Musikhochschule in Berlin: Die Barenboim-Said-Akademie ist fast fertig
Die Barenboim-Said-Akademie im Magazin der Staatsoper beglückt. Ein erster Rundgang durch ein Haus, das Berlin verändern wird.
Wer staunend im Rang des Saals steht, dieser fast frei im Raum schwebenden Konstruktion aus zwei gegeneinander verschobenen Ellipsen, und ins Schwärmen gerät beim Gedanken an die Möglichkeiten, die sich der Berliner Musikszene hier ab März 2017 eröffnen, dann ist es gut, einen Moment innezuhalten und daran zu erinnern, warum es die Barenboim-Said-Akademie mit ihrem von Frank Gehry entworfenen Saal überhaupt gibt.
Einst glaubte die Berliner Kulturpolitik ja tatsächlich, sie könnte die Sanierung der Lindenoper zum Schnäppchenpreis von neun Millionen Euro bekommen. 200 Millionen hatte der Bund zugesagt, weitere 30 Millionen der von Peter Dussmann geleitete Freundeskreis des Musiktheaters. Dass die Summe von 239 Millionen Euro eine Pi-mal-Daumen-Schätzung war, die sich bei näherem Hinsehen als ziemlich illusorisch erwies, wollte der damals Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit nicht wahrhaben. Stattdessen setzte er eine Begehung der Baustelle an, bei der nach Sparpotenzialen Ausschau gehalten werden sollte – und identifizierte die eine Hälfte des Kulissenmagazins im Intendanzgebäude als entbehrlich. Das verkaufen wir!, wurde beschlossen. Weil so einerseits Geld in die Kasse kommt und andererseits weniger Kosten für die Instandsetzung anfallen.
Ganz so ist es nicht gekommen: Der Freundeskreis hat letztlich nur 3,5 Millionen Euro überwiesen, die 200 Millionen vom Bund blieben gedeckelt, so dass Berlin bis zum Oktober 2017, wenn das Traditionshaus mit vierjähriger Verspätung – hoffentlich – wiedereröffnet werden kann, statt der neun Millionen nun 196,5 Millionen berappen muss. Ein nennenswerter Erlös für das halbe Magazingebäude lässt sich davon nicht abziehen. Denn der Bau mit 8400 Quadratmetern Bruttogeschossfläche hat genau 99 Euro erbracht, zahlbar innerhalb von 99 Jahren. So lange läuft der Erbbauvertrag, den der Berliner Senat mit der Barenboim-Said-Akademie abgeschlossen hat.
Immerhin belasten weder der Ausbau noch der künftige Unterhalt dieser neuen Institution den Landeshaushalt. Ein gutes Drittel der Baukosten von 32 Millionen Euro haben private Mäzene und Sponsoren aufgebracht, der Rest stammt vom Bund. Die Behörde von Monika Grütters wird auch für die laufenden Kosten des Lehr- und Konzertbetriebs aufkommen, wie die Kulturstaatsministerin am Freitag bei einer Begehung der Baustelle bekannt gibt: Für die beiden kommenden Jahre sind dafür jeweils 5,5 Millionen Euro eingeplant, ab 2019 dann sogar rund sieben Millionen. Die Stipendien für die maximal 90 Studierenden der Akademie wiederum spendiert das Außenministerium.
Was Daniel Barenboim hier vorhat, ist dazu angetan, jedem Diplomaten Tränen der Rührung in die Augen zu treiben. In der zweigleisig angelegten Hochschule des Lebens will der Maestro junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern zu Persönlichkeiten formen, die einander zuhören können: als Instrumentalisten ebenso wie auch als humanistisch gebildete Patrioten, die in der Lage sind, sich in die Gedankenwelt ihrer vermeintlichen Feinde einzufühlen.
„In einer idealen Welt würde diese Akademie im Nahen Osten ihre Pforten öffnen“, erklärt Barenboim am Freitag. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Darum wird Barenboim von neutralem Boden aus versuchen, den Friedensprozess auf seine Weise voranzubringen. Jeder Studierende soll die Akademie als Hoffnungsträger verlassen. Der Dirigent nennt es ein „Experiment in Utopie“, Grütters spricht von einen „verwegenen Wunschtraum“. Aber: „Ein Luftschloss Gestalt annehmen zu lassen, das schaffen die wenigsten.“
Jede Menge helle Seminarräume werden den Lehrkräften zur Verfügung stehen, wenn sie im Herbst hier den Lehrbetrieb starten, im sogenannten Akademie- Flügel, der vom Büro des Architekten HG Merz entworfen wurde. In schlichtem Weiß sind die Räume gestrichen, nur da und dort werden Türen oder Wandflächen in einem italienisch anmutenden Rotbraun akzentuiert.
In der Mitte des Magazingebäudes, dort also, wo früher die Bühnenbilder der Staatsopernproduktionen über Lastenaufzüge zu ihren jeweiligen Dekorations-Garagen auf den drei Ebenen der hohen Halle verteilt wurden, darf künftig das Publikum flanieren. Strenge Schönheit herrscht hier, die grauen Treppeneinfassungen und Brüstungen passen farblich zu den Blautönen der scheckigen, im vernutzten Originalzustand erhaltenen Rolltore der Boxen. Mehrere Oberlichter im Dach lassen die Sonne herein.
Prunkstück des neuen Hauses aber ist natürlich der Saal, benannt nach einer der Schlüsselfiguren der Musik im 20. Jahrhundert, dem Komponisten, Dirigenten und engen Barenboim-Freund Pierre Boulez. Bis zu 620 Personen werden hier sitzen können, die meisten im vielfach variablen Parkett, die übrigen auf dem Doppelring des Ranges, der 320 Tonnen wiegt, aber federleicht wirkt, da er nur an fünf Stellen mit den Wänden des quaderförmigen Saals verankert ist. Die bereits vollständig montierte Vertäfelung aus hellem Holz schafft eine angenehm intime Atmosphäre.
Möglichst nahe ans Geschehen will Frank Gehry die Zuhörer bringen, kein Platz ist weiter als 14 Meter vom Dirigenten entfernt. Der Architekt wie auch der Star-Akustiker Yasuhisa Toyota haben Barenboim ihre Arbeitsleistung geschenkt, aus Begeisterung für die gute Sache. Und zum Wohle aller – denn der Pierre-Boulez-Saal ist nicht für die Studierenden der Akademie sowie die Staatskapelle reserviert, sondern jeder kann sich hier einmieten. Und das werden viele sein, denn ein Kammermusiksaal dieser Größe fehlte bisher in Berlin. Intendant Ole Baekhoj verspricht hundert Veranstaltungen schon in der ersten Saison.
Mit größter Vorfreude also verlässt der Baustellenbesucher einen Ort, der in vielfältigster Weise auf Berlin ausstrahlen wird. Nur die Postadresse der Akademie hat seit Donnerstagabend ein wenig von ihrem harmonischen Klang eingebüßt, zumindest für Ballsportbegeisterte: Französische Straße 33D.
Führungen finden samstags um 15 Uhr statt. Infos und Anmeldung unter www.barenboim-said.com
Frederik Hanssen