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der Schriftsteller Jonathan Franzen sagt, der Kampf gegen den Klimawandel ist verloren - versuchen wir, wenigsten den um die Artenvielfalt zu gewinnen.
© DPA/Axel Heimken

Essay von Jonathan Franzen: Der Kampf gegen den Klimwandel ist verloren - konzentrieren wir uns auf anderes

„Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ Der US-amerikanische Schriftsteller plädiert für eine realistische Sicht auf den Klimawandel.

In den letzten dreißig Jahren hat die Menschheit so viel Kohlendioxid freigesetzt wie in den zwei Jahrhunderten davor, also seit Beginn der Industrialisierung. Auf dieses Verhältnis weist Jonathan Franzen in einem Essay hin, der zunächst im „New Yorker“ und nun, um ein Vorwort und ein Interview erweitert, als kleines Büchlein beim Rowohlt Verlag erschienen ist.

Die Position des amerikanischen Schriftstellers ist eine radikale. Jonathan Franzens Mission ist es, die Krise der Artenvielfalt ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu befördern. Und er macht deutlich, dass ein Abwenden der Klimakatastrophe nur noch „theoretisch“ möglich wäre. Was in seinen Augen bedeutet: gar nicht.

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Denn weder sind die Menschen zum nötigen Verzicht bereit, noch lassen sich die Emissionen weltweit, etwa durch Stilllegung der Transport- und Energie-Infrastruktur, realistisch senken. Also gehe es darum, so Franzen, sich auf das Machbare zu konzentrieren, beim Naturschutz etwa auf einfache Maßnahmen wie das Aufforsten der Wälder, die Erhaltung von Grasland und Wiesenflächen, die Reduktion des Fleischkonsums.

Aber auch das Wetterfestmachen von Demokratie und Rechtssystem, das Abschalten von „Hassmaschinen der sozialen Medien“, humane Einwanderungspolitik und Gleichberechtigung gehören für Franzen dazu.

Rauch eines Buschfeuers, Australien 2013.
Rauch eines Buschfeuers, Australien 2013.
© Kim Foale

Wenn man sich auf all diesen Feldern engagiert, ist es allerdings nicht einzusehen, warum man sich gerade in der Klimapolitik zurückhalten sollte. Politische Empörung und demokratisches Engagement sind schließlich keine endliche Ressource. Woher kommt die Furcht, seine Kräfte zu vergeuden, wenn man sich für Klimapolitik engagiert? Ist es überhaupt Furcht?

[Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 64 Seiten, 8 €.]

Jonathan Franzens Vorschlag, wir sollten das „retten, was uns speziell am Herzen liegt“, hat selbstverständlich Charme. Lieben statt kämpfen klingt immer gut.

Es wird in der nahen Zukunft auch um eine Wiederbelebung ethischen Denkens gehen. Wann erlaubt sich der Einzelne, Dinge zu tun, von denen er weiß, dass sie anderen schaden? Ohne ernsthaften Verzicht kann das nicht gehen. Und der fällt leichter, wenn es alle tun.

Der Umgang mit der Eindämmung der Pandemie und von Covid-19 ist, jenseits des Katastrophen-Potenzials, eine Einübung verschiedener Formen der Selbstbeschränkung und des Verzichts – aber auch der Bereitschaft, die eigene Autonomie zugunsten eines Gemeinschaftsgedankens einschränken zu lassen.

Meike Feßmann

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