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Berlin: Schatz im Garten

Eine seit Kriegsende verschollene Dürer-Skulptur ist überraschend in Wannsee wiederaufgetaucht.

Das Selbstbildnis als 13-Jähriger gehört zu den bekanntesten Werken Albrecht Dürers. In den frühen Siebzigern des 19. Jahrhunderts inspirierte die in der Wiener Albertina aufbewahrte Zeichnung den Bildhauer Friedrich Salomon Beer zu einer „Albrecht Dürer als Knabe“ betitelten Marmorskulptur: der junge Künstler auf einem Hocker, offenbar gerade beim Zeichnen. Das Kunstwerk wurde 1887 von der Berliner Nationalgalerie erworben und galt seit Kriegsende als verschollen. Überraschend ist es jetzt wiederaufgetaucht, und noch überraschender ist: Es war gar nicht verschwunden, stand vielmehr im Garten der von der American Academy genutzten Villa Am Sandwerder 17–19 in Wannsee.

Die Skulptur war nach dem Kauf in der Alten Nationalgalerie ausgestellt worden, teilten die American Academy und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz am Montag mit. 1940 wurde sie an das Reichswirtschaftsministerium verliehen und in der Villa am Wannsee aufgestellt. Diese war Dienstwohnsitz des Wirtschaftsministers Walther Funk, der später in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis 1957 aber vorzeitig entlassen wurde.

In den Wirren des Kriegsendes ging das Wissen um den Standort des Kunstwerks offenbar verloren, jedenfalls galt es seither als verschollen und findet sich auch in der Datenbank „lostart“ der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, die 1994 in Magdeburg gegründet worden war. Das scheinbare Verschwinden mag auch daran gelegen haben, dass das Haus von den Amerikanern lange als Recreation Center für Offiziere genutzt und erst 1994 freigegeben wurde. 1998 zog die Academy ein. Die Figur im Garten hat vielleicht manchen erfreut, worum genau es sich dabei handelte, ahnte niemand.

Erst 2010 fand sich ein Spezialist: Im ersten Halbjahr war der Kunsthistoriker Jeffrey Chipps Smith von der University of Texas in Austin als Fellow zu Gast in der Academy. Dem Dürer-Experten fiel auf, das die Skulptur offensichtlich durch das Dürer-Selbstporträt inspiriert war – der erste Schritt zu ihrer Identifizierung.

Derzeit wird die etwas verwitterte Figur in einer Berliner Werkstatt gereinigt, ist dann vom 23. Mai bis 2. September als Leihgabe in der Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu sehen. Smith ist dort an einem Forschungsvorhaben zum selben Thema beteiligt. Danach kehrt „Albrecht Dürer als Knabe“ nach Berlin zurück, allerdings nicht in den Wannsee-Garten, sondern in ein Gebäude, über das noch nicht entschieden ist.

Erst kürzlich konnte auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ein Werk von ihrer Verlustliste streichen: eine „Geißelung Christi“ aus dem späten 15. Jahrhundert, 1945 von britischen Soldaten aus dem Jagdschloss Grunewald gestohlen und nun über die USA ebenso überraschend zurückgekehrt.

Andreas Conrad

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