Weinstein-Prozessauftakt in New York: Einst mächtiger Mogul tritt als kränklicher alter Mann auf
Zum Prozessauftakt wirkt Harvey Weinstein wie ein gebrochener Mann. Eine Schauspielerin aber meint: „Man hat ihm gute Schauspieler-Tipps gegeben.“
Es sind zwei von über 80 Frauen: Zwei der zahlreichen Schauspielerinnen und Mitarbeiterinnen, die dem ehemaligen Filmproduzenten und Independentkönig Harvey Weinstein sexuellen Missbrauch vorwerfen, bringen ihre Anklage seit diesem Montag in New York vor Gericht. Es geht um Vergewaltigung und sexuelle Nötigung: Mimi Haleyi, früher Produktionsassistentin bei der Weinstein Company, beschuldigt ihren ehemaligen Boss, sie 2006 zum Oralverkehr gezwungen zu haben; eine weitere, anonym bleibende Frau soll 2013 von dem Produzenten in einem New Yorker Hotelzimmer vergewaltigt worden sein.
Der Prozess vor dem Obersten Gericht in Manhattan begann mit Verfahrensfragen. Die Wahl der Geschworenen wird voraussichtlich zwei Wochen in Anspruch nehmen, erst danach werden die Eröffnungsplädoyers gehalten. Der Prozess dauert mindestens zwei Monate.
Nur zwei Frauen? Manche Fälle sind verjährt, manch eine scheut den voraussichtlich erneut entwürdigenden Medienzirkus – und rund 30 Betroffene haben sich auf die Zahlung von Entschädigungen eingelassen, in Höhe von insgesamt 25 Millionen Dollar. Nicht Weinstein zahlt, sondern die Versicherung seiner Firma.
Das Verfahren ist von größter öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet: Vor dem imposanten Art-Deco-Gebäude des Criminal Court standen die Medienvertreter seit vier Uhr morgens Schlange. 120 Plätze hat der Saal, über 200 Medien sind akkreditiert. Die Kameras klicken, als Weinstein mit einer Gehhilfe vor dem Gebäude erscheint: Der einst mächtige Mogul tritt als kränklicher alter Mann auf, umringt von seinen Verteidigern.
„Er sieht wie ein gebrochener Mann aus“, sagt die Schauspielerin Rosanna Arquette direkt im Anschluss bei einer "TimesUp"-Pressekonferenz draußen vor dem Gerichtsgebäude. „Man hat ihm gute Schauspieler-Tipps gegeben“, ergänzt ihre Kollegin Rose McGowan, die ebenfalls vor über zwei Jahren als eine der ersten das Schweigen gebrochen hatte.
„Die Zeit ist vorbei“, ruft Arquette ins Mikrofon, sie gehört zu den prominentesten Weinstein-Opfern: „Für sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz, für leere Entschuldigungen, für die Kultur des Schweigens.“ Die Schweigekultur und die Komplizenschaft vieler Mitwisser hatte am Vorabend bei der Verleihung der Golden Globes auch Moderator Ricky Gervais angesprochen.
Wobei der Prozess keineswegs nur von erheblicher symbolischer Bedeutung sein dürfte, für die betroffenen Frauen, für die weltweite MeToo-Bewegung, für den Kampf gegen Machtmissbrauch, gegen strukturelle und körperliche Gewalt. Der 67-Jährige könnte zu einer zehnjährigen, ja sogar lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Denn die Staatsanwaltschaft wird drei weitere Fälle sowie psychologische Gutachter aufrufen, um zu beweisen, dass es sich bei Weinstein um einen Wiederholungstäter handelt. Unter anderem wird der „Sopranos“-Star Annabella Sciorra als Zeugin erwartet. In Los Angeles und London sind weitere Verfahren gegen Weinstein anhängig; noch ist offen, ob es auch dort zur Anklage kommt.
Weinsteins Verteidiger wollen beweisen, dass es sich um einvernehmlichen Sex handelte
Weinstein, der sich im März 2018 selbst den Behörden stellte und mit einer Millionen-Dollar-Kaution auf freiem Fuß ist, beteuert seine Unschuld. Seit den Enthüllungsreportagen in der „New York Times“ und dem Magazin „The New Yorker“ im Oktober 2017 sieht er sich mit massiven Vorwürfen auch von Hollywoodstars konfrontiert. Es habe sich ausnahmslos um einvernehmlichen Sex gehandelt, hält Weinstein dagegen. Seine Verteidiger wollen dies mit E-Mails und anderen Dokumenten belegen. Sie hatten vergeblich versucht, den Prozess in eine andere Stadt zu verlegen. Aber die Begründung, ein fairer Prozess sei in New York kaum möglich, überzeugte die Justizbehörde nicht.
Also schaut jetzt alle Welt nach New York, wo Weinstein bereits 2015 von der Polizei vernommen worden war, nachdem eine 22-Jährige ihn unsittlicher Berührungen beschuldigt hatte. Zur Anklage kam es damals nicht. Richter James Burke hat jetzt verfügt, dass keine Kameras im Gerichtssaal zugelassen sind – anders als sonst an US-Gerichten möglich. Die Journalisten im Saal dürfen auch nicht twittern. Hype und Hysterie sollen auf diese Weise in Grenzen gehalten werden, einem fairen Verfahren zuliebe. Wer live berichten will, muss den Saal dafür verlassen.
Der erste namhafte MeToo-Prozess
Wer ist parteiisch, wer hat sich in den Sozialen Medien bisher wie positioniert? Um diese Frage wird schon bei der Auswahl der zwölf Geschworenen gestritten werden. Der Weg von Anschuldigungen – und seien es noch so viele – zu belastbaren Beweisen ist beschwerlich. Über 200 prominente Männer wurden seit 2017 wegen sexueller Übergriffe bezichtigt, von Kevin Spacey über James Levine und Placido Domingo bis zu Dieter Wedel. Viele von ihnen haben vieles verloren, ihre Reputation, ihren Posten, ihr Firma, ihre Ehe. Aber keiner wurde bisher verurteilt, meistens kam es gar nicht erst zum Prozess.
Die Anklage gegen Spacey wurde mangels Beweisen fallengelassen; der Rapper R. Kelly sitzt noch in Untersuchungshaft. Lediglich Bill Cosby, 82, büßt seit 2018 eine mindestens dreijährige Haftstrafe in Pennsylvania ab. Die Anklage gegen den Comedian war allerdings schon vor dem Weinstein-Skandal erhoben worden.