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Die Ruinenstadt Hatra verblüffte die Wissenschaft, weil hier viele Einflüsse zusammenkamen.
© AFP

Terrormiliz IS zerstört Jahrtausende alte Stadt Hatra: Der Sonnengott weint

Seit 1985 stand die Ruinenstadt Hatra, errichtet im 3. Jahrhundert vor Christus, auf der Unesco-Weltkulturerbeliste. Hatra war ein Schmelztiegel der Kulturen, der ein Nebeneinander verschiedener Kunststile und Gottheiten duldete. Vielleicht war es genau das, was den IS am Samstag in die Wüste trieb, um dieses plurale Zeugnis früharabischer Kultur zu zerstören.

Nun also Hatra. Nach der brachialen Attacke des „Islamischen Staats“ (IS) auf die Ruinenstadt Nimrud am vergangenen Freitag (Tsp. vom 7. 3.) schockierte die Terrormiliz am Samstag erneut die Welt. Das irakische Ministerium für Tourismus und Altertümer berichtete von Explosionen und Zerstörungen in der Ruinenstadt Hatra.
Deren einzigartige Statuen können kaum das Auge fanatischer Moslems beleidigen, denn Hatra (arabisch Al-Hadra) bekommt man nicht ohne Weiteres zu sehen. Die gut erhaltene Ruinenstadt aus dem 2. Jahrhundert nach Christus liegt mitten in der Wüste, 50 Kilometer westlich von Assur, 110 Kilometer südwestlich von Mossul und nochmals 200 Kilometer entfernt von Dura Europos.

Hatra, Palmyra und Dura Europos hatten ihre kurze Blütezeit zu Zeiten der Römer, hier vermischten sich kulturelle Einflüsse. Besonders gilt das für Hatra, das von Walter Andrae, dem späteren Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin, 1907 während seiner Assur-Expedition entdeckt wurde. So richtig erforscht wurde Hatra erst von den Irakern von 1951 an. Auf Arabisch veröffentlichten 1974  Fuad Safar und Muhammed Ali Mustafa erste Ergebnisse – „Hatra, die Stadt des Sonnengottes“.

Die Stadt steht seit 1985 auf der Unesco-Weltkulturerbeliste. Ihre Lage in der Wüste hat sie vor Eroberungsversuchen der Römer und Parther geschützt. Die Anfänge der Stadt liegen im Dunkeln, vermutlich wurde sie im 3. Jahrhundert vor Christus aus einer kleinen assyrischen Siedlung heraus zu einer bedeutenden Karawanenstadt entwickelt, die gleichzeitig ein religiöses Zentrum dieses ersten kleinen arabischen Königreichs wurde. Es stand unter dem Einfluss der Parther und wurde eine wichtige Karawanenstadt entlang der Seidenstraße.

Trajan hatte 116  vergeblich versucht, Hatra zu erobern, ebenso Septimius Severus 198. Zerstört wurde die Stadt von Ardashir I., dem Gründer der Dynastie der Sassaniden. Aber er hatte die Stadt nicht völlig zerstört. Walter Andrae stieß auf bemerkenswerte Ruinen des ersten und zweiten Jahrhunderts – niemand wohnte in der Nähe, um die Ruinen als Quelle für Baumaterial zu nutzen. So blieben die Ruinen erhalten, bis die Fanatiker des IS anrückten.

Hatra verblüffte die Wissenschaft, weil hier viele Einflüsse zusammenkamen

Hatra war eine in etwa runde ummauerte Stadt mit einem Durchmesser von etwa zwei Kilometern. Diese Ringmauer, die die Römer nicht überwinden konnten, besaß 160 Türme und nur vier Tore. Mitten in der runden Stadt lag ein ummauertes Rechteck von 437 mal 322 Meter, in dem sich die wichtigen Sakralbauten Hatras befanden. Hatra heißt auf aramäisch – der Sprache Jesu – „Umfriedung“. Beiname der Stadt war „Schamasch“, nach dem Gott der Sonne. Hatra war also der umschlossene Platz der Sonne als arabische Gottheit.

In dem rechteckigen Tempelbezirk fanden sich ein quadratischer Tempel hellenistischer Tradition und ein breiter, rechteckiger Komplex, der Schamasch gewidmet war. Kennzeichen dieses arabischen Tempels waren die Iwane, offene überwölbte langgestreckte Räume, wie man sie in Persien findet und die eine größere Spannweite erlaubten.

Hatra verblüffte die Wissenschaft, weil hier viele Einflüsse zusammenkamen: Im sogenannten hellenistischen Tempel, der auch römische Züge hatte, fanden die irakischen Archäologen griechische Götterstatuen, die nichts mit der Kunst Hatras zu tun hatten. In den Iwanen standen an den Wänden lange Steinbänke, die darauf schließen lassen, dass hier sakrale Gastmahle stattgefunden haben müssen. 

Wahrscheinlich war die Stadt ein geistig-religiöses Zentrum der Araber, das durch Handel zu einem gewissen Reichtum gekommen war. In Hatra wurde aber auch Herkules verehrt, zahlreiche Statuen zeigten ihn mit Löwenfell und Keule – wie in Dura Europos. Es wurde auch der Gott Bel verehrt – wie in Palmyra. Offenbar ging die arabisch-aramäische Bevölkerung mit den griechisch-römischen Einflüssen pragmatisch um.

Die vielen sakralen Skulpturen, die in Hatra gefunden wurden, zeigen große Meisterschaft in der Ausgestaltung der Gewänder und des Schmucks. Sie spielen mit den kulturellen Einflüssen, denen sie unterliegen, verknüpfen assyro-babylonsiche Züge mit griechisch-römischen und iranischen Traditionen. Hatra war ein Schmelztiegel der Kulturen, der ein Nebeneinander verschiedener Kunststile und Gottheiten duldete. Vielleicht war es genau das, was den IS in die Wüste trieb, um dieses plurale Zeugnis früharabischer Kultur zu zerstören.

Schon in den 90er Jahren, als die Iraker Restaurierungsarbeiten in Hatra vornahmen, gab es Plünderungen in der Ruinenstadt. Wertvolle Skulpturen wurden in das Nationalmuseum von Bagdad gebracht. Während des Irak-Kriegs erlitt Hatra keinen Schaden, aber viele der Kunstwerke, die man im Nationalmuseum von Bagdad in Sicherheit wähnte, wurden bei den Plünderungen des Museums in den letzten Kriegstagen 2003 gestohlen.

Mit den Zerstörungen durch den IS ist dem kulturellen Gedächtnis und der Seele der Nation erneut schwerer Schaden zugefügt wordenein kultureller Völkermord, der die kulturelle Identität der Iraker auslöschen soll.

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