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Szene aus Sascha Hargesheimers Stück "Archiv der Erschöpfung" bei den Autorentheatertagen.
© Deutsches Theater

Abschluss der Autorentheatertage am DT: Der Tag, an dem es Raketen regnete

Die Autorentheatertage am Deutschen Theater in Berlin boten Himmelsgrotesken und Höllenstücke. Die Bilanz zum Abschluss: ein guter Jahrgang.

„Piff Paff sagen die Risse“. Die Stadt, um die es hier geht, hat einen Schaden erlitten. Schuld daran sind Bohrungen nach Bodenschätzen, aber das ist eigentlich zweitrangig. Sie quillt auf wie ein Hefeteig und platzt lautmalerisch aus allen Nähten, während ihre Bewohner in seliger Katastrophenlethargie ihr Bier am Kiosk trinken oder gleich im Koma liegen. Einfach weitermachen, immer weiter so.

Was muss passieren, damit es eine Chance auf echte Veränderung gibt? Diese Frage wirft Sascha Hargesheimer in seinem Stück „Archiv der Erschöpfung“ auf, das als dritte von vier Uraufführungen bei den diesjährigen Autorentheatertagen am Deutschen Theater zur Premiere gekommen ist. Hargesheimer, Schöpfer der Groteske „Polen ist mein Italien“ und Co-Autor des an der Deutschen Oper uraufgeführten Librettos „OHIO“, beschreibt eine Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium. Seine Figuren heißen „Erdbebenwitwe“, „Weltuntergangsfanatiker“ oder „Der Mann aus dem Büro, in dem es nach Schweiß und Angst riecht“ – und treten entsprechend auf.

Unheilvoll wabernde Atmosphäre

Das „Archiv der Erschöpfung“ ist mehr poetische Zustandsbeschreibung als Stück mit Handlung. So übersetzt es Regisseurin Friederike Heller auch auf die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters, wo die Produktion ins Repertoire übernommen wird. Piff Paff sagt ihre Inszenierung. Genauer: lässt sie singen. Denn Hellers langjähriger Wegbegleiter Peter Thiessen von der Hamburger Band Kante stimmt am Keyboard ein elegisches Risse-Lied an. Und sorgt ansonsten für unheilvoll wabernde Atmosphären, während das Ensemble aus Felix Goeser, Markus Graf, Daniel Hoevels, Lisa Hrdina und Almut Zilcher farcefreudig sprachchoreografiert durch eine Bühnenlandschaft mit Gerüst und Metallrollo (Sabine Kohlstedt) tänzelt. Hargesheimers Text fordert Abrissbirnen-Fantasie. Heller liefert Aufsage-Akrobatik.

Neue Stücke haben es aber auch nicht leicht. Wenn die Uraufführung nicht sitzt, ist der weitere Werdegang oft schon vermasselt. Das ist der Groteske „Der neue Himmel“ des Autorenduos Nolte Decar nicht zu wünschen. Die Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich hat sich in Berlin ein paar beherzte Buhs abgeholt. Die trafen Regisseur Sebastian Kreyer. Aber auch die Autoren Jakob Nolte und Michel Decar („Helmut Kohl läuft durch Bonn“). Vielleicht, weil ihre weltumspannende Drohnen-Farce allzu kalauervernarrt wirkt? Dabei enthält sie so wunderbare Sätze! Zum Beispiel putzt ein chinesischer Vater, der mitten in der Antarktis mit seinem Sohn im literarischen Clinch liegt, William Faulkner mit dem Satz runter: „Von der Pfeife würde ich mir nicht mal nen Einkaufszettel schreiben lassen!“

Raketenregen auf dem Klog in Kaschmir

Nolte Decar lassen es an verschiedenen Schauplätzen rund um den Globus Raketen vom Himmel regnen. Auf ein kolumbianisches Teenie-Pärchen. Oder einen Büroangestellten auf dem Klo in Kaschmir. Das hat durchaus zündenden Witz – zumindest im ersten Teil. Im zweiten fügen sie ihre szenischen Drohnen-Splitter zu einem Krimi-Puzzle auf dem Anwesen der britischen Lady Grimshaw zusammen, wo der Klischee-Inspektor klopft wie in der Sommeraufführung eines Agatha-Christie-Stücks. Funktioniert aber nicht. Vielleicht auch, weil Regisseur Sebastian Kreyer, der das Stück vor gemalter Kitschkulisse mit Südsee- und Arktisflair ansiedelt (Ausstattung: Matthias Nebel) – von der ersten Szene an Timing- und Pointenallergie erkennen lässt. Aber sei's drum: bös-witziges Potenzial besitzt „Der neue Himmel“ allemal.

Das Deutsche Theater war gut beraten, die Auswahl der neuen Texte dieses Jahr nicht mehr in die Hände eines Alleinjurors mit zweifelhafter Geschmackssicherheit zu legen. Sondern eine Jury entscheiden zu lassen. Und das Konzept, statt Werkstattinszenierungen lieber gleich Uraufführungen in Auftrag zu geben (in Koproduktion mit Zürich und Wien), ist auch begrüßenswert. Soviel Vertrauen in die Autoren darf sein.

Es war überhaupt ein guter Festivaljahrgang am DT. Wobei unter den Gastspielen vor allem der Schwerpunkt mit Stücken zum NSU-Komplex überzeugt hat.

Lecture-Performance mit Gefiedel

Mit Ausnahme von Elfriede Jelineks furchtbarem Text „Das schweigende Mädchen“, einer 224-seitigen Plapper-Orgie über die stumme Frau Zschäpe, die Johan Simons radikal gekürzt, aber immer noch redselig an den Münchner Kammerspielen auf die Bühne gebracht hat. Jelinek psalmodiert über die mutmaßliche Terroristin als heilige Jungfrau, den Verfassungsschutz in schlechter Verfassung und Deutschland als Exportnation. Es passt nichts zusammen. Was der Regisseur entsprechend hilflos als Lecture-Performance mit Gefiedel aufzieht.

Aber dort, wo die Theatermacher tatsächlich den Opfern des NSU zugehört haben, wird es spannend. Nuran David Calis hat für „Die Lücke“ unter den Anwohnern und Geschäftsleuten der Keupstraße in Köln-Mühlheim recherchiert, die vor zehn Jahren das Nagelbombenattentat der Neonazis überlebt haben. Drei der Betroffenen sitzen bei ihm mit drei Schauspielern auf der Bühne. Getrennt allerdings durch einen Graben der Vorurteile und kulturellen Zuschreibungen, die von den Deutschen in Gutmenschen- und Besserwisser-Beflissenheit vorgetragen werden.

Welche Verletzungen die von Ermittlern und Medien produzierten, ungeheuerlichen Unterstellungen à la „Dönermorde“ gerade bei Angehörigen der Opfer hinterlassen haben, das vermittelt auch Regissseurin Christine Umpfenbach in ihrem Recherchestück „Urteile“. Sie hat den Morden an Habil Kili und Theodoros Boulgarides in München nachgespürt. Und die Stimmen zu einem packenden Theaterprozess für drei Spieler verdichtet.

Eine echte Entdeckung: Tugsal Mogul

Am beeindruckendsten aber ist „Auch Deutsche unter den Opfern“ von Tugsal Mogul, entstanden am Theater Münster. Der Theatermacher unternimmt mit Lilly Gropper, Dennis Laubenthal und Christoph Rinke einen 90-minütigen Gewaltritt durch die Faktenflut, vor allem aber die haarsträubenden Ungereimtheiten des NSU-Komplexes, die einen am Rechtsstaat zweifeln lassen. Seit Fausto Paravidinos „Genua 01“ hat es kein Dokumentarstück von so wütender Dringlichkeit gegeben. Eine echte Entdeckung!

Vor diesem Hintergrund ist die Nachricht eine wirklich gute, die Ulrich Khuon schon zum Start des Festivals verkünden konnte: die Finanzierung der Autorentheatertage ist für die kommenden beiden Jahre gesichert.

„Archiv der Erschöpfung“, wieder am 9. und 13. Juli in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

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