Schriftsteller warnt vor Iran-Krieg: Der lyrische Präventivschlag des Günter Grass
Literaturnobelpreisträger Günter Grass treibt die Angst um, Israel könne den Iran angreifen und "auslöschen" - mit Hilfe deutscher U-Boote. Dagegen hat er ein Prosagedicht verfasst, einen Appell für den Frieden. Doch der wird Streit hervorrufen.
Er hat die öffentliche Auseinandersetzung nie gescheut. Nein, Günter Grass sucht sie auch, und sie findet ihn. Allemal. Denn der heute in seinem Landsitz bei Lübeck schreibende, malende, bildhauernde Literaturnobelpreisträger, der im Herbst 85 Jahre alt wird, ist einer der letzten großen Vertreter jener zeitpolitisch eingreifenden, eingreifen wollenden Littérature engagée – in der Tradition eines Ludwig Börne und Heinrich Heine, eines Bert Brecht oder Jean-Paul Sartre.
Jetzt interveniert er wieder. In einem am Mittwoch von der "Süddeutschen Zeitung", aber auch in internationalen Blättern wie "la Repubblica" in Italien und vor allem in der "New York Times" erscheinenden, knapp zweieinhalb Typoskriptseiten langen Prosagedicht meldet sich Günter Grass im Streit um das iranische Atomprogramm zu Wort. Unter dem Titel "Was gesagt werden muss" will Grass auch in die Diskussion eingreifen über das geheime, keiner "Kontrolle und keiner Prüfung" zugängliche israelische Nuklearpotenzial; er wendet sich gegen einen möglichen Präventivschlag und die angekündigte Lieferung eines deutschen U-Boots an Israel. Eines U-Boots, "dessen Spezialität / darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe / dorthin lenken zu können, wo die Existenz / einer einzigen Atombombe unbewiesen ist".
Grass treibt die brennende Sorge um. Es geht ihm erst um "Planspiele", an "deren Ende als Überlebende / wir allenfalls Fußnoten sind", dann um "das behauptete Recht auf den Erstschlag", der das "iranische Volk auslöschen könnte". Seine Warnung kommt dabei fast zeitgleich mit einer halbseitigen Anzeige, die am vergangenen Samstag auch in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht wurde. Darin wird gleichfalls das "iranische Volk" genannt, das zwar in seiner Mehrheit "weder einen Krieg noch iranische Atombomben" wolle, sich aber gegen "Israels Atomarsenal und die militärische Einkreisung durch die USA" wehre.
Die über 1500 Unterzeichner dieses Anzeigen-Appells fordern "den Präsidenten der Vereinigten Staaten" und die "deutsche Bundeskanzlerin" auf, alle "Sanktionen und Kriegsdrohungen" gegen den Iran "sofort zu beenden" und Teheran als Gegenleistung für kontrollierte Beschränkungen seines Nuklearprogramms "einen gegenseitigen Nichtangriffspakt, möglichst gemeinsam mit Israel" anzubieten.
Unterzeichnet haben den als "Erklärung aus der Friedensbewegung und Friedenforschung" bezeichneten Aufruf unter anderem die Autoren, Ex-TV-Moderatoren und Wissenschaftler Franz Alt, Elmar Altvater, Hans-Peter Dürr und Iring Fetscher. Von der iranischen Diktatur und der angedrohten Auslöschung des Staates Israels durch den Holocaust-Leugner Mahmud Ahmadinedschad und Revolutionsführer Chamenei ist in der großen Anzeige indes nicht die Rede. Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik hat dies am Montag in der „Taz“ deshalb ein "dröhnendes Schweigen" und sehr "geschichtsvergessen" genannt.
Grass kämpft mit seinen eigenen Skrupeln
Während Grass gleich das apokalyptische Bild des atomaren Erstschlags beschwört, wendet sich Brumlik gegen einen "von den USA geduldeten Luftangriff auf die im Bau befindlichen iranischen Atomanlagen". Das meint etwas anderes und trifft weit mehr als Grass’ Menetekel die politische Realität. Doch geht es Grass um eine historische Dimension. So beginnt er sein in Brecht’schem Lehrton geschriebenes, auch an die einst populäre politische Gedankengesinnungslyrik von Erich Fried erinnerndes Prosapoem mit der Frage: "Warum schweige ich, verschweige zu lange..."; später folgt: "Doch warum untersage ich mir, / jenes andere Land beim Namen zu nennen" – gemeint ist Israel, und natürlich nennt er das zunächst verwunden umschriebene Land alsbald beim Namen. Und schweigt auch nicht. Sondern kämpft. Darum wohl die geschraubte, sich in eitler Bescheidenheit noch redend auf die Zunge beißende Sprache. Er kämpft mit den eigenen Skrupeln. Spricht vom lügenden Zwang, der auf dem Redenden laste, denn "das Verdikt ,Antisemitismus’ ist geläufig".
Sagt Grass, der sein Land "von ureigenen Verbrechen, / die ohne Vergleich sind" Mal ums Mal eingeholt und die eigene "Herkunft" von "nie zu tilgendem Makel behaftet" sieht. Grass hat in seinem ganzen Werk, von der "Blechtrommel" angefangen, die deutsche Verstrickung in Diktatur und Krieg und die Verantwortung für den Holocaust immer wieder thematisiert. Er spricht nun von dem, was er als Wahrheit "dem Land Israel, dem ich verbunden bin / und bleiben will, zumuten" müsse.
Doch gerade dieser Versuch der im Gedicht gleich mitgelieferten Selbstreflexion wirkt hier nicht befreiend. Man spürt eher die Pein und auch die Peinlichkeit. Natürlich weiß Grass, dass ihm das zumindest in Deutschland und teilweise auch im Ausland eine Diskussion eintragen wird, in der Töne und Misstöne der einstigen Paulskirchen-Rede von Martin Walser („Auschwitzkeule“) wieder anklingen dürften. Dabei wird gewiss niemand, der noch bei Trost ist, einem Grass den von ihm selbst in Gänsefüßchen gesetzten "Antisemitismus" vorwerfen können. Aber Grass hat erst spät, im Sommer 2006, in seinem autobiografischen Buch "Beim Häuten der Zwiebel" auf Seite 126 bekannt, als 17-Jähriger in der Endphase des Zweiten Weltkriegs in eine Division der Waffen-SS einberufen gewesen zu sein.
Viele, die Grass schätzen, haben ihn, der seinen Namen selber – in Unterschriften und Widmungen immer mit "ß" und nicht mit "ss" schreibt – da schwer verstehen können. Er war, fast noch ein Kind, in jenen Krieg geraten, hatte wohl nie einen Schuss abgefeuert. Aber warum das Eingeständnis so spät, nach so viel eigener öffentlicher Polemik – auch gegen Kohl und Reagan einst auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg (wo Angehörige der Waffen-SS begraben liegen)? Warum das auch hier in so gewundenem Stil und begleitet von Interviewäußerungen, die eigene Scham immer gleich mit Sündenstolz und Selbstgerechtigkeit mischten?
Seitdem gilt Grass nicht mehr als "Gewissen der Nation". Das er schon gerne sein möchte, er, der leidenschaftlich Zürnende, oft Irrende, oft Rechthabende, moralisch allemal Integere. Jetzt zieht er noch mal die Pfeile auf sich. Spricht nicht nur im Blick auf die deutsche Vergangenheit von Verbrechen. Sondern sagt, die Deutschen, wenn sie den Israelis das mit Nuklearsprengköpfen bestückbare U-Boot lieferten – es wäre seit den 90er Jahren das sechste seiner Art – könnten nun "Zulieferer eines Verbrechens werden", das voraussehbar sei, "weshalb unsere Mitschuld / durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre".
Wo Grass endet, beginnt also erst, was gefragt werden muss
Nun werden manche sagen, der ehemalige "Waffen-SSler" nennt das, was dem bedrohten Israel als Selbstverteidigung, wenn nicht Notwehr gilt, ein "Verbrechen". Die persönliche Abqualifizierung wäre gegenüber Grass nichts als abgeschmackt. Den Angriff auf ihn hätte Grass allerdings durch seine Wortwahl, durch das Gesagte und das Nichtgesagte provoziert. "Warum ist zu fragen, sage ich jetzt erst, / gealtert und mit letzter Tinte: / Die Atommacht Israel gefährdet / den ohnehin brüchigen Weltfrieden?" So sagt er es, mit Fragezeichen, als Behauptung. Wie er anfangs gleich die "Auslöschung" des iranischen Volkes an die Wand malt. Dieses Volk sei "von einem Maulhelden unterjocht". Ahmadinedschad, der für den Tod von tausenden Oppositionellen Verantwortliche, nur ein Maulheld? Grass’ stellt eine von ihm nicht explizit benannte Diktatur mit einer angeblich den Weltfrieden gefährdenden und nicht als solche bezeichneten Demokratie gedanklich auf dieselbe Stufe.
Viel klarer, unangreifbarer hat all das, was Grass in Sorge umtreibt, vor kurzem der israelische Schriftsteller David Grossman in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" beschrieben. Auch Grossman wendet sich gegen einen Präventivschlag Israels. Er kennt und benennt die Traumata seines Landes. Aber selbst im Falle einer bewiesenen iranischen Atombombe sei das "Gleichgewicht des Schreckens" besser als eine Handlung, deren militärischer Erfolg ungewiss sei, die aber den Mittleren Osten in Brand setzen und auch die iranische Opposition hinter die eigene verhasste Führung in Teheran zwingen könnte. Eine Führung, die zwar verabscheuenswürdig ist, aber kaum selbstmörderisch. Weil ein Angriff des Irans auf Israel einen legitimierten westlichen Krieg gegen den Iran bedeuten könnte.
Angesicht der dennoch drohenden militärischen Option seiner Regierung fragt Grossman am Ende: "Hat irgendein Mensch das Recht, so viele Menschen (im Iran) zum Tod zu verurteilen, nur weil er Angst hat vor einer Situation, die vielleicht nie eintreten wird?"
Das ist, realpolitisch und moralisch, bedenkenswert. Grass wählt einen anderen Schluss. Er plädiert dafür, dass Israels und Irans Atomanlagen einer "permanenten Kontrolle" durch "eine internationale Instanz" zu unterwerfen seien. Das klingt so vernünftig wie naiv. Denn der deutsche Großschriftsteller wischt mit apodiktischer Geste vom Tisch, was bisher zur Staatsraison Israels gehört. Die Haltung: Wir werden unser Schicksal nie mehr in fremde Hände legen. – Wo Grass endet, beginnt also erst, was gefragt werden muss.