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Harmonischer Wechsel. Jürgen Flimm mit Nachfolger Matthias Schulz.
©  Thomas Bartilla

Porträt des künftigen Staatsopern-Intendanten: Der junge Milde

Mit Matthias Schulz zieht die neue Intendantengeneration in die Staatsoper ein – und regiert in einer einmaligen Doppel-Konstruktion vorerst zusammen mit Jürgen Flimm.

Der gemeine Intendant lässt sich nicht gerne über die Schulter schauen. Von den Geldgebern aus der Politik nicht und schon gar nicht von seinem Nachfolger. Wie gerade am Rosa-Luxemburg-Platz zu beobachten ist. Jürgen Flimm tickt da anders. Weil er unbedingt noch im Oktober 2017 die Rückkehr der Staatsoper ins Stammhaus Unter den Linden in leitender Funktion miterleben will, hat er eine in der deutschen Bühnenlandschaft einmalige Doppelintendanz akzeptiert: Seit dem 1. März sitzt mit Matthias Schulz der „Designatus“ im Nachbarzimmer. Im September kommenden Jahres wird der Neue zum Ko-Intendanten aufrücken, am Ende des ersten Quartals 2018 die Führung des Hauses dann vollständig übernehmen.

So sieht ein gelebter Generationswechsel aus: Der 1977 in München geborene Schulz könnte der Sohn von Jürgen Flimm sein, der am heutigen Sonntag tatsächlich schon 75 Jahre alt wird. Reichlich Berufserfahrung bringt der smarte Bayer dennoch nach Berlin mit: In seinem letzten Job war er sowohl Geschäftsführer als auch künstlerischer Leiter der renommierten Salzburger Stiftung Mozarteum.

Nur ein Opernhaus hat der 38-Jährige eben noch nicht geleitet. Und das ist dann doch noch einmal eine ganz andere Hausnummer, ein unheimlich komplexes Gebilde, das nur funktioniert, wenn all die verschiedenen Abteilungen wirklich miteinander kooperieren, die nun einmal für das Gesamtkunstwerk Musiktheater nötig sind, von der Bühnentechnik über die Maske und die Ankleider bis hin zu den großen Kollektiven von Chor und Orchester. Hunderte höchst sensible Seelen gilt es zu hegen und zu pflegen, als Vater der Kompanie soll der Intendant möglichst überall gleichzeitig sein, stets ein offenes Ohr noch für die schrulligsten Bedürfnisse der Künstler haben und am Ende supererfolgreiche, das Publikum in Massen anlockende Inszenierungen präsentieren.

Ein Manager-Intendant - Entscheidung für einen neuen Führungsstil

Da kann sich Matthias Schulz in den kommenden eineinhalb Jahren sicher noch einiges von Jürgen Flimm abschauen. Der übrigens einst auch als Quereinsteiger zum Intendantenjob kam, als man dem höchst erfolgreichen Regisseur anbot, das Kölner Schauspielhaus zu übernehmen. Matthias Schulz kommt nicht von der szenischen, sondern der musikalischen Seite: Zunächst hat er Klavier studiert, entschied sich mit 22 Jahren dann aber doch für einen Wechsel auf die administrative Seite der Kunst und schrieb sich an der Münchner Maximilians-Universität im Fach Volkswirtschaft ein. In den Sommermonaten jobbte er bei den Salzburger Festspielen, bekam seine erste Anstellung dann am Konzerthaus Dortmund, ging 2004 nach Salzburg zurück und arbeitete sich – zunächst unter der Intendanz von Jürgen Flimm, später von Alexander Pereira – immer weiter hoch, bis er schließlich den gesamten Konzertbereich organisierte. 2012 wurde Schulz dann vom Mozarteum abgeworben, gestaltete dort mehrere Festivals, war für die Museen in Mozarts Geburts- wie Wohnhaus zuständig und verantwortete darüber hinaus auch noch das Finanz- und Personalwesen der Stiftung.

Die Entscheidung der Berliner Kulturpolitik, nach den beiden Regie führenden Theaterleitern Peter Mussbach und Jürgen Flimm einen Manager-Intendanten Unter den Linden zu installieren, bedeutet auch, dass ein Wechsel im Führungsstil gewünscht ist. „Ich bringe sehr viel Unabhängigkeit mit“, betont er im Gespräch über seine Zukunftsvisionen. Bei der Stiftung Mozarteum war es Matthias Schulz’ Ziel, gerade nicht jenes Mozart-Bild zu bedienen, mit dem kommerzielle Konzertanbieter und die Werbeindustrie versuchen, Kapital aus dem herzigen Wolferl zu schlagen. Übertragen auf die Berliner Situation hieße das: Er kann kein Interesse daran haben, dass die ins Neorokoko-Heim zurückgekehrte Staatsoper lediglich die Fans des „festlichen Opernabends“ bedient, also Big Names der Klassik in optisch ansprechendem Ambiente vorführt.

Provokation um der Provokation Willen aber ist seine Sache auch nicht. Ästhetisch wurde Schulz in der Ära von Gerard Mortier bei den Salzburger Festspielen sozialisiert, Regisseure wie Claus Guth und Dmitri Tcherniakow schätzt er sehr, also Stückdeuter, die ihre Interpretationen als psychologische Tiefenbohrungen anlegen. Die Nachwuchspflege liegt dem Vater von fünf Kindern sehr am Herzen, sowohl was das Publikum von morgen betrifft als auch intern, beim hauseigenen Opernstudio, das er stärken will. Mehr Akzente möchte Schulz im Bereich der Barockmusik setzen – womöglich gar mit einem auf die Epoche spezialisierten Ensemble aus den Reihen der Staatskapelle. Bei Kompositionsaufträgen schließlich will er darauf dringen, dass die Komponisten aktuelle Themen wählen statt sich hinter antiker Mythologie zu verschanzen.

Keine Angst vor Intrigen - die hat er alle schon in Salzburg erlebt

Matthias Schulz ist ein Gesprächspartner von ausgesuchter Höflichkeit, mit Gespür für Diplomatie und deutlich erkennbarem bildungsbürgerlichen Hintergrund. Der sich selber aber auch als „zäh“ beschreibt: „Ich bin keiner der wegrennt, wenn es schwierig wird.“ Die Jahre in Salzburg seien da eine gute Schule gewesen: „Es gibt keine Art des Intrigenspiels, die ich nicht schon erlebt hätte.“

Mit dem Programm der Staatsoper möchte Schulz Gegenakzente setzen zum hektischen Informationskonsum der Zapping-Gesellschaft. Auch den digital natives will er zeigen, „dass es sich lohnt, aufmerksam zuzuschauen, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen und eine Oper ganz intuitiv zu erleben“. Das Haus soll nicht als Musentempel der Elite wahrgenommen werden, sondern als möglichst „barrierefrei“, zugänglich für alle: „Die sechs Säulen vor der Fassade zeigen ja schließlich nicht an, dass es sich hier um ein Gefängnis handelt!“

Äußerst überzeugend muss Matthias Schulz bei der „sehr intensiven Prüfung“ gewesen sein, der ihn sowohl Kultursenator Michael Müller wie auch Staatssekretär Tim Renner unterzogen haben. „Mein Name stand ja nicht auf der Top 20 Liste“, berichtet er. Darum wollten die Verantwortlichen ganz sicher gehen, dass er auch allen Situationen gewachsen sei und welche neuen Akzente er künftig setzen wolle. Renner kam sogar nach Salzburg, um sich die Arbeitsabläufe im Mozarteum anzusehen – und zeigte sich vom dort herrschenden Teamgeist beeindruckt.

Keine Angst hat der Neue auch vor Daniel Barenboim, dem Weltstar und allmächtigen Musikchef des Hauses. Der Maestro sei keiner, der immer nur dasselbe machen wolle. Er zeige sich durchaus bereit, Stücke zu erarbeiten, die er noch nicht im Repertoire hat, fordere auf dem Gebiet der Regisseure sogar dezidiert neue Namen ein. „Man kann mit ihm in die Zukunft denken“, findet Schulz. Eine Zukunft, die zunächst bis zum Sommer 2022 reicht. So lange läuft der aktuelle Vertrag Barenboims. Er wird dann fast Achtzig sein.

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