Billy Joe live in Frankfurt: Der Piano Man rockt das Stadion
Billy Joel begeisterte die Fans bei seinem einzigen Deutschland-Konzert in Frankfurt mit Hits, Scherzen und einer Elton-John-Parodie.
Die Commerzbank-Arena in Frankfurt am Main war so gut wie ausverkauft, der Madison Square Garden in New York ist es seit vier Jahren jeden Monat einmal, wenn er auftritt. Vor mehr als 20 Jahren veröffentlichte Billy Joel sein letztes Album „River of Dreams“, vor mehr als zehn Jahren trat er in Deutschland zuletzt auf, die Hallen füllt der 67-Jährige trotzdem. Für ein einziges Konzert war der „Piano Man“ nun zurück in Deutschland und plünderte die eigene Musikbiografie. Die VIPs hielt es nicht lange auf ihren 800-Euro-Stühlen.
Von der Piano Bar zum Stadion-Rocker
Im Spätsommer 1978 brachte mein Vater von einer Dienstreise aus den USA das Album „52nd Street“ mit. Billy Joels trotzige Selbstvergewisserungshymne „My Life“ hatte seine Pop-Ablehnung aufgeweicht – und Joel den Erfolg seines ersten Albums („The Stranger“) noch mit diesem Weltbestseller übertroffen. Im Sommer 2016 pfeift mein neunjähriger Sohn „The Stranger“ auf dem Weg zum Konzert. Er ist nicht das einzige Kind, das sich mit Eltern unter das eher gesetzte Publikum mischt – und vielleicht wäre sein Opa auch mitgekommen, wenn er noch lebte.
Joels deutsche Wurzeln
Joels Opa war ein jüdischer Kaufmann, der in den 1930-er Jahren von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben wurde. Dessen Geschäft übernahm ein gewisser Josef Neckermann, was diesem zu einem überaus erfolgreichen Versandhauskonzern verhalf. Joel hat mal gesagt, ohne die Vertreibung seiner Familie aus Deutschland hätte es ihn als Musiker nie gegeben. Entfremdung ist oft genug treibende Kraft künstlerischer Schöpfung. Den Blick des Fremden hat Billy Joel nie wirklich verloren, er hat sie in Songs umgesetzt, die New Yorker Biografien zu Kurzgeschichten von Arrivierten, Gestrandeten und Geflüchteten verwandelt haben („Movin’ Out“). In deren Mitte reihte sich Billy Joel oft genug selbst ein, zum Beispiel als Hauptfigur seines wohl berühmtesten Songs "Piano Man" - als Barpianist begann er seine Karriere - und auch in seinem letzten Hit „We Didn’t Start The Fire“ aus Joels 1993 erschienenem letztem Pop-Album, das eine Chronik der Weltgeschichte ab seinem Geburtsjahr aufreißt.
Musikalische New-York-Biografien
New York, immer wieder New York, vom ersten Song des Abends („Seen the Lights Go Out on Broadway“) über die Klassiker („New York State of Mind“ und „Scenes from an Italian Restaurant“) und auch im weniger bekannten, angejazzten „Zanzibar“. Diesen Track kündigt Joel mit dem Hinweis an, nun folge kein Hit mehr, sondern ein "Album-Track", wie Produzenten schon mal weniger chartverdächtige Songs nennen, und damit Zeit für einen Toilettenbesuch. Wer allerdings dem Rat gefolgt war und "Zanzibar" zum Austreten genutzt hatte, der verpasste eine grandiose Trompetenimprovisation. Joel, zu Späßen aufgelegt, ist immer noch der Entertainer, wie er sich im dritten Album "Streetlight Serenade" beschrieb. Dass er kaum noch vom Klavierschemel aufkommt, den Schweiß nach fast jedem Song abtupfen muss und beim Schwingen des Mikrophon-Ständers auch mal einen Einsatz verpasst, diese Nöte des Alters macht er heute zum Stoff für Selbstparodie: Etwa wenn er eine Fliegenklatsche (!) schwingt oder nach einem Midtempo-Track keuchend das schwarze Handtuch über den Kopf zieht wie ein Mönch oder ein Jedi-Ritter seine Kutte.
Singer-Songwriter und Genre-Virtuose
Großartige Musiker hat Joel um sich geschart, dafür aber einen beklagenswert schlechten Soundtechniker engagiert: Bei "Angry Young Man" ist erst das Klavier, dann Joels Stimme kaum noch zu hören und fast das ganze Konzert über gehen orchestrierte und rockige Passagen nahtlos in einen Musikbrei über. Schade bei der Güte der Musiker: Einer schmettert zwischen den Songs die Puccini-Arie „Nessun Dorma“. Joels Background-Sängerin räumt er in "River Of Dreams" Zeit für ein mehrminutiges souliges Solo ein. Und die Lust an der Dekonstruktion des Werkes bricht sich auch beim Gassenhauer "My Life" bahn, den er mit einigen verpoppten Strophen von Beethovens Neunter einläutet.
Respektlos sich selbst, ironisch anderen gegenüber
Billy Joel ist respektlos sich selbst und dem eigenen Werk gegenüber, ironisch Wegbegleitern gegenüber: Plötzlich schlägt er auf dem Piano die ersten Akkorde von Elton Johns „Your Song“ an. Mit tiefer Stimme hebt er zu einer kurzen Parodie an, die er jäh wieder abbricht bei der Zeile: „Don’t have much money“ – und schüttelt verächtlich den Kopf. Eine einträgliche Tournee hatte Joel mit dem unverwüstlichen Hitverfasser John begonnen, beendete diese aber nicht. John hielt ihm vor, keine Pop-Songs mehr zu schreiben, Joel empfiehl ihm, etwas weniger (unbedeutende) Alben herauszugeben. Beide haben am Klavier Lieder hart an der Grenze zum Seichten geschrieben, aber nur bei Joel gingen sie als Inspiration des verliebten Singer-Songwriters durch. „Just the Way You Are“ schrieb er für seine erste Ehefrau und Managerin Elizabeth Weber, "Uptown Girl" gut ein Jahrzehnt später für das Supermodel Elle Macpherson.
Geht so ein "Oldie-Act"?
Vier Ehen und schlagzeilenträchtige Affären mit mehreren Supermodells hat er hinter sich, im vergangenen Jahr heiratete er eine 33-Jährige. Er lebt auf einem luxuriösen Anwesen in Long Island, handelt mit auf alt getrimmten Motorrädern und sagt, wenn er Musik schreibe, dann solche ohne Texte, orientiert an Klassik. Mr. Joel sagt, er habe nie ein „Oldie-act“ sein wollen, sei es aber nun wohl doch geworden. Ein Klassiker ist er allemal. Eine Hüftoperation und so manche Therapie hat er hinter sich, von denen er bestreitet, sie hätten der Heilung eines Alkoholproblems gedient. Von Depressionen, jener Kehrseite des kreativen Potenzial des Fremden, des Entfremdeten, ist in US-Medien die Rede, sogar über Suizide war spekuliert worden.
Für den Roadie greift er zur E-Gitarre
Den kleinen stämmigen Leib kann Joel schon lange nicht mehr auf den Flügel schwingen und ihn mit einem akrobatischen Sprung auf die Bühne befördern. Der härteren Gangart hat er trotzdem nicht abgeschworen. Es dauert eineinhalb Stunden, bis sich Billy Joel zum ersten Mal vom Platz hinter dem Klavier erhebt. Er schnallt sich eine E-Gitarre um den Hals und stimmt die Riffs an - von AC/DCs „Highway to Hell". Seinen Gitarren-Roadie hat er dazu zum Lead-Sänger befördert zur Überraschung des Publikums, dem Joel zuvor ein "religiöses, spirituelles Stück" angekündigt hatte, das wohl Kirchengängern bekannt sei. Es ist das erste Stück der dann folgenden eineinhalbstündigen Rockshow. Joel hat den Kragen seines Sakkos hochgestellt, wirbelt den Mikrofonständer durch die Luft und obwohl es oft staksige Gesten sind, lässt er den Saal tanzen: Big Shot, It’s Still Rock and Roll to Me, Uptown Girl, You May Be Right, in das die Band zwei Strophen von Led Zeppelins „Rock and Roll“ einwebt, die Party kommt zu ihrem Höhepunkt.
Nach fast drei Stunden ist es vorbei. Billy Joel ruckelt noch mal zum Bühnenrand, verbeugt sich, tosender Applaus - ist es Rührung, das sich auf dem runden Gesicht abzeichnet?
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