zum Hauptinhalt
The Show must go on. Patriotismus als Medienspektakel: Die Irak-Veteranen werden im Footballstadion vorgeführt.
© Sony Pictures

Im Kino: "Die irre Heldentour des Billy Lynn": Der Krieg zu Hause

Ein kurzes Spektakel, dann geht's zurück in den Krieg: Ang Lees „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ ist ein bitterböser Kommentar auf Amerikas Großmachtstreben.

Der Soldat William Lynn hat einen Traum. Er steht auf dem Schlachtfeld im Irak, und einige Meter entfernt singt Beyoncé mit Destiny’s Child den Hit „Soldier“. Es ist ein Albtraum. Vor ihm brennt ein pyrotechnisches Feuerwerk ab, neben ihm schlagen die Geschosse des Feindes ein. Der Jubel Zehntausender begeisterter Amerikaner vermischt sich mit den Schreien der Kameraden, den letzten Worten seines tödlich verwundeten Sergeants. „Ich liebe dich, Soldat.“

Krieg und Spektakel. Der 19-jährige Billy Lynn (Debütant Joe Alwyn) aus Texas, den ein gottverdammter Zufall auf die Showbühne gestoßen hat, kann zwischen diesen beiden Realitäten kaum mehr unterscheiden. Er befindet sich mit seiner Bravo-Einheit auf einer zweiwöchigen Werbekampagne für einen Krieg, der zur eigenen Legitimation ständigen Nachschub an Helden benötigt.

Billy wurde zum Medienstar, weil ihn ein Fernsehteam beim vergeblichen Rettungsversuch seines Vorgesetzten gefilmt hat. Der Auftritt seiner Einheit in der Halbzeitpause eines Heimspiels der Dallas Cowboys stellt den Höhepunkt ihrer sogenannten Siegertour dar. Danach geht es zurück in den Krieg, der sich für Billy längst wirklicher anfühlt als der All-American-Lifestyle zwischen Bier und Football. Ein letzter Auftritt noch, dann hat die Realität ihn wieder.

Ständig gibt es etwas zu verhandeln

Es gibt noch eine zweite Zeitebene in Ang Lees „Die irre Heldentour des Billy Lynn“. Sie spielt einige Tage vor dem Fernsehauftritt, zu Hause bei Billys Familie in einer dieser amerikanischen Kleinstädte, in denen sich ein ungebrochener Patriotismus mit sozialen Abstiegsängsten mischt. Eine brisante Kombination, die beim Abendessen hitzige Kontroversen auslöst. Von dieser polarisierenden Wirkung amerikanischer Politik, über die sich sogar Familien zerstreiten, ist in liberalen US-Medien aktuell wieder viel zu lesen. Kathryn (Kristen Stewart) will ihrem Bruder eine erneute Iraktour ausreden, auch weil sie sich schuldig fühlt. Billy war für einen Autounfall verantwortlich, bei dem sich die ältere Schwester schwer verletzte. In der Armee sieht der jugendliche Versager die einzige Chance, Ordnung in sein Leben zu bringen.

Lee spiegelt diese beiden Handlungsstränge – Kathryns Versuch, Billy zum Besuch beim Psychiater zu bewegen, und dessen Torturen im Medienzirkus – über einen konzentrierten Zeitraum von knapp zwei Stunden ineinander. Sein Film spielt in Echtzeit, im Erzählrhythmus des Walk-and-Talk finden die Bilder eine ruhelose Spannung. Ständig gibt es etwas zu verhandeln.

Cheerleaderin Faison verführt Billy hinter den Kulissen, seine Kameraden prügeln sich mit der Stadion-Security, ihr Hollywoodagent Albert (Chris Tucker) verhandelt mit dem Besitzer der Dallas Cowboys (Steve Martin) einen Filmdeal, der die Haut der Soldaten unter Wert verkauft – während Billy wie in Trance nach seiner Rolle in dem Spektakel sucht. Von der gigantischen Leinwand im Stadion blickt ein Held herunter, auf der Bühne davor steht ein apathischer Teenager, der mit leerem Blick die Glückwünsche wildfremder Menschen entgegennimmt.

Von der amerikanischen Kritik wurde „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ einhellig verrissen. Man warf Lee vor, seine Geschichte mit technischen Gimmicks überfrachtet zu haben. Gedreht mit 120 Bildern pro Sekunde – Vergleichbares hatte zuvor nur Peter Jackson bei der „Hobbit“-Trilogie versucht – verfehle der Film seine beabsichtigte Wirkung. Statt größtmöglicher Intimität stellt sich durch die hochauflösenden 3-D-Bilder mit ihrer kristallinen Digitalästhetik das Gefühl wächserner Leblosigkeit ein. Der deutsche Verleih bringt „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ jetzt in der „flachen“ 2-D-Version in die Kinos, mit normaler Bildrate. Technische Sperenzien hat der Film nicht nötig.

Dramaturgisch nicht ohne Schwächen

Lees Faszination für die Innovationen des digitalen Kinos führte schon 2012 in „The Life of Pi“ in die Irre. Die Bootsfahrt mit Tiger wirkte mehr wie ein technisches Kabinettstückchen aus der kurzen Ära des IMAX-Eventkinos. Auch „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ ist dramaturgisch nicht ohne Schwächen, sie werden jedoch überspielt durch die dynamische Einheit von Zeit- und Raumerzählung. Mit atemlosem Drive durchmisst die Kamera Billys Drama, folgt ihm auf seinen Wegen durch das Stadion und die labyrinthartigen Katakomben, die das Gefühl des Eingesperrtseins verstärken.

Die Virtuosität lässt gelegentlich vergessen, dass Ben Fountains Roman von 2012 als Satire auf Amerikas Selbstverständnis angelegt war. Lee nimmt diese ironische Haltung eher formal an. Die temporeichen Dialoge und die frenetische Mobilität erinnern noch daran, dass im Film eine Diskrepanz besteht zwischen dem gesprochenen Wort und der Inszenierung. Aber in einigen Szenen geht Lee den großen Showeffekten dann doch selbst auf den Leim.

In 4 Berliner Kino, OV: Cinestar Sony- Center

Andreas Busche

Zur Startseite