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David Bowie Album "The Next Day": Der Mann ohne Alter

Nachdem er vor zehn Jahren sein letztes Album "Reality" herausbrachte, schien David Bowie bereits mit der Popbranche abgeschlossen zu haben. Dann kündigte er an seinem 66. Geburtstag überraschend ein neues Werk an. Jetzt hat der Sänger die Platte „The Next Day“ online gestellt - eine Woche, bevor sie in die Läden kommt. Der erste Höreindruck: Bowie rockt gewaltig.

Plötzlich war er zu einem Enigma geworden. Die Stille, die David Bowie ab Mitte der nuller Jahre umgab, verlieh ihm eine zunehmend mysteriöse Aura und gab Anlass zu allerlei Gerüchten. Man kann diesen Übergang in den Status der rätselhaften Figur als eine neue Rolle des ewigen Rollenwechslers sehen, als geniale Strategie, sich der überdrehten Aufmerksamkeitsökonomie des Popgeschäfts zu verweigern, aber gleichzeitig eine Hyperaufmerksamkeit zu kreieren. Wahrscheinlich war es wesentlich unspektakulärer, und Bowie wollte nach seinem Herzinfarkt, den er 2004 während eines Konzertes erlitten hatte, einfach erst einmal seine Ruhe haben. Vielleicht hat er sich nur gut auskuriert, Zeit mit seiner Familie in New York verbracht und sich ausgiebig seinen Hobbys gewidmet.

Doch obwohl Bowie nie völlig verschwunden war – es gab gelegentliche Platten- und Filmauftritte, auch Kommentare zum aktuellen Geschehen in der Popwelt – entwickelte sich dieses Mysterium. Hatte der Superstar bereits abgedankt? Bowies einziger eigener Beitrag zum Rätselspiel war: Nicht über seine eigene Musik zu reden und alle Mitwirkenden am neuen Album zu Stillschweigen zu verpflichten. Alle hielten dicht, und so war es am 8. Januar, dem 66. Geburtstag des Sängers, ein echter Coup, als er einen neuen Song samt Video auf seiner Website veröffentlichte und ein komplettes Album für den 8. März ankündigte.

Jetzt hat Bowie eine weitere Überraschung hinterhergeschickt und schon eine Woche vor diesem Termin einen Gratisstream von „The Next Day“ bei itunes verfügbar gemacht. Wer auf Bowies Facebook-Seite seinen Lieblingssong nennt, bekommt außerdem die Chance, ein signiertes Exemplar zu gewinnen. Mit dieser Aktion erzeugt der Sänger nochmals publicityträchtige Aufregung, perfektes Marketing eine Woche vor Verkaufsstart. Es spannt auch die Kritikerinnen und Kritiker mit ein, denn bis auf wenige Ausnahmen bekamen sie das Werk vorab nicht zu hören. Die Plattenfirma behandelte es wie eine Staatsgeheimnis, was auch bei anderen prominenten Musikern üblich ist. David Bowie, der keine Interviews zum Album geben will, spielt nach seinen eigenen Regeln. Die Presse ist ihm augenscheinlich egal, denn beweisen muss er niemandem mehr etwas.

Doch weil er immer noch einer der größten und schillerndsten Popstars des Planeten ist, kommt die Kritik nicht umhin, sich seiner Überrumpelungstaktik anzupassen. Ein erster Höreindruck zeigt, dass „The Next Day“ ein spannendes, aber keineswegs meisterhaftes Album geworden ist. Die vorab veröffentlichte melancholische Ballade „Where Are We Now?“, in der Bowie über seine Berliner Zeit sinniert, ist eher untypisch für die Platte. Deren Sound wirkt größtenteils rockig, weist aber auch hohe Pop-Anteile auf. Mit geradezu trotziger Energie wirft sich der Sänger in das Titelstück, das die Platte eröffnet und aus der Perspektive eines alten Tyrannen geschrieben ist: „Here I Am/Not quite dying“ heißt es im Refrain des recht formelhaft geratenen Rockstückes. Ähnlich gelagert ist auch das bollerige „(You Will) Set The World On Fire“.

Deutlich anregender wird es immer dann, wenn die Gitarren nicht die Führungsrolle haben. In „Love Is Lost“ kreischen lang stehende Orgelakkorde über eine monoton pulsende Bassline. Bowies Stimme löst die Anspannung mit einem strahlend in die Höhe steigenden Refrain auf. Die 14 Stücke wirken nicht, als läge ihnen ein durchgehendes Konzept zugrunde. Das Album ist eher eine lose Songsammlung. Offenbar hat sich in den zehn Jahren seit Bowies letzter Platte „Reality“ einiges Material bei ihm angestaut.

So probiert Bowie mal einen Motown-Rhythmus aus, macht mal kleine Jazzanspielungen oder errichtet im Abschlusssong eine hörspielartige Soundkulisse. Das psychedelisch angehauchte „I’d Rather Be High“ wird von einer militärisch ratternden Snare angetrieben. Es geht um einen traumatisierten Soldaten, der wieder im Alltag anzukommen versucht. Ein Rätsel bleibt das Covermotiv von „The Next Day“. Es zeigt die Schwarzweiß-Fotografie von David Bowie auf dem „Heroes“-Album aus dem Jahr 1977. Zu erkennen sind allerdings nur noch die Ränder, in der Mitte prangt ein weißes Quadrat mit dem Albumtitel. Der „Heroes“-Schriftzug wurde durchgestrichen.

Doch musikalisch ist kein eindeutiger Bezug zwischen beiden Platten zu erkennen. Weil das neue Werk so zerfällt, erweckt es vielmehr Erinnerungen an verschiedene Vorgänger – von „Diamond Dogs“ über „Space Oddity“ bis eben auch „Heroes“, das in Bowies Berliner Zeit entstand. Co-Produzent war damals Tony Visconti, mit dem Bowie seit 1969 immer wieder zusammengearbeitet hat. Und Visconti war es auch, den Bowie vor zwei Jahren anrief, um an neuen Songs zu arbeiten. In einem kleinen Studio in New York entstanden die ersten Demos, über die nächsten Monate kamen etappenweise weitere Stücke hinzu.

David Bowie geht auf „The Next Day“ mit großer Souveränität und Entspanntheit zur Sache. Seine Stimme ist immer noch stark, und einige der Songs sind es auch. Das Wiedersehen und -hören mit ihm macht Spaß, zumal wenn es so fantastisch aussieht wie das Video zur zweiten Single „The Stars (Are Out Tonight)“, in dem der Sänger und die Schauspielerin Tilda Swinton ein Ehepaar verkörpern. Sie sitzen im Wohnzimmer, nebenan lärmt eine Band. Es singt eine Frau in Männerkleidung, die wie eine jüngere Version von Bowie aussieht. Das Original klopft wütend an die Wand, die Kopie räkelt sich auf der anderen Seite. Eine reizvolle Perspektive: Statt selbst auf Tour zu gehen, könnte Bowie die Video-Band losschicken – so wäre der Rollentausch perfekt.

„The Next Day“ erscheint am 8. März bei Sony. Gratisstream bei itunes.

Nadine Lange

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