thomas Eser geht es um die Einbindung von Dürers Laufbahn in das Umfeld der quirligen, aufgeschlossenen und kosmopolitischen Metropole Nürnberg, um „Kontextualisierung“. Die gelingt zum Glück in ganz unangestrengter Weise, weil den großartigen Dürer-Werken kaum minder bedeutende seiner Lehrmeister und Anreger zur Seite gestellt werden, wie Hans Pleydenwurff oder Michael Wolgemut, dem Dürer 15-jährig in die Lehre gegeben wurde.

Der junge Dürer erstaunt gleich im ersten Kapitel der vierfach unterteilten Nürnberger Ausstellung, „Das Ich und seine neuen Medien“, mit der Silberstiftzeichnung des Dreizehnjährigen, die ob ihrer Feinheit der Strichführung seit jeher als frühreifes Wunderwerk gilt. Und auch im Folgenden tritt, gegen die Intention der geniekritischen Kuratoren, das Wundersame an Dürers Arbeiten vor Augen, der sich nie auf eine einzelne Technik und Bildgattung festlegte oder mit Wiederholungen zufriedengab.

Dürer hatte Lehrer und von jungen Jahren an Förderer an Geist und an Beziehungen, er kam mit den Humanisten in Kontakt, die in derselben Burgstraße wohnten wie der junge Albrecht, dessen Vater einst hergezogen war und es als Goldschmied in den Mittelstand schaffte. Dürer, will die Ausstellung zeigen, kam nicht aus dem Nichts. Das allerdings hat man immer schon gewusst. Insofern rennt Kurator Hess mit seinem Angriff gegen die „fatale Verschränkung von Werk und Biografie“ offene Scheunentore ein. Erstaunlich bleibt, dass und wie sehr Dürer seine Zeitgenossen überragte, wie er zur deutschen Ausformung des uomo universale der Renaissance reifte.

Er unterschreibt mit "Durer Germanus"

Bereits die Zeitgenossen verstanden ihn als Nationalkünstler, und er selbst signierte gelegentlich stolz als „Durer Germanus“. Der gefeierte Humanist Konrad Celtis pries Dürer gar als „berühmtesten Maler in deutschen Landen“: „Du bist uns ein zweiter Phidias, ein zweiter Apelles“. Größeren Ruhm konnte Dürer kaum erwerben; und im Übrigen spricht es für das humanistische Klima seiner Vaterstadt, dass ein solcher Vergleich angestellt und durchweg verstanden wurde.

Doch Dürer war mehr als die Verkörperung einer antiken Idealfigur. Im Ausstellungsabschnitt „Abmachen und Neumachen“ zeigt sich eine ganz andere als die idealistische Seite, die Celtis anspricht: die der unbedingten Wirklichkeitswahrnehmung. Wie kaum ein Künstler vor ihm nähert sich Dürer der Natur als sezierender Forscher. So entstehen die berühmten Aquarelle der Nürnberger Umgebung, die autonomen Landschaftsdarstellungen, aber auch die vielen Tierstudien, wie die eines Rindermauls, gleich in zwei Ansichten, in denen jedes Haar zum Greifen echt erscheint.

Mit den Aquarellen kommt die Nürnberger Ausstellung zu ihrer problematischsten These – wenn auch in Frageform vorgebracht. Dürer sei 1494/95 gar nicht nach Italien gekommen, wie stets angenommen wird, sondern habe an der deutschen Sprachgrenze bei Trient Halt gemacht. Das wird mit dem irritierenden Umstand begründet, dass Dürers einzigartige Ansichten von Innsbruck bis Südtirol, von Burgen und Felsen weiter südlich keine Fortsetzung finden.

Bilder aus der Ausstellung und aus Nürnberg

Der Künstler als Geschäftsmann

Jedenfalls hat Dürer das bewunderte Venedig nie dargestellt, wo er dann bei seinem zweiten – unstrittigen – Aufenthalt 1506 unter den deutschen Handelsherren wohlhabende Auftraggeber fand. Immerhin hatte Dürer Kontakt mit dem Venezianer Jacopo de’ Barbari, von dem jene grandiose Darstellung Venedigs aus der Vogelperspektive stammt – „Stadtansicht und Kartenbild zugleich“, wie der Katalog bewundernd vermerkt. Von sechs Holzstöcken gedruckt und knapp drei Meter breit, steht das Riesenwerk für die neue Weltsicht der Zeit um 1500.

Künstler wurden zu Unternehmern. Mit den in hohen Auflagen verbreiteten Holzstichen, einsetzend mit der in dieser ebenso selbstbewussten wie angstgeplagten Epoche um 1500 enorm aufwühlenden „Apokalypse“ von 1498, schafft Dürer nicht nur einen kollektiven Bildervorrat für jedermann, sondern etabliert sich auch als autonomer, von fürstlicher Gunst unabhängiger Geschäftsmann. Gewiss sucht Dürer die Nähe hoher Herren. Die Arbeiten für Kaiser Maximilian allerdings fallen in spätere Lebensjahre des 1528 an Malaria verstorbenen Künstlers.

Zwiespalt zwischen Laster und Tugend

Im Frühwerk Dürers ist noch nicht ausgemacht, in welche Richtung er sich entwickeln wird. Hat er den jugendlichen Aufbruch nach Italien gewagt oder lediglich an italienischen Vorlagen sich orientiert? Die italienische Renaissance macht er sich jedenfalls zu eigen, er kennt und kopiert Andrea Mantegnas Kupferstiche heidnisch-mythologischer Themen. Doch stets bereichert er das Vorgefundene und verwandelt es in ganz Eigenes.

Dürer brilliert in allen Techniken. Der mythische Held Herkules, den besagter Celtis dem Künstler anhand der von ihm besorgten lateinischen Edition nahebringt, wird zu einer Identifikationsfigur. „Herkules am Scheidewege“, in Kupfer gestochen 1498, ähnelt einem Rübezahl nicht minder als einem antikischen Athleten, aber genau das macht ihn in seinem Zwiespalt zwischen Laster und Tugend – wenn denn Erwin Panofskys berühmte Interpretation zutrifft – nur wahrhaftiger.

Wahrnehmung, Wirklichkeitssinn und über allem: Wahrhaftigkeit, das sind Kategorien, mit denen Dürers Werk durchgängig zu charakterisieren ist. Mit ihrer Hilfe ordnet sich das Sprunghafte seines Œuvres, von den Aquarellen zur Ölmalerei, von den Porträts zu biblischen Historien, schließlich weg von der Kunst zu deren Theorie. Dürer wollte – alles.

Faustisches Suchen nach Wahrheit in der Kunst

Ihm genügte es, seine Meisterschaft an jeweils anderem Gegenstand zu erproben und zu zeigen; er musste sie nicht endlos repetieren. Das großartige, 1504 für den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen und die Wittenberger Schlosskirche geschaffene und heute aus den Florentiner Uffizien entliehene Altarbild der „Anbetung der Könige“ genügt, um die christlichen Sujets in Dürers Werk zu repräsentieren; und nebenbei auch, um über den im Ganzen miserablen Überlieferungs- und Erhaltungszustand gerade dieser Werkgruppe hinwegzutrösten. Den Reichtum an Komposition, Bilddetails, Kolorit wie bei der „Anbetung“ zu bewundern, lässt die Nürnberger Ausstellung mit der Fülle ihrer 192 Katalognummern kaum genügend Raum. Dürers Werke auf samtrotem, die anderen auf dunklem Grund – Orientierung in einer Ausstellung, die ob ihrer großartigen Objekte und ihrer feinsinnigen Zusammenstellung doppelten Platz verlangt hätte.

Schließlich greift das Schlusskapitel „Was ist Kunst?“ voraus auf das spätere, kunsttheoretische Bemühen des Künstlers. Neben trockenen Proportionsstudien zur menschlichen Figur glüht der rötlich durchzogene Abendhimmel über der „Weidenmühle“ (nach 1496), wo „die dramatische Naturstimmung zum Hauptmotiv des effektvollen Blattes“ wird, wie der Wandtext behauptet. Dürer als Vorläufer der Romantik?

Es ist das Schöne an der Nürnberger Ausstellung, dass sie die gegen jeden Dürer-Kult gerichteten Arbeitshypothesen der Kuratoren ebenso bestätigt wie zugleich widerlegt: mit ihrer Fülle herrlicher Stücke, 120 allein von Dürer, die sein faustisches Suchen nach Wahrheit in der Kunst bezeugen. Mit dem 1933 aus Hamburg vertriebenen Erwin Panofsky kann man Dürer als Repräsentanten einer übernationalen deutschen Kultur sehen, in der heidnische und christliche, antike, spätmittelalterliche und reformatorische Entwicklungslinien zusammenfließen. Den Herkules übrigens hat Dürer auch als großformatige Leinwand gemalt. Er wusste, dass dies ein Sujet war des antiken Apelles, mit dem er selbst so rühmlich verglichen wurde.

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, bis 2. September. Wissenschaftlicher Katalog mit 18 Aufsätzen und umfassender Erläuterung aller ausgestellten Werke, 604 S., 34,50 €.

Bernhard Schulz

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