Comic-Klassiker: Der König der Gallier
Der zeichnende Vater der Asterix-Comics Albert Uderzo verlässt in diesem Jahr die Comicbühne. Auf Europas größtem Comicfestival im französischen Angoulême wurde er noch einmal groß gefeiert.
Zehntausende Comicvernarrte fallen alljährlich in die westfranzösische Kleinstadt Angoulême ein, um bei Europas größtem Comicfestival die besten Comics des Jahres zu küren - mehr dazu unter anderem in diesem Festivalbericht. Seit nunmehr 40 Jahren feiern die Experten und Liebhaber der Sprechblasenliteratur aus aller Welt die neunte Kunst im Herzen der Cognac-Region, deren Charme und touristische Attraktivität im Trubel des Festivals meist untergeht. Seit 1974 treffen sich die Begeisterten der gezeichneten Literatur in der Stadt, die mit dem Festival zu einer tatsächlichen „Hauptstadt des Comics“ geworden ist. Hausfassaden zieren illusionistische Fassadenbilder und Comicszenen, Straßen tragen die Namen bekannter Comicautoren. Die gesamte Stadt stellt sich auf vier verrückte Tage im Zeichen der „Fauve“ ein, einer kleinen schwarz-weißen Katze, die Lewis Trondheim 2007 als Maskottchen des Festivals entworfen hat.
In diesem Jahr galt einem Comicautoren ganz besondere Aufmerksamkeit. Asterix-Zeichner und Co-Autor Albert Uderzo tritt in den Ruhestand. Bis heute liegen 34 seiner gezeichneten Geschichten der gallischen Helden um Asterix und Obelix vor, von denen weltweit 360 Millionen Alben verkauft wurden. Kein anderer Comic kennt einen solchen Erfolg. Am 24. Oktober 2013 soll der 35. Asterix-Band erscheinen, zum ersten Mal nicht von Uderzo gezeichnet. Ihn ablösen wird Didier Conrad, der gemeinsam mit dem Szenaristen Jean-Yves Ferri diesen Band verwirklichen soll.
Bevor der Großmeister des humoristischen Comics vollends die Bühne verlässt, hat man diese noch einmal für ihn freigemacht, um ihn ein letztes Mal hochleben zu lassen. Es gilt das Motto „Der König ist tot, es lebe der König“. Ohne Zweifel geht mit Uderzos Abtritt nicht nur eine einmalige Karriere, sondern eine Ära der europäischen Sprechblasenkunst zu Ende. Kein anderer Comicautor hat einen solch paneuropäischen Erfolg, keiner hat derart viel der europäischen Identitäten verstanden und miteinander in Kontakt gebracht, keiner hat seinen Lesern derart viel beigebracht, wie Albert Uderzo (bis 1977 gemeinsam mit seinem viel zu früh verstorbenen Bruder im Geiste René Goscinny).
In Frankreich ist der Zeichner ein nationaler Held, der seinen eigenen Landsleuten erklärt hat, wie sie als Gallier ticken. Selbst Frankreichs Nationalbibliothek wird dem Zeichner im Herbst eine große Schau widmen, nachdem ihr der Zeichner im Frühjahr 2011 die Originalzeichnungen der ersten drei Asterix-Bände (Asterix der Gallier, Asterix und die goldene Sichel, Asterix bei den Goten) geschenkt hatte. Einen Eindruck dessen, was dann in der zweiten Jahreshälfte in Paris zu sehen sein wird, konnte man bei der großen Retrospektive bekommen, mit der Uderzo in Angoulême geehrt wurde.
Begrüßt wurden die Besucher von comicalen Asterix-Adaptionen klassischer Gemälde: Falbala als Mona Lisa (nach L. da Vinci), Gutemine als Freiheit, die das gallische Volk führt (nach E. Delacroix) oder Julius Cäsar hoch zu Roß wie Napoleon am St. Bernhard-Pass (nach J.L. David). Die Ausstellung selbst präsentiert zum einen das Universum von Uderzos Helden seit seinen frühesten Anfängen mit den disneyhaften Abenteuern von Clopinard über den „Reiter ohne Waffen“ Belloy, den Western-Helden Jean Pistolet und Luc Junior, den Indianer Umpah-Pah und die gallischen Helden bis hin zu dem Fliegerduo Tanguy und Laverdure. Deutlich wird hier die Bandbreite von Uderzos gezeichneten Geschichten, sein beeindruckendes Vermögen, spielend zwischen den Stilen zu wechseln, die eindringliche Bildsprache seiner Erzählungen sowie sein immenses Talent, mit Einstellungen und Perspektiven zu spielen.
Zu sehen sind aber auch die ganz frühen Illustrationen für verschiedene Zeitungsreportagen und Auszüge aus seinem grafischen „Roman“ der Tour de France. Wer genau hinsieht, kann in diesen Zeichnungen erkennen, dass Uderzo schon zu Beginn der 1950er Jahre ein vollkommener Zeichner war. Das zeichnerische Spiel mit Verläufen und Bewegungen durch das Multiplizieren von Konturen oder das Verbinden großer Magnituden mit dem sichtbaren Punkt des Einschlags ist bereits in diesen frühen Zeichnungen bis zur Perfektion ausgeführt.
Uderzo ist aber nicht nur ein Meister der Bewegung, sondern auch ein Sprechblasenartist. Um zu verstehen, warum die explodierenden, donnernden, weinenden, floralen, schmetterlingshaften Sprechblasen bis heute revolutionär sind, muss man sich nur vor Augen führen, dass zu Uderzos Anfängen die Dialoge hauptsächlich noch über oder unter das Bild gesetzt wurden. Uderzo hat die Sprechblase nicht erfunden, aber er ihr Leben eingehaucht.
Albert Uderzo besuchte am ersten Tag des Festivals gemeinsam mit der französischen Kulturministerin Aurélie Filipetti die Retrospektive – ein Ereignis, das in Angoulême wie der Auftritt eines Hollywoodstars behandelt wurde. Mehr als 200 Schulkinder begrüßten Frankreichs zeichnenden Superhelden, indem sie minutenlang seinen Namen skandierten. Beim Gang durch die Schau wurden Zeichner und Ministerin von einer kaum zu kontrollierenden Journalistentraube umringt. Die Szene der schiebend-schubsenden Medienmeute erinnerte nicht wenig an eine Prügelei in dem Dorf von Asterix und Obelix. Es wäre auch keineswegs verwunderlich gewesen, wenn Uderzo anschließend wie der Häuptling der Gallier auf einem Schild ins Rathaus getragen worden wäre, wo er sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug.
Wohin sich der Zeichner in Angoulême auch immer begab, ihn erwarteten bereits Menschenmassen. Zur Preview einer TV-Dokumentation, die im Herbst anlässlich der Uderzo-Ausstellung der Nationalbibliothek ausgestrahlt werden soll, strömten mehr Menschen zu dem Kinosaal, als dieser letztendlich fassen konnte. In dem Film sprechen nicht nur zahlreiche Persönlichkeiten aus Frankreichs Kultur- und Comicbetrieb über ihre Erfahrungen mit Asterix und seinem Zeichner, sondern Uderzo selbst kommt auch zu Wort. Da erfährt man dann etwa, dass er eigentlich Mechaniker werden wollte, zu Beginn seiner Karriere oft von 5 bis 24 Uhr gearbeitet hat und es kaum Zeit für Recherchen gab, so dass viele seiner Zeichnungen (verdammt gute und treffende) Fantasieprodukte und Hirngespinste gewesen sind. Die Fernsehdokumentation bietet auch einen Einblick in die im wahrsten Sinne des Wortes kongeniale, weil sich gegenseitig ergänzende, Zusammenarbeit mit René Goscinny. Bewegend ist insbesondere die Szene, in der Uderzo und seine Frau noch mehr als 30 Jahre nach dessen plötzlichen Tod tief bewegt berichten, wie sie damals die schreckliche Nachricht bekommen haben.
Nach dem anschließenden Gespräch mit dem Publikum erntete Uderzo stehende Ovationen. Man konnte den Eindruck haben, dass die Menschen nicht Uderzo applaudieren, sondern sich selbst, ihrem Nationalhelden einmal so nahe sein zu können. Wollte man hier Albert Uderzo ehren, ist das Gegenteil eingetreten. Er ehrt das Festival wie kein Zweiter. Der König ist tot? Es lebe der König!
Da passt es, dass ein beeindruckender Foliant mit seinen frühen Zeichnungen als einer der Favoriten für den Kulturerbe-Comicpreis gehandelt wurde. Der Biograf von Albert Uderzo, Alain Duchêne, und der Romancier Philippe Cauvin haben ein großartiges Album mit den frühen Zeichnungen (1941-1951) vorgelegt, dass die Gehversuche des Grafikers, Illustrators und Comiczeichners Albert Uderzo versammelt und kommentiert.
„Das letzte Bild [einer Seite] muss immer Lust machen, zu wissen, was als nächstes passiert“, erklärte Uderzo im Gespräch mit dem Publikum zum Zauber seiner Comics. Was für seine Comics gilt, das gilt auch für sein Leben. Mit seinem selbstbewussten Gang von der Comicbühne hat Uderzo dem Publikum Lust gemacht, zu wissen, was nun als nächstes mit seinen Galliern passiert. Ende Oktober 2013 kann man es erfahren.
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