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Reisegefährten. Großkatze und Jungmann (Suraj Sharma) in „Life of Pi“, der in 25 Berliner Kinos zu sehen ist.
© Fox

Ang Lees "Life of Pi"-Verfilmung: Das Meer ist der Star

Einer der schönsten Filme des Jahres: Ang Lees Bestsellerverfilmung „Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger“. Begegnung mit einem stillen Meister.

Viele, viele Filmprojekte werden an ihn herangetragen. Arthouse, Kostümkino, Blockbuster, meist in der Hoffnung, dass Ang Lee, dem schon so gänzlich verschiedene Werke gelungen sind, etwas Besonderes draus macht. Als man ihm schließlich die Verfilmung von Yann Martels „Life of Pi“ antrug, ließ er sich verführen. Denn eigentlich ist „Schiffbruch mit Tiger“ unverfilmbar.

„Jeder Film kostet mich zwei bis vier Jahre. Es ist nicht leicht, sich darauf einzulassen. Dieses Vorhaben aber war eine Herausforderung“, sagt der Regisseur. Ein Junge und ein Tiger, auf dem Meer treibend wie in einer Nussschale – „und dann auch noch ohne Tom Hanks!“ Der in Taiwan geborene, 1979 in die USA übergesiedelte Filmemacher spricht leise und bedacht; wenn er lacht, schaut er auf seine Füße wie ein kleiner Junge. Kaum zu glauben, dass dieser sanfte Mensch Großproduktionen mit Riesenbudgets und hunderten Mitarbeitern leitet. Aber der Regisseur von „ Tiger And Dragon“, „Brokeback Mountain“ oder „Sinn und Sinnlichkeit“ gehört zu jenen in Hollywood, die sich ihre Projekte aussuchen können.

Diesmal drehte er in Indien und Taiwan. Die Geschichte des jungen Pi, der ein Schiffsunglück überlebt, in einem Rettungsboot mit einem bengalischen Tiger, wurde 2001 zum Weltbestseller: „Life of Pi“ ist Märchen, Abenteuer, Coming-Of-Age – ein fesselndes Buch über den Verlust der Jugend und die Suche nach Gott. Wo also liegt das Problem? „Life of Pi“ ist zwar ein Abenteuer. Und was für eines! Aber anders als im klassischen Roadmovie, wo sich die Figuren ihren Weg selbst suchen, kann Pi sich nur treiben lassen. Ein drift movie, sozusagen. Das kann sich ziehen, so ganz ohne Tom Hanks.

Man übersieht leicht, dass „Life of Pi“ zwar eine Bestseller-Verfilmung ist, die prächtig aussieht und viel Geld verschlang, es sich im Grunde aber um einen kleinen, intimen Film handelt. Ein Kammerspiel auf hoher See. Dass es mit der technischen Ausstattung eines Blockbusters präsentiert wird, in kostspieligem 3 D und mit aufwändiger Effekttechnik (der Tiger wirkt verblüffend bedrohlich) – das gibt es eigentlich gar nicht. Doch als Lee sich verführen ließ, bestand er darauf: Ein solcher Film kann nur gelingen, wenn das Meer zum Star wird. Und dazu würde er alle Mittel brauchen, die dem Effektkino derzeit zur Verfügung stehen.

Die Bilder, die Ang Lee damit auf die Leinwand zaubert, sind zum Staunen schön. Doch um Schönheit ging es nicht allein: Ang Lee macht das Meer zum Protagonisten. Manchmal ist es auch eher wie ein Beobachter. Dann wieder scheint es die Handlung sogar zu kommentieren. Große Erzählkunst.

Würde er auch andere Dramen in 3 D drehen? „Filme waren früher flach, also habe ich flach gedreht“, sagt er. „Aber das ist Vergangenheit.“ Noch ist die 3 D-Technologie teuer. Aber in Zukunft, glaubt Lee, werden viele Filmemacher damit arbeiten. „Ich würde sogar sagen, dass 3 D für Dramen besonders gut geeignet ist.“

Beim Dreh stand Ang Lee immer dicht am Wassertank bei Suraj Sharma, seinem jungen Hauptdarsteller. Er führte ihn durch die Szene, ließ drei bis vier Takes drehen. Dann ging Lee in seine Kontrollkabine und prüfte das Ergebnis in 3 D. Fast immer musste er die Szene wiederholen lassen und Sharma bremsen. „Die 3 D-Kamera erfasst so viel mehr. All die Feinheiten und Nuancen eines Gesichts. Was in 2 D noch gut aussieht, wirkt in 3 D übertrieben.“ Lee musste neu lernen. Die Arbeit an „Life of Pi“ war für ihn ohnehin wie eine Selbstreflexion. „Es geht darin auch um die Frage: Warum erzählen wir uns Geschichten? Und das ist es schließlich, was ich tue.“ Wie aber transformiert man eine Geschichte, die so sehr auf ein bestimmtes Medium zugeschnitten ist, in ein anderes? „Das war schwer. Wenn man eine Geschichte in einem Buch liest, ist das Erzählen ein indirekter Vorgang: Sie wird in Zeichen aufgelöst, die erst im Kopf Bilder entstehen lassen.“ Deshalb ist dieser Vorgang auch zeitlich flexibel: Man kann jedes Buch für Stunden oder Wochen beiseite legen. Im Kino aber muss der, dem die Geschichte erzählt wird, die ganze Zeit aufnahmebereit sein. „Erzählt wird nicht mit Zeichen, sondern mit einer Illusion: mit bewegten, fotorealistischen Bildern.“

Ang Lee fügte eine Rahmenhandlung hinzu, in der Pi als erwachsener Mann auftritt. Während der Reise spricht mal die Stimme des jüngeren, mal die des älteren Pi zu den Bildern. Der fliegende Wechsel zwischen zwei Erzählern ist ein ungewöhnliches, aber geschicktes Hilfsmittel: So kann Lee seinen Helden auf verschiedene Weisen über sein Schicksal und über Gott sinnieren lassen. Mal weise, mal naiv, mal retrospektiv, mal verzweifelt.

Ang Lees Vater ist Atheist, die Mutter gläubige Christin. Sonntags ging man in die Kirche, viermal am Tag wurde gebetet. Als er 14 war, machte der Junge den Test: Was würde passieren, wenn er damit aufhört? Es passierte nichts. In die Kirche geht Lee nicht mehr; ein Atheist ist er allerdings nicht. „Es gibt Dinge, die größer sind als wir; Dinge, die wir nicht beweisen oder erklären können. Damit muss man leben lernen. Für mich ist Gott die Bindung unserer Seele an das Unbekannte“.

Sein Hauptdarsteller ist etwas älter als Lee damals, „Life of Pi“ dessen erster Film. Ang Lee schreckt die Unerfahrenheit nicht. Der 1993 in Neu Delhi geborene Suraj Sharma vertraute ihm und zweifelte nicht an seinen Anweisungen. Vor dem Dreh wurde Lee von seiner Mutter in einer Zeremonie zu dessen Guru ernannt. „Ob ich wollte oder nicht: Ich musste ein gutes Beispiel geben. Und darauf achten, dass er auf dem Boden bleibt.“ Das ist mehr Verantwortung, als ein Regisseur normalerweise zu schultern hat. Manchmal traute sich Lee nicht mal mehr, einen Witz am Set zu machen.

Mit „Life of Pi“ hat er einen der schönsten Filme des Jahres geschaffen. Und er ist seiner Linie treu geblieben: Wieder ist alles ganz anders als bei seinen vorhergehenden Werken. Welche Herausforderung kann es jetzt noch geben? „Ich bin nicht so frei, wie viele vielleicht denken. Ich kann nur Filme machen, die etwas bedeuten“, sagt Lee. Für ihn ist die Bedeutung einer Geschichte die Grundlage der Bilder und Szenen, die er entwirft. „Ein Film, der einfach nur ausgelassen und komisch ist – ich weiß nicht, wie man so etwas macht. Das wäre mal eine Herausforderung.“

Sebastian Handke

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