Botticelli: Jede Venus eine Madonna
Gefangen im goldenen Netz: Die großartige Botticelli-Ausstellung in Frankfurt fragt nach Frauenbild und Schönheitsidealen.
Die Haare: golden schimmernd, geflochten und kunstvoll gebunden, reich mit Perlen und Bändern durchwoben. Lange Zöpfe, vor der Brust verknotet wie Ketten, oder wie Girlanden und Kronen über der Stirn getürmt, dann wieder frei flatternde schwere Strähnen, bis zu den Knien. Eine solche Haartracht muss eine Last gewesen sein, schon das Gewicht, und dann die stundenlange Geduldsarbeit, bis die kostbare Pracht gebändigt war. Erst die Turmfrisuren einer Marie Antoinette, erst das blütendurchsetzte Lockenhaar einer österreichischen Sisi hat wieder einen solchen Kult um das Haar betrieben. Der schönste natürliche Schmuck ist Fessel und Lust zugleich.
Schon Petrarca hatte frei flatterndes, goldenes Haar zum festen Kanon weiblicher Schönheitsattribute gemacht, erläutert Städel-Kurator Andreas Schumacher im Katalog. Leon Battista Alberti hatte den Malern aufgegeben, in ihrer Haardarstellung verschiedendste Bewegungsarten aufzugreifen: Knoten, Schlingen in kreisförmigen Bewegungen, wie Flammen aufwogende Haare, solche, die sich mit anderen verschränken oder sich nach der einen oder anderen Seite aufrichten. Der Maler Sandro Botticelli (1444/45–1510) war ein gelehriger Schüler. Seine Simonetta Vespucci, das Glanzstück des Frankfurter Städels, trägt ihr Kopfhaar extravagant gebunden. Bei Minerva flattert es frei im Wind. Und die Berliner Venus, eine Replik der berühmten Florentiner Venus, nutzt die langen Strähnen, um sich damit den Leib zu verhüllen.
Man muss über Haare sprechen, anlässlich der Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel, die in jeder Hinsicht eine Sensation ist, als erste überhaupt im deutschen Raum, mit über 40 eigenen Werken. Man muss auch über Frauenbilder sprechen, über Botticellis eigenes, das jene melancholisch lächelnden, sanften Frauen zum Idealbild verklärte. Über die Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert, als jene traurigen Frauen mit ihren länglichen Gesichtern und umschatteten Augen erneut zum Sehnsuchtsbild wurden.
Und man muss über unsere zeitgenössische Wahrnehmung sprechen, die sich in den ersten Rezensionen mit unerwarteter Gier auf die als „Pin-Ups“ verkauften Venus-Darstellungen stürzte, auf Vergleiche mit Uma Thurman, Claudia Schiffer und Kate Moss, und von „Bauch und Busen“ fantasiert. Noch in der Ausstellung selbst fachsimpeln männliche Besucher angeregt über Marmorhaut und volle Lippen, Brustpanzer und zarte Füße.
Dass Botticelli mehr als andere Maler besonders auf den berühmten mythologischen Darstellungen das Verhältnis der Geschlechter thematisiert, wird deutlich beim Hauptwerk „Minerva und Kentaur“ aus den Uffizien in Florenz. Es ist einer der Höhepunkte der Frankfurter Ausstellung. Die schlanke Minerva, mit floralem Kostüm und flatternden Locken ganz der Nymphentyp, wie man ihn auch von Flora oder Venus kennt, hält den Zentaur, Symbol von Wildheit und männlicher Gier, entschieden am Haarschopf gepackt. Eine Zähmung der Affekte, dafür spricht ihr abgeklärter, melancholischer Blick. Und er, dessen Unterleib wuchtig-tierische Kraft verheißt, hält zwar den Blick auf ihren Schoß gerichtet, aber eher traurig und resignierend.
Eine Lektion über Keuschheit oder eheliche Treue? Umso mehr, als diese Minerva vermutlich gemeinsam mit der „Primavera“ für das Brautgemach der Semiramide d’Appiano vorgesehen war, die 1480 mit Pierfrancesco di Medici verheiratet wurde. Wird in der „Primavera“, in Gestalt des Luftgottes Zephyr und der Nymphe Choris, ziemlich unverhüllt eine voreheliche Vergewaltigung gezeigt, könnte die siegreiche Minerva als Trost gedacht sein. Oder – die Hängung in Frankfurt, in direkter Nachbarschaft zu den Judith-Bildern legt auch das nahe – fasst Minerva den Schopf des Zentaurs nicht ähnlich beherzt wie Judith den von Holofernes, bevor sie den Feldherrn enthauptet? Das Bild könnte auch eine Warnung sein.
Blickt man in Botticellis Porträtgesichter der florentinischen Herren, sieht man dort Arroganz und Machtbewusstsein, Sensibilität in den genussvoll-fleischigen Lippen und gleichzeitig verschlagene Blicken. Es war politisch eine dramatische Zeit, in der Botticelli seinen rasanten Aufstieg erlebte. Mehr als andere ist er zum Hofmaler und Vertrauten der Medici geworden und Zeugen ihrer Machtkämpfe. Und zum Propagandisten einer der romantischsten Liebesgeschichten. Denn jene Simonetta Vespucci, als deren Bildnis die blonde Schöne aus dem Städel gilt und die Botticelli-Forscher in so vielen Frauengestalten bis hin zur Venus und zur Flora wiederfinden wollen, war die ideale Liebe des Medici-Fürsten Giuliano. Dieser, ein Bruder von Lorenzo il Magnifico, starb 1478 an einem Attentat. Die (verheiratete) Simonetta, welche Giuliano anlässlich eines Turniers zur Dame seines Herzens erwählt hatte, war schon zwei Jahre zuvor an Schwindsucht gestorben. Beider Andenken jedoch hielt Lorenzo in Ehren, ließ posthum von Botticelli Bildnisse anfertigen. Die Porträts der Verliebten, das der Simonetta aus Frankfurt und des Giuliano aus Washington, bilden nun das großartige Entree der Ausstellung.
Sie mögen kein schönes Leben gehabt haben, diese vornehmen Frauen der Frührenaissance, das zeigt nicht nur das Schicksal der Semiramide d’Appiano: zu früh verheiratet, ohne Rücksicht auf Liebe. Doch idealisiert und verklärt war ihnen nach ihrem frühen Tod ewiger Ruhm in Literatur und Malerei sicher, als Laura, als Beatrice oder eben als Simonetta. Und noch heute bringen sie die Gemüter zum Träumen, erhitzen die Fantasie, da mögen sie die Augen noch so keusch niederschlagen. Jenen Zwiespalt zwischen Objekt der Begierde und ungreifbarem Ideal hat wohl keiner so deutlich formuliert wie Botticelli. Daher jene unwiderstehliche Melancholie, die fast alle seine Frauenbilder verströmen.
Was übrigens auch für die religiösen Bilder gilt. In Frankfurt legt man großen Wert darauf, mit der Zuteilung einer ganzen Ausstellungsetage klar zu machen, dass Botticellis Auftragsgeber von ihm hauptsächlich religiöse Themen forderten. Da mögen die mythologischen Szenen und Porträts noch so berühmt sein. Auch in den Tondi und privaten Andachtsbildern, die das Städel in überreicher und zum Teil – weil aus Privatsammlungen stammend – ungeahnter Fülle präsentiert, findet sich das gleiche Frauenbild.
Diese Madonnen mit dem vollen Haar, das mühsam durch Schleier und Tücher gebändigt wird, mit jenen länglich-ebenmäßigen porzellanweißen Gesichtern und dem keusch und demütig gesenkten Blick scheinen Schwestern zu sein von Minerva und Flora. Nur haben sie tatsächlich einen Grund zur Trauer. Noch in den anmutigsten Mutter-und-Kind-Darstellungen weisen Symbole wie Wein und Ähren, Granatapfel oder Rosen auf künftige Leiden hin. In der Edinburgher „Madonna Wemyss“ zum Beispiel, einem späten, großartigen Werk, liegt das schlummernde Jesuskind wie im Todesschlaf, und die Felsen erinnern an Grablegungen. Auch bei der Madonna aus dem Palazzo Pitti reicht die Mutter ihr Kind dem Johannesknaben hinüber, wie ein lebloses, totes Wesen.
In diese späten, deutlich expressiveren und auffällig oft der Passion gewidmeten Werke ist seit Giorgio Vasari ein Bruch in die Biografie von Botticelli hineingelesen worden. Eine Lebenskrise, ausgelöst durch die seit Savonarolas Hinrichtung verdüsterte Atmosphäre in Florenz. Dass Botticelli selbst, wie von Vasari verbreitet, Anhänger des fanatischen Predigers gewesen sei, diese These weisen Ausstellung und Katalog zwar von sich, ebenso das Bild eines politischen Wendehalses und allzu geschmeidigen Taktierers. Botticellis Aufträge kamen, bis ins Alter, sowohl von Medici-Anhängern wie von ihren Gegnern. Doch dass der Maler Gewalt und Pracht, Schönheit, Anmut und Unterdrückung in seiner Epoche zur Genüge beobachtet hat, davon zeugen seine idealisierten Bildnisse bis heute.
In jeder Venus steckt eine trauernde Madonna.
Städel-Museum Frankfurt/M., bis 28. Februar. Katalog (Hatje Cantz) 39,90 €
Christina Tilmann