Peymann und seine letzte Inszenierung am BE: Der Rest ist Reigen
Anfang und Ende ein Tanz auf dem Seil: Claus Peymanns Abschied als Regisseur am Berliner Ensemble – mit Kleists „Prinz von Homburg“.
Am Ende, beim langen Schlussapplaus, fällt Claus Peymann als Regisseur und scheidender Intendant vor seinem Homburgprinzen, dem Schauspieler Sabin Tambrea, auf die Knie, wirft einen Handkuss auch zu den dahinter aufgereihten Mitakteuren. Hierauf möchte ihm die wunderbare alte Komödiantin Carmen-Maja Antoni den am Boden liegenden Lorbeerkranz eines Schlachtensiegers aufs Haupt drücken. Aber da springt Peymann, eben noch, mit Kleist zu sprechen, „auf den Knien seines Herzens“, wieder auf. Auch er ist ja in tiefster Brust ein Komödiant, und er schleudert das Requisit temperamentvoll über alle Köpfe hinweg in den schwarzen Bühnenorkus.
Theatertheater. Ein Wort von Peter Handke, Peymanns zweitem Favorit unter den zeitgenössischen Dramatikern (die Nr. 1 war Thomas Bernhard). Hierauf schlägt der Peymann des Abends sich an der Rampe die Hände vors Gesicht und stürzt ergriffen weg in die Kulisse. Man denkt, das war’s nun, das Finale seiner letzten Inszenierung nach mehr als 16 Jahren Regentschaft am Berliner Ensemble. Doch schon kehrt der eben noch so schön gespielt-überwältigt wirkende Zampano zurück, Theatertränen getrocknet, wieder theaterselig.
Es ist ja auch nicht wirklich der Abschied, selbst wenn viele Veteranen der diversen Metiers sich im Parkett versammelt haben: von Bundestagspräsident Norbert Lammert (ein Bochumer und Peymann-Fan seit dessen glanzvoller Intendanz an der Ruhr) bis zu Finanzminister Wolfgang Schäuble oder Staatsopernintendant Jürgen Flimm. Bloß die senatorischen Vertreter der Kulturhauptstadt, die haben wir übersehen?
Aber nein, Peymann verlässt das BE erst im Sommer, wenn sein Nachfolger Oliver Reese aus Frankfurt/Main kommt. Also ist auch dies nur eine Theaterkritik – und kein Schwanengesang. Gleichwohl ruft gerade Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ große Erinnerungen wach, zumal in Berlin. Auch am Freitagabend fiel im Premierenpublikum immer wieder der Name: Stein. Denn Peter Steins „Homburg“-Inszenierung an der einstigen Schaubühne am Halleschen Ufer war mit Bruno Ganz in der Titelrolle, mit Peter Lühr, Otto Sander und der betörenden Jutta Lampe als Prinzessin Natalie 1972 ein Geniestreich. Kleists letztes Drama, mit dem der preußische Offizier und Dichter kurz vor seinem Selbstmord noch auf’s erlösende (Über-)Lebensglück hoffte, hatte Stein zusammen mit seinem Dramaturgen Botho Strauß als Kleists „Traum vom Prinzen von Homburg“ gedeutet. Kleist Biografie und Poesie wurden dabei ohne größere Eingriffe in den Text grandios verwoben.
Zauberhaft fängt der Abend an....
Das war ein europäisches Ereignis, wie zwei Jahrzehnte zuvor Jean Vilars „Homburg“ bei den Festspielen in Avignon: mit dem romantisch schönen Gérard Philipe und der jungen Jeanne Moreau als Natalie. Kleists Stück über die Schlacht von Fehrbellin, über den Sieg der Preußen gegen die Schweden und über den Prinzen, der als General einen militärischen Befehl missachtet und dafür standrechtlich sterben soll – dies in Frankreich so kurz nach dem Weltkrieg aufzuführen, war eine Sensation. Und wurde zum Akt der Versöhnung durch Theater, Dichtung, Schauspielkunst. Bei Kleist in Frankreich triumphierte das Gefühl über die Staatsräson, die Liebe über den Krieg.
Man muss das erzählen, weil auch Peymann früher schon mit Kleist international gefeiert wurde. Erst sein Stuttgarter „Käthchen von Heilbronn“ vor 40 Jahren und dann 1982 die Bochumer „Hermannsschlacht“, Kleists skandalisiertes, von den Nazis missbrauchtes Drama vom Kampf der Germanen gegen die Römer (und vom Autor gegen das napoleonische Frankreich gedacht). Auch jene „Hermannsschlacht“ geriet Peymann zum Geniestreich, denn das finstere Schlachtstück mit Gert Voss als Titelheld mit Che-Guevara-Mütze und Kirsten Dene als blondierte Gattin Thusnelda funkelte plötzlich auch als schwarze Ehekomödie.
So lag die Latte, sportiv gesagt, krass hoch vor Peymanns drittem Anlauf mit Kleist. Und immerhin fängt der Abend jetzt im BE ganz zauberhaft an.
Altmeister Achim Freyer, der schon bei Peymanns Stuttgarter „Käthchen“dabei war, hat vom kahlen schwarzen Halbrund der Bühne bis hoch in den Rang ein leuchtendes Drahtseil durchs ganze Theater gespannt. Als nun das Nachtstück einsetzt mit dem Spott der Hofgesellschaft über den vor der Schlacht im Garten von Fehrbellin dahinträumenden Prinzen, beginnt Sabin Tambreas Homburg als Schlafwandler mit entblößtem Oberkörper auf den Draht zu steigen. Der Traumtänzer wird zum Seiltänzer. Und zweieinhalb Stunden später, als der vom Kurfürsten endlich doch begnadigte Homburgprinz bei Kleist in eine Ohnmacht sinkt, geht Tambrea wiederum in Trance aufs Seil; er balanciert, bis er, während neuer Kanonendonner grollt, hoch über der Bühne an einer Halterung jäh zusammensackt. In der Aufführung, von den Kostümen, Kriegsfahnen bis hin zur dünn gezackten Linie auf dem Hintergrund der Szene (halb Menetekelschrift, halb Herztonzeichen) gibt es bis dahin allein die Farben Schwarz und Weiß. Jetzt aber rinnt dem in den Seilen hängenden Prinzen wie einem tödlich Getroffenen Blut rot aus dem geöffneten Mund. Statt des schon vor der Pause ausgestoßenen Schlachtrufs „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“, waren die letzten Worte hier Kleists berühmte Wendung „Ein Traum, was sonst?“. Nun ist’s, schwarz-weiß-rot, der Vorschein späterer Kriege. Künftiger Albträume.
..., dann aber klaffen viele Löcher bis zum Ende
Leider klaffen zwischen dem starken Anfang und diesem Ende manche Löcher. In der von Peymann und den Dramaturginnen Jutta Ferbers und Sarah Thielen durchaus plausibel eingestrichenen, damit freilich auch allen Kleist’schen Überschwangs beraubten BE-Fassung gerät dieser „Homburg“ selten in die abgründige Schwebe zwischen Gefühls- und Vernunftdrama. Dieses Berliner Ensemble ist im Ganzen zu bieder, zu konventionell (obwohl es bei Kleist um den Konventionsbruch geht), es fehlt über weite Strecken die poetische Emphase und der Inszenierung eine Idee. Bei Roman Kaminskis Kurfürst etwa erkennt man zwischen militärischem Law-and-Order-Denken und menschlichem Mitleid keinen tiefer bewegenden Konflikt; und Antonia Bills schnell knutschbereite Natalie wirkt als Prinzessin schon wegen ihres fatal ungünstigen Kostüms (plus Haardutt) oftmals wie eine verliebte Gouvernante.
Sabin Tambrea, vor allem in seinen leisen Tönen hoch intensiv, ist ein spannungsvoller junger Homburg; ihm mangelt es jedoch an gleichrangigen Mitspielern – ausgenommen der energisch präsente Matthias Mosbach als Homburgs Freund Hohenzollern und Carmen-Maja Antoni in der Hosenrolle des Obristen Kottwitz. Sie hat tatsächlich Witz. Der Rest ist Reigen. Von Theaterschemen.
Wieder am 13., 24., 26. 2. und 9. 3.