"Freischütz" bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg: Der Teufel trifft immer
Finale der Ära Matthus: Bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg inszeniert Bruno Berger-Gorski den „Freischütz“ als Höllenritt durch die deutsche Geschichte.
Welche Oper würde wohl besser ins Ambiente des Rheinsberger Heckentheaters passen als Carl Maria von Webers „Der Freischütz“? Es ist ja alles da: Erhabene Natur, Vögel unterm Himmelsdach, dunkel rauschende Wälder – und formen die barocken Hecken, die wie alles in Brandenburg in diesem Sommer ausgedörrt und licht erscheinen, in ihrer zinnsoldatenmäßigen Anordnung nicht genau jene schauerliche Wolfsschlucht, in die Max hinabsteigen muss, um mit seinem falschen Freund Kaspar die Freikugeln zu gießen? Für sein letztes Jahr als künstlerischer Direktor der Kammeroper Schloss Rheinsberg hat Frank Matthus diese erzromantische Outdoor-Oper aufs Programm gesetzt, nachdem er zuletzt Stücke mit starken Protagonistinnen wie „La Traviata“ oder „Carmen“ favorisiert hatte.
Vor Wagner hatten wir Weber: „Der Freischütz“ ist bis heute – auch wegen der Hits wie Jägerchor oder „Wir winden dir den Jungfernkranz“ – außerordentlich populär, eine wahre Nationaloper. Daran ändern auch die unerträglichen Aspekte des Stücks nichts, die mit dem Jagen verknüpft sind: das sinnfreie Töten der Tiere, die schwitzenden Männlichkeitsrituale und -ideale, die kaum kaschierten schlüpfrigen Anspielungen, die in Friedrich Kinds Libretto stecken, in Versen wie „ist fürstlich’ Verlangen, ist männliche Freude“ oder „Leid oder Wonne, beides liegt in deinem Rohr“. Trotzdem wäre man zu gern bei der Uraufführung 1821 im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt dabei gewesen, im Publikum saßen Heinrich Heine, E.T.A. Hoffmann und Felix Mendelssohn Bartholdy, der ebenso tragisch früh starb wie Weber.
Jung sind natürlich auch alle Nachwuchssänger und Musiker, die bei der Kammeroper auftreten. Der slowenische Dirigent Simon Krečič schafft mit der Jungen Kammerphilharmonie Berlin – die regelmäßig von Solisten der Berliner Philharmoniker unterstützt wird – ein beherztes, emotionales, trotzdem punktgenau gesetzes Klangbild, lässt herrlichen Streichersoli breiten Raum, passt den musikalischen Ausdruck jeder Situation klug an – was nicht leicht ist, denn gerade im „Freischütz“ wechseln die Stimmungen sehr rasch und häufig. Nur: warum den teuflisch schweren Jägerchor, bei dem schon ganz andere Profichöre aus der Kurve geflogen sind, auf eine Strophe stutzen? So schlecht haben sich die sechs Chorsolisten nicht geschlagen.
Johannes Grau bricht mit den Männlichkeitsbildern der Oper
Weil Max zuletzt beim Schießen versagt hat, droht sein Lebensglück zerstört zu werden. Erbhof und Hand der Geliebten gibt es nur, wenn der Probeschuss gelingt – eine unmenschliche Regel, die sich Ahnherr Kuno da ausgedacht hat. Der Berliner Johannes Grau, der Max mit harzigem, sehr höhensicherem Tenor singt, bricht das Männlichkeitsbild der Oper auf sehr angenehme Weise. Klar, schon bei Weber und Kind unterläuft die Figur alle Erwartungen der Dorfgesellschaft. Bei Grau aber wird er zum schlank-schlottrigen, fröstelndem Wuschelkopf, der seinen Scheitel vergeblich glattstreicht, fällt er doch immer wieder nach unten. So wie ihm auch die Beziehung zu Agathe zu entgleiten droht. Mima Millo muss sehr viel auf dem Boden kriechen, was sie durch ihren sanftwarmen Sopran mehr als wettmacht. Jerica Steklasa als Ännchen singt etwas schrill, prompt fängt bei ihr der Lautsprecher an zu meckern – ganz ohne Pannen beim Soundsystem geht es doch nie ab in Rheinsberg. Es wird aber durchweg sehr ordentlich gesungen, auch bei Johannes Schwarz als Kaspar ahnt man das, auch wenn sein Gesangspart sehr kurz ist. Ein schwarzer Strich quer über dem linken Auge markiert ihn als den Bösen, der sein Leben dem Teufel in Gestalt des Schwarzen Jägers Samiel verschrieben hat. Strahinja Djokic verkörpert die beiden großen Autoritätsrollen der Oper, die böse wie die (angeblich) gute, also Samiel und den Eremiten, mit vollsattem Bass.
Verblüffend, dass Regisseur Bruno Berger-Gorski und Bühnenbildner Christoph Rasche mit den natürlichen Gegebenheiten des Heckentheaters so wenig anfangen können. Die Inszenierung ignoriert die Anlage im Grunde total. Die Bühne besteht im Wesentlichen aus einem großen Bilderrahmen, an dem Geweihe als Jagdtrophäen prangen, eine dürftige Kulisse. Für die Regie spricht aber, dass kein Moment uninszeniert bleibt, dass auch in langen Arien immer etwas geschieht.
Die Brautjungfern haben blutige Augen
Berger-Gorski will einen Höllenritt durch die deutsche Geschichte veranstalten. Deshalb faselt der Förster nicht nur vom Erbrecht, sondern vom „deutschen Erbrecht“, deshalb zeigt das heruntergefallene Porträt nicht Ahnherrn Kuno, sondern einen ganz anderen Ahnherrn, nämlich Otto von Bismarck – der später durch Helmut Kohl ersetzt wird. Als in der Wolfsschlucht die siebte Kugel gegossen wird, bricht bekanntlich die Hölle los. In Rheinsberg bedeutet das: Pegida-Anhänger schwenken Fahnen, träumen vom islamfreien Deutschland und jagen diejenige, die ihrer Meinung schuld ist an allem Übel: Agathe, arg deutlich mit Raute als Parodie auf Angela Merkel angelegt.
Überzeugender als solche doch sehr kursorischen Verweise auf die deutsche Geschichte gelingt dem Regisseur ein anderer Strang: Er will den Horror im „Freischütz“ herauspräparieren, das Happy End wird gestrichen. Das war sowieso von Weber nicht vorgesehen und nur vom Uraufführungsintendanten durchgedrückt worden. Also schockieren die Brautjungfern mit blutigen Augen, und Max bekommt im Finale, allem schönen Gesang vom Gottvertrauen zum Trotz, von Eremit und Fürst Ottokar (Jaka Mihelac) die Zwangsjacke angelegt. Statt versprochenem Probejahr wartet das Irrenhaus – wie übrigens schon in der Ursprungsfabel des Dichters August Apel, auf der Webers Oper basiert.
Mit diesem „Freischütz“ endet die kurze, nur vierjährige Leitungsphase von Frank Matthus, Sohn des Festivalgründers Siegfried Matthus, bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Jetzt soll alles anders werden, das Land Brandenburg hat Kammeroper und Musikakademie fusioniert, und der nach längerem Suchen gefundene neue künstlerische Leiter Georg Quander – ehemals Intendant der Lindenoper – soll mehr Geld und Möglichkeiten zur Verfügung haben. Er dürfte der richtige Mann sein, um Strukturen aufzubauen und die beiden notorisch zerstrittenen Institutionen zusammenzuführen. Ob der 67-Jährige auch inhaltlich für Aufbruch steht, ist eine andere Frage.
wieder 7., 8., 10.-12.8. Heckentheater, www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de