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Arbeiten von Cindy Sherman bei der diesjährigen Berlin Art Week.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin Art Week: Cindy Sherman: Der Schmerz im Auge des Betrachters

Mechanismen der Bilderfabrikation: 65 Werke Cindy Shermans sind im me Collectors Room zu sehen. Sie zeigen alle Werkphasen der Künstlerin.

Orangefarbener Pulli, orange-weiß karierter Rock, auch die Gesichtsfarbe tendiert ins Orangerote: Das ist der erste Eindruck einer Fotografie, die eine junge Frau auf einem gekachelten Fußboden liegend zeigt. Es stammt von 1981 und gilt als bekanntestes der Selbstporträts von Cindy Sherman, mit denen sie berühmt geworden ist. Die Arbeit ist nun im me Collectors Room in der Auguststraße zu sehen, wo der Essener Sammler Thomas Olbricht eine private Galerie unterhält.

65 Arbeiten hat der Arzt und Erbe des Wella-Unternehmens aus allen Werkphasen Shermans zusammengetragen. Die Künstlerin hat die Ausstellung selbst anhand eines Modells der Räume arrangiert. Streng chronologisch ist sie dabei nicht vorgegangen, wenngleich zumindest die frühesten Werke gleich rechts vom Eingang platziert sind. Es ging ihr um ein ästhetisches Arrangement, und das ist gelungen. Eine besondere Freude bereitet das fröhliche Durcheinander an der abschließenden Querwand der Halle, wo sich Puppen, Märchenfiguren und Masken tummeln, das ganze Personal.

Cindy Sherman fotografiert stets sich selbst – oder vielmehr Rollen, die sie spielt, für jeweils ein einzelnes Bild. Begonnen hat die 1954 geborene Künstlerin Ende der Siebziger mit „Film Stills“, vorgeblichen Standaufnahmen aus Hollywoodproduktionen. In der Serie der „Hollywood Types“ von 2000/02 hat sie diese Idee wieder aufgenommen, nur stellt sie nun ältere Schauspielerinnen dar, die sich für ein Casting nochmals hergerichtet haben, so komisch wie tragisch. Ein Kommentar zum „American Dream“.

Keine vorgetäuschte Realität, sondern vorgegebene Bilder

Cindy Shermans Arbeiten sind von Anfang an weder Nachahmung noch Parodie der überquellenden Bilderfabrikation. Vielmehr zeigen sie deren Mechanismen auf. Indem die Künstlerin tausendundeine Rolle annimmt – wobei ihre Verkleidungen im Laufe der Jahre immer grotesker wurden –, löscht sie sich als Individuum aus. Übrig bleibt das Bild, das an den diffusen Bildervorrat und die Empfindungen des Betrachters anknüpft.

Zu den von Olbricht bevorzugten Themen wie Tod, Vanitas oder Wunder passen Shermans Motive bestens. So hat sie sich 2008 in den „Society Ladies“ in Damen der besseren Gesellschaft versetzt. Die großformatigen Fotos erhielten ornamentierte Rahmen. Die „History Portraits / Old Masters“ von 1988/90, mit denen sie an fiktive Vergangenheiten und entsprechende Altmeistergemälde anknüpft, sind in historisierende Rahmen gefasst. Darin erlaubt sie sich auch Abweichungen, wie in dem Bild einer „Maria lactans“, der nährenden Mutter – der ausgerechnet das Baby fehlt. Gern zeigt sich Sherman auch als Märchenfigur. In den „Broken Dolls“ hat sie die Selbstporträts zugunsten von Bildern zergliederter Puppen verlassen. „Der Schrecken“, so erläuterte die Künstlerin einmal , „sollte von dem herrühren, wofür die sexuellen Elemente tatsächlich stehen: Tod, Macht, Gewalt, Schönheit, Trauer und so weiter.“

An Shermans Arbeiten ist das Künstliche stets zu erkennen, das Rollenspiel ist Teil des Werkes. Es sind nicht Bilder einer vorgetäuschten Realität, sondern über vorgegebene Bilder. Abgesehen von den frühen Arbeiten werden sie eigens am Computer bearbeitet und um passende Bildhintergründe ergänzt. Alle Arbeiten sind Auflagenobjekte, die Anzahl variiert von 4 bis 10. Der Kunstmarkt honoriert die innere Geschlossenheit ihres Œuvres mit Spitzenpreisen. Spätestens als Cindy Sherman 1999 der Goslarer Kaiserring zugesprochen wurde, war ihr Status als eine der herausragenden Künstlerinnen der Gegenwart im Wortsinn – besiegelt.

me Collectors Room, Auguststr. 68, ab 16. 9. bis 10. 4.; Di bis So 12–18 Uhr. Katalog 14,80 Euro.

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