Weinstein-Prozess: Der Richter rügt den Angeklagten
Harvey Weinstein steht vor Gericht: In New York hat die Geschworenen-Wahl begonnen. Richter Burke rügt Weinstein, weil er verbotenerweise sein Handy benutzte.
Am zweiten Tag des New Yorker Prozesses gegen den früher mächtigen Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen sexueller Gewalt in zwei Fällen begann das Gericht mit der Geschworenen-Auswahl. Beim Start der für voraussichtlich zwei Wochen veranschlagten Prozedur reagierte der vorsitzende Richter James Burke ungehalten auf den Angeklagten, als dieser laut Burke zum wiederholten Mal auf seinem Smartphone herumtippte, obwohl das nach den Prozessregeln nicht erlaubt ist.
Wie einige der beim ersten MeToo-Prozess im Saal anwesende Journalisten berichten, wurde Burke zornig und wies Weinstein zurecht. "Ich will keine Entschuldigungen, sondern Folgsamkeit," sagte er. "Wollen Sie wirklich den Rest Ihres Lebens hinter Gittern verbringen, weil sie Textnachrichten schicken und eine Gerichtsanordnung missachten?"
Einen von Weinsteins Anwälten, Arthur Aidala, ließ Burke seine Anweisungen wiederholen, auch drohte er damit, die nach Verletzungen der Fußfessel-Auflagen bereits von 1 auf 2 Millionen Dollar erhöhte Kaution weiter zu erhöhen - wozu es bisher allerdings nicht kam.
Die Auswahl der Geschworenen unter den 120 möglichen, am Dienstag erschienenen Kandidaten, ist besonders schwierig, denn laut Gesetz müssen die zwölf Männer und Frauen unvoreingenommen sein, auch müssen beide Prozessparteien der Auswahl zustimmen. Gleich am Dienstag schloss James Burke 43 Kandidatinnen und Kandidaten aus, die sich auf Nachfrage selbst für befangen erklärten. Beide Parteien, der Angeklagte und die New Yorker Staatsanwaltschaft, haben die Möglichkeit, weitere je 20 abzulehnen.
Die ersten 34 Kandidaten füllten zunächst einen detaillierten Fragebogen aus, auf dem sie unter anderem angeben müssen, ob sie selber, jemand aus ihrer Familie oder dem engsten Freundeskreis Opfer sexueller Gewalt geworden seien oder in der Unterhaltungsindustrie arbeiten.
Die Anwälte des 67-jährigen ehemaligen Hollywood-Moguls hatten zunächst eine Vertagung des Prozesses beantragt. Arthur Aidala begründete dies mit der Nachricht vom Montag, dass auch die Staatsanwaltschaft von Los Angeles Weinstein in zwei weiteren Fällen der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung formal beschuldigt hatte. Dies sei "unglaublich schädlich" für Weinstein, sagte Aidala. Mit einem solchen "Weihnachtsgeschenk" für die New Ankläger könne keine faire, unparteiische Jury zusammengestellt werden.
Niemand ist neutral: Bisher wird vor allem um Fairness gerungen
Der Richter wies den Antrag jedoch zurück: Jeder Angeklagte habe bis zu einer Verurteilung als unschuldig zu gelten. In mehreren kurzen Wortwechseln ging es darum, die Gegenseite als befangen oder bevorteilt zu diskreditieren. Auch den Antrag von Weinsteins Verteidigerteam, einen Kriminapolizisten in den Zeugenstand zu rufen, um zu beweisen, dass die Staatsanwaltschaft entlastendes Material zurückgehalten haben, lehnte Burke ab. Über die Frage, ob und wie 72 sensible und offenbar belastende Fotos als Beweismittel vor Gericht gezeigt werden dürfen, will er später entscheiden.
Am Montag hatte James Burke umgekehrt den Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine strenges Redeverbot zurückgewiesen, nachdem eine Staatsanwältin Weinsteins Hauptverteidigerin Donna Rotunno wegen einer Äußerung in einem CNN-Interview kritisiert hatte. Über Annabella Sciorra, die 1993 von Weinstein vergewaltigt worden sein soll und die als Zeugin in New York auftreten wird, hatte Rotunno gesagt, sie habe ja Erfahrung damit, sich als Schauspielerin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Burke forderte alle Parteien dazu auf, sich besser überhaupt nicht öffentlich über die Zeugen zu äußern.
Die Geschworenen dürfen den Prozess nicht in den Medien verfolgen
Am Ende des Auswahlverfahrens muss das Gericht zwölf Geschworene und sechs Nachrücker gekürt haben, diese müssen sich verpflichten, während des Prozesses keine Medienberichte oder Internetinformationen über den Prozess zur Kenntnis zu nehmen - auch das dürfte äußerst schwierig sein. James Burke verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass am Mittwoch, den 22. Januar, die Eröffnungsplädoyers beginnen können.
Mehr als 80 Frauen, darunter auch Hollywoodstars, werfen Weinstein sexuelles Fehlverhalten vor, das der damalige Boss der Weinstein Company, einer der mächtigsten Männer in der US-Filmindustrie, über viele Jahre wiederholt haben soll. Das Bekanntwerden des Skandals im Oktober 2017 hatte die weltweite MeToo-Bewegung ausgelöst. Einige der prominenten Betroffenen und Zeuginnen wurden am Dienstag namentlich von Richter Burke verlesen, darunter Salma Hayek, Charlize Theron und Rosie Perez.
Sie könnten als potentielle Zeuginnen persönlich vor Gericht erscheinen oder mit ihren Aussagen dort zitiert werden, ebenso wie etwa Harvey Weinsteins Bruder Robert als Co-Chef seiner früheren Produktionsfirma. Burke wollte von den potentiellen Geschworenen wissen, ob ihnen diese Namen bekannt seien.
Harvey Weinstein, der weiter seine Unschuld beteuert und von einvernehmlichen Handlungen spricht, war auch am Dienstag mit Gehhilfe im Gericht erschienen, wegen einer Rückenmark-Operation nach einem Autounfall im August. Nach der Mittagspause erschien er mit einem Buch anstelle des Handys. Die Journalisten des Branchenblatts "Variety" und des Magazins "Vulture" wollen gesehen haben, dass es sich um eine Monographie über die Mankiewicz-Brüder handelte, zwei mächtige Hollywoodproduzenten und -Regisseure in den 30er und 40er Jahren. (mit AFP)