Zum Tod von Jiro Taniguchi: Der Meister der stillen Mangas
Er wurde vor allem im Westen als einer der wichtigsten Manga-Künstler gefeiert. Jetzt ist Jiro Taniguchi mit 69 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Fragil, sanft, sensibel – so war der Strich, mit dem er im fortgeschrittenen Alter seine Geschichten zu Papier brachte, und so wirkte auch der Künstler selbst in persönlichen Begegnungen. Dass Jiro Taniguchi gesundheitlich angeschlagen war, merkte man dem Manga-Meister an, als er sich vor drei Jahren mit dem Tagesspiegel in Tokio zum Interview traf. Mit leicht gebückten Schultern saß der schlanke, erschöpft wirkende Mann mit dem grauen Schnauzbart und der lichten Wuschelfrisur da in einem seiner Lieblingscafés unweit seines Ateliers an einem der hinteren Tische, blätterte mit schmalen Fingern durch die deutschen Ausgaben seiner Bücher, die der Besuch aus Berlin mitgebracht hatte, kommentierte mit leiser Stimme verlegerische Details.
Und als dann im Gespräch die Frage aufkam, ob er vielleicht auch mal für eine Reise nach Deutschland zu gewinnen sei, wo er viele Fans hat, da gab er höflich, aber bestimmt zu verstehen, dass er nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr viel reise, höchstens noch einmal im Jahr. Am Sonnabend ist Jiro Taniguchi mit 69 Jahren gestorben, wie sein französischer Verlag Casterman am Wochenende mitteilte.
Die Nachricht dürfte unter westlichen Manga-Lesern mit größerer Betroffenheit aufgenommen werden als in seinem Heimatland. Denn Taniguchi hatte vor allem unter der frankobelgischen Comic-Leserschaft viele Anhänger, auch im deutschsprachigen Raum und in Nordamerika schätzte man den Schöpfer von modernen Comic-Klassikern wie der Flaneurgeschichte „Der spazierende Mann“ als einen herausragenden Autor und Zeichner von stillen, introspektiven Manga-Erzählungen mit melancholischen Untertönen – wenngleich er in seinen früheren Werken auch temporeiche Genrestoffe von Krimi über Science Fiction bis zu Wildwest-Erzählungen adäquat umzusetzen wusste.
In Japan selbst galt er als Vertreter einer vom Erzähltempo wie den gewählten Themen wenig zeitgemäßen Art der Manga-Erzählung. Dass er in den Jahren vor seinem Tod dennoch mit einem Buch auf den japanischen Bestsellerlisten auftauchte, war allerdings nicht in erster Linie dem Zeichner zu verdanken. Der großer Erfolg der von Taniguchi nach einer Vorlage des Autors Masayuki Kusumi geschaffene Episoden-Erzählung „Der Gourmet“, in der die Hauptfigur in jeder Episode ein neues Restaurant besucht und von den Gerichten zu Gedanken und Erinnerungen angeregt wird, hatte einen schlichten Grund: Sie wurde ab 2012 sehr erfolgreich als TV-Serie adaptiert.
Hierzulande hingegen galt Taniguchi vielen als „einer der größten lebenden Manga-Künstler und einer der einflussreichsten grafischen Erzähler überhaupt“ – mit diesen Worten würdigte ihn im vergangenen Jahr der Internationale Comic-Salon Erlangen, der Taniguchis Werk in einer umfangreichen Ausstellung zeigte.
Ein aufgeräumter, europäischer Stil
Sein Zeichenstil speiste sich, anders als bei vielen anderen Mangaka, neben der japanischen Tradition deutlich auch aus europäischen Quellen, so waren die Traumwelten des französischen Science-Fiction-Erneuerers Moebius ab Mitte der 70er Jahre der Ausgangspunkt von Taniguchis Hinwendung zu einem Zeichenstil in der Tradition der europäischen „Ligne Claire“: aufgeräumte Einzelbilder mit Figuren, die auf wenige Linien reduziert sind und vor detaillierten, naturalistisch gezeichneten Kulissen agieren.
Thematisch waren seiner Erzählungen, die er zum Teil selbst schrieb und zum Teil auf Grundlage der Texte anderer Autoren, jedoch tief in der Kultur und dem Alltag seines Landes verwurzelt. Das reichte von Biografien heimischer Schriftsteller der Meji-Zeit über den Wettkampf zweier japanischer Bergsteiger um die gewagtesten Erstbesteigungen („Gipfel der Götter“, auf Deutsch bei Schreiber & Leser) bis zu autobiografischen Erzählungen wie „Ein Zoo im Winter“ und sein Schlüsselwerk „Vertraute Fremde“ (1998, auf Deutsch bei Carlsen). Das 400-Seiten-Epos über die Zeitreise eines Architekten in die eigene Jugend wurde 2010 von Sam Gabarski verfilmt. Und immer wieder spielte seine Wahlheimat Tokio in Taniguchis Werk eine große Rolle.
Taniguchis Tod hinterlässt eine Leerstelle. „Meine Mangas sind im Vergleich zu vielen anderen aktuellen Serien für die allgemeinen Manga-Leser nicht sehr leicht verdaulich“, sagte Taniguchi damals beim Tagesspiegel-Interview. „Die jüngeren Autoren sind hauptsächlich darum bemüht, Mainstream-Mangas zu zeichnen, die sich gut verkaufen. Sie wollen ja bekannt werden, Bestseller schaffen und davon gut leben können.“ Dennoch beobachte er zu seiner Freude, „dass auch die Mangas der jüngeren Autoren immer vielfältiger werden“, Themen wie Zeichentechnik seien zunehmend innovativ. Mögliche Nachfolger, die sich an seinem Stil orientieren, seien allerdings nicht in Sicht. „Die Zeichner orientieren sich nicht an mir, sondern wollen etwas ganz eigenes kreieren.“
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