Kino zwischen Hongkong und China: Der Übermacht widerstehen
Wie Hongkongs Filmemacher sich bei der neuen Kino-Großmacht China anbiedern – und dabei ihr eigenes Publikum verlieren.
Als Frankreich unlängst dem Schauspieler Tony Leung den Orden der Künste und der Literatur verlieh, leuchtete der verblichene Glanz des Hongkong-Kinos plötzlich wieder auf. Unter den Gästen bei der Zeremonie in der Residenz des französischen Generalkonsuls war auch ein langjähriger Mitstreiter des 52-Jährigen: Wong Kar-wai. In vielen Filmen Wongs hat Tony Leung mitgespielt, in „Chungking Express“ (1994) oder in „Happy Together“ (1997). Und für „In the Mood for Love“ gewann er 2000 den Preis als bester Hauptdarsteller in Cannes.
Aber diese Filme sind Geschichte. Leung, Wong und auch eine Reihe anderer mittlerweile 50- bis 70-jähriger Filmemacher – Johnnie To, Tsui Hark, John Woo, Peter Chan – mögen in den vergangenen Jahrzehnten Hongkong Ruhm gebracht haben. Inzwischen fokussieren sie sich massiv auf das Mutterland China. Mit Erfolg: Wongs Martial-Arts-Epos „The Grandmaster“ spielte dort umgerechnet 45 Millionen Euro ein, Peter Chans Drama „American Dreams in China“ sogar knapp 80 Millionen Euro.
Seit der Öffnung des chinesischen Filmmarkts – inzwischen der größte nach den USA, mit steil steigenden Ticketverkäufen und einem Jahresumsatz von rund 4,5 Milliarden Euro – schauen viele Filmemacher Hongkongs aufmerksam nach Norden. Oder schielen sie bloß auf den riesigen Markt von 1,3 Milliarden Chinesen, indem sie ihre Filme mit Studios aus Festlandchina koproduzieren? Oft heißt es dann, sie verwässerten die Erzählweisen und überhaupt den filmischen Stil, der Hongkong einst berühmt gemacht hat.
Der chinesische Markt hat das Hongkong-Kino stark verändert
Keine Frage, mit dem eigenen Markt von nur sieben Millionen Zuschauern ist Hongkong auf den Export angewiesen, wenn es überleben will. Aber der übermächtige chinesische Markt hat das Profil des Hongkong-Kinos stark verändert. Seine Regisseure buckeln nicht nur vor dem riesigen Publikumspotenzial Festlandchinas, sondern buhlen um einen Anteil aus den prall gefüllten Taschen der chinesischen Investoren.
Andererseits hat „Hollywood Ost“ selbst – mit diesem Namen schmückte man sich früher in Hongkong – viel an Marktkraft eingebüßt. Produzierte man dort während des Booms vor der Jahrtausendwende noch 300 Filme pro Jahr, waren es zuletzt nur mehr um die 50. „Es gibt ihn noch, unseren Filmmarkt in Hongkong“, sagt Produzent und Drehbuchautor Saville Chan, „aber seit auch der Export nach Südostasien zurückgegangen ist, kommen einheimische Filmemacher nur noch schwer an Geld. Zumal das Publikum vor allem Hollywood-Blockbuster gucken will.“
Den Filmemachern bleibt daher keine Wahl. Sie gehen nach Festlandchina und finanzieren ihre Filme mit dem Segen des Freihandelsabkommens „Closer Economic Partnership Arrangement“. Damit sind sie zwar von der chinesischen Importquote ausgenommen, die nur 34 ausländische Filme pro Jahr zulässt. Grünes Licht aber gibt die berüchtigte Zensur nur, wenn man sich in Sachen Besetzung und Stab den Wünschen der Mutterland-Studios beugt – und sofern man sich inhaltlich anpasst. Weil China kein Altersbegrenzungssystem fürs Kino eingeführt hat, müssen alle Filme gewissermaßen auch kindertauglich sein. Vor allem aber: Alles, was der kommunistischen Regierung auf die Nerven gehen könnte, hat schon beim Dreh keine Chance.
Ein "roter" Film ist in Hongkong zum Scheitern verurteilt
So erfolgreich manche dieser Koproduktionen in China sein mögen, so wenig treffen sie den Geschmack des Publikums in Hongkong. Tsui Harks jüngster 3-D-Actionthriller „The Taking of Tiger Mountain“ etwa spielte in China seit Weihnachten umgerechnet rund 125 Millionen Euro ein – immerhin Platz 12 der ewigen Chartsbestenliste Chinas. In Hongkong aber floppte der nach „Tracks in the Snowy Forest“ von Qu Bo inszenierte Film: Zu Zeiten der Kulturrevolution diente der Roman als Material für eines der acht revolutionären Vorbild-Bühnenstücke.
Ursprünglich sollte der Film in Hongkong gar nicht ins Kino kommen, sagt Nansun Shi, „Tiger“-Produzentin und langjährige Weggefährtin von Tsui. Schließlich demonstrierten gerade Zehntausende gegen Chinas Versuch, mittels kontrollierter Wahlen einen politisch botmäßigen Bürgermeister in der Stadt durchzusetzen. Verständlich, dass da ein „roter“ Film zum Scheitern verurteilt war. Eine einzige Sondervorführung beim Hongkong Festival gab es, und als der Film dann doch im April ins Kino kam, entwickelte er sich zu Kassengift.
Wird das Hongkong-Kino bleiben?
„Der riesige kulturelle Graben zwischen China und Hongkong ist unüberwindbar“, meint Saville Chan. Die Stadt mag seit 1997 als Sonderverwaltungszone an China angeschlossen sein – in den 150 Jahren als britische Kronkolonie hat Hongkong eine kulturelle Identität in scharfem Kontrast zu Festlandchina herausgebildet, und seit 1997 ist die Meinungsfreiheit durch eine Mini-Verfassung garantiert. Starke westliche Einflüsse mischen sich mit traditionellen chinesischen Werten und der Beibehaltung der kantonesischen Sprache, während in China Mandarin gesprochen wird. Gleichzeitig ist Englisch nach wie vor eine Amtssprache Hongkongs.
Kein Wunder, dass „Tiger“, obwohl im James-Bond-Stil gedreht, dort keine Chance hatte. „Sein historischer Hintergrund ist der Bürgerkrieg zwischen den Kuomintang und den Kommunisten, die später die Volksrepublik China gründeten“, sagt Chan. „In Hongkong interessiert das niemanden.“ Er selber gehört zu einer Reihe jüngerer Produzenten, die ausdrücklich in der Stadt selbst ihre Träume verwirklichen wollen. Derzeit bringt er „She Remembers, He Forgets“ unter Dach und Fach, ein romantisches Drama. Das Budget – umgerechnet rund 3,5 Millionen Euro – bringt er ausschließlich in Hongkong zusammen.
„Unser Kino wird bleiben“, sagt Chan. Solange Hongkong seine eigene Identität bewahre, werde es auch der Übermacht des chinesischen Markts widerstehen. „Nur die Politik kann unsere Kultur zerstören.“
Die Autorin ist Kulturreporterin bei der Hongkonger Tageszeitung „South China Morning Post“ und als Fellow des Internationalen Journalisten-Programms derzeit Gast beim Tagesspiegel. Übersetzung aus dem Englischen: Jan Schulz-Ojala
Vivienne Chow