James Salter zum 90. Geburtstag: Der Himmel ist hell über den Hamptons
"Alles, was ist", "Lichtjahre", "Ein Spiel und ein Zeitvertreib": Mit diesen Romanen hat sich James Salter in die Weltliteratur eingeschrieben. Eine Tischrede zum 90. Geburtstag
Seine freundlichen dunklen Augen, seine sanfte klare Stimme: Sie bleiben sofort im Blick und im Ohr, in dem Youtube-Video „Meet James Salter“. Ebenso sein Häuschen auf Long Island, die spitzgiebelige Mansarde, das Zuhause zwischen Kugelkopfschreibmaschine und sehr viel Papier. Abschied schwebt über allem in diesen zwei Minuten siebenundvierzig, als der alte Mann hinaus an den Meersaum geht und die Summe des Mottos spricht, das er seinem Roman „Alles, was ist“ vorangestellt hat: „Das ist alles, was am Ende existiert: das Niedergeschriebene.“
Aber wer redet vom Ende, heute wird gefeiert, sein Neunzigster, und eine lange Tafel ist aufgebaut im Seewind vorm Haus in Bridgehampton, und alle sind sie gekommen – Viri und Nedra aus den leichten, lichten Jahren von „Lichtjahre“ etwa, dem Buch, mit dem Salter hierzulande mit 20 Jahren Verspätung entdeckt wurde, aber was macht dieses Späte schon, wenn er bleibt. Zwischen dem untreuen Viri und der ebenso untreuen Nedra sitzt er, und daneben deren Töchter Franca und Danny, die selber schon Kinder haben, natürlich sind sie längst groß. Lia, die Römerin, hat einen Platz ein bisschen seitab gesucht, um die Familiengeschichte, die Viri nicht wirklich hinter sich gebracht hat, nicht zu stören, aber wer bringt schon Geschichten richtig hinter sich, dass passiert doch nur im Traum namens Leben, würde James Salter sagen, und recht hat er.
Mit 88 Jahren ein sensationeller Roman
Die Kampfpiloten aus seinen beiden frühen Romanen, als er selber Kampfpilot war, und die Bergsteiger aus „In der Wand“ hocken, lachend und laut, im Dünengras, während Philip Bowman aus „Alles, was ist“ mit Viri ins Gespräch kommt: Sehen wir dem Jubilar nicht irgendwie ähnlich? „Alles, was ist“ war dieser sensationelle Roman eines 88-Jährigen, der erste nach 34 Jahren Pause, und zugleich so durchdringend leise wie alles von Salter, und plötzlich böse auch: Trennungen, Demütigungen, und da gibt es die schreckliche Geschichte mit Christine und ihrer Tochter Anet, aber davon reden wir besser nicht vor Christine, die gerade so schön mit Anet spricht, den Körper von Philip weggewandt. Ja, die Lebens- und Liebeskatastrophen, die den Leser kaum weniger treffen als die Figuren, die zählen jetzt nicht, der Himmel ist heute so hell über den Hamptons.
Sie sind schon eine merkwürdige Patchworkfamilie dort am Tisch, alles löst sich und fügt sich anders zusammen, da sind Wells und Baum und Dena und Beatrice, all diese Ostküstenleute, die den Fehler machen, sich nur einen der drei Märchenwünsche zu wünschen, und dann erfüllt er sich nicht. James Salter hat sie sich alle herbeigewünscht, als allwissender Erzähler, der nur selten ins verräterische Ich wechselt, Zeuge, der für den Augenblick eines Nebensatzes vor den Vorhang tritt. So ist der Dichterdichter Salter aus dem Schatten von Richard Ford, Philip Roth und John Updike herausgewachsen, mit nur sechs Romanen, zwei Erzählbänden und einem Erinnerungsbuch, und nun der unübersehbare Kopf an der Tafel.
Traum vom Sex im nächstbesten Hotel
Und am anderen Ende? Noch ein Phillip, er ist gerade zurück aus Frankreich. Anders als in „Ein Spiel und ein Zeitvertreib“ hat er sein französisches Mädchen Annie mitgebracht, aber wie im Buch träumen sie von nichts anderem als von Sex im nächstbesten Hotel. „A Sport and a Pastime“ ist Salters einziger Roman, den ein Ich im Präsens schreibt, und deshalb sind Phillip und Annie jung wie immer. Phillip sieht ein bisschen aus wie Salter, als er die Militärkarriere und die Ehe und überhaupt alles aufgab, um Schriftsteller zu werden, und an seiner Seite sitzt sein kaum älterer Ich-Freund, der den Blick von dem Paar wie immer nicht abwenden kann. Er weiß, am Ende zählt nur das Aufgeschriebene, und für die Geschichte über diese Geburtstagsfeier weiß er schon den ersten Satz.
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