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Igor Levit im Konzerthaus: Der Listenreiche

Beziehungsgeflecht: Der Pianist Igor Levit spielt Werke der drei großen B: Bach, Beethoven und - nein, nicht Brahms. Sondern Ferruccio Busoni.

Wer außer Igor Levit traute sich an ein solches Mammutprogramm! In einem Konzert drei Beethovensonaten zu spielen, darunter die beiden letzten, wäre schon herausfordernd genug. Doch der junge Senkrechtstarter aus Hannover, der sich gerade einen Platz in der ersten Pianistenriege erobert, erweitert sein Programm im Konzerthaus zu einem Treffen der „drei großen B“: Bach, Beethoven und – nein, nicht Brahms, sondern Busoni. Damit entsteht ein dichtes Beziehungsnetz an Traditionen und wechselseitigen Verweisungen: Urvater Bach speist entscheidend das Schaffen der beiden anderen, und Ferruccio Busoni war nicht nur ein großer Bach-Interpret und Bearbeiter, sondern wurde besonders für seine Darbietung der späten Beethovensonaten gerühmt.

Listenreich beginnt Levit sein Recital nicht mit Beethovens op. 109, sondern mit der wenig beachteten F-Dur-Sonate op. 54. Die Menuettmotive, von brüsken Oktavgängen gestört, das durch entlegene Harmonien mäandernde Perpetuum mobile zeigen den Komponisten als mutwilligen Gesetzesbrecher: Eine „klassische Sonate“ ist dies nicht. Was Levit unterstreicht, indem er Schroffheiten betont, Schockzustände herbeiführt. Hart und weich, kalt und heiß. Den Finalsatz leistet er sich als irisierende Klangstudie in wogendem Pianissimo, aus dem er Melodien herausfiltert.

Bachs c-Moll-Partita profitiert davon ebenso wie Busonis „Fantasia nach J. S. Bach“, denn die riesige dynamische Palette, eine nach allen Seiten offene Richterskala, eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Ist es bei Busoni der Kontrast traditionsgebundener und ins Atonale vorstoßender Schichten, so fesselt bei Bach die ungeheure Lebendigkeit und Variabilität der Stimmführung überhaupt, in der sich immer wieder meditative Inseln auftun.

Große Dramen ereignen sich in Beethovens letzten beiden Klaviersonaten, doch siegt auch hier das Meditative. Vollkommene Harmonie, von weicher Melodik und Arpeggien getragen, herrscht im Kopfsatz von op. 110. In organischem Spannungsbogen entwickeln sich Lamento- in großartig gesteigerte Fugenteile, überführen in überwältigender Schönheit Trauer in Trost. Warum wirkt das weniger im Mysterium von op. 111? Levits Pianissimo-Delikatessen werden fast zur Manier, verschwinden in Tonlosigkeit. Natürlich wird auch hier der Pianist der Partitur auf sublime Weise gerecht, doch die Ekstase des letzten Losgelöstseins kommt dabei ein wenig zu kurz.

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