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Jäger und Sammler. Der Schriftsteller James Salter.
© Stan Honda/Berlin Verlag

Interview James Salter: Den Anderen kennst du nie

Mit „Alles, was ist“ legt der Amerikaner James Salter nach 34 Jahren einen neuen Roman vor. Ein Gespräch über Männlichkeit, Zweisamkeit und texanisches Elfenbein.

Ein Sommertag auf Long Island. Von James Salters Veranda aus hört man die Grillen und die Autos der Schönen und Reichen, die in der Umgebung ihre McMansions besitzen. Salter wohnt in einem kleinen Holzhaus mit einer großen offenen Küche und wenigen Zimmern. Salter und seine zweite Frau Kay Eldredge verbringen hier seit über dreißig Jahren die Sommer. In Aspen, Colorado, überwintern sie. Salter holt sich einen Cranberrysaft.

Mr. Salter, der Protagonist Ihres neuen Romans „Alles, was ist“ teilt mit Ihnen die Erfahrung des Krieges. Philip Bowman erlebt den Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier im Südpazifik, wo Sie im Koreakrieg als Kampfpilot waren.

Er macht nicht viel Aufhebens davon, aber als man ihn später fragt, was ihn in seinem Leben am meisten geprägt hat, antwortet er: der Krieg. Meine Antwort wäre vermutlich dieselbe. Ein Krieg ist wie ein eiserner Spieß, den man nie wieder herauskriegt. Er beeinflusst alles, was danach kommt, alle Beziehungen, alle Entscheidungen. Selbst wenn die Erinnerungen daran langsam verblassen.

Sie besuchten auf Wunsch Ihres Vaters statt der Stanford University einst die berüchtigte Militärakademie West Point.

Ich trug von meinem 17. bis zu meinem 32. Lebensjahr Uniform, ich habe die wichtigsten Jahre meines Lebens im Militär verbracht. Da ist es wenig überraschend, dass mein Gesuch um Entlassung emotional die bis dahin schwierigste Handlung meines Lebens war.

Fiel Ihnen der Abschied vom Militär auch deshalb so schwer, weil Sie wussten, dass Sie in der Welt der Literatur wieder bei null würden anfangen müssen?

Gewiss auch. Ich kannte keine anderen Schriftsteller. Ich kannte niemanden in New York. Ich fühlte mich verloren in der Menge, als wäre ich mir selber abhanden gekommen. Das änderte sich erst, als ich George Plimpton kennenlernte.

Den legendären Mitbegründer der Literaturzeitschrift „Paris Review“.

Plimpton hatte eine meiner Geschichten in die „Paris Review“ aufgenommen und veröffentlichte darauf meinen Roman „Ein Spiel und ein Zeitvertrieb“. Er lud mich zu seinen Partys ein, von denen es eine Menge gab. Um ihn herum ging es sehr demokratisch zu. Dabei versuchten sich natürlich alle gegenseitig einzuschätzen. Dennoch war ich willkommen und hatte den Eindruck, Fuß zu fassen.

„Alles, was bleibt“ gehört zu dem Teil Ihres Werkes, das sich mit Ehen, Affären und bürgerlichen Glücksversprechen befasst. Daneben gibt es die zwei Fliegerromane, mit denen Sie debütierten, und das Bergsteigerdrama „In der Wand“. Heldentum und Häuslichkeit: Wie verträgt sich das?

Die meisten Kampfflieger sind verheiratet. Im Übrigen stört mich das Wort Heldentum. Dabei denke ich an lorbeerbekränzte Griechen. Was ich bewundere, sind Entschlossenheit, Mut, Ausdauer. Das sind die Eigenschaften eines Marathonläufers, die menschlichen Kardinaltugenden schlechthin. Die kommen auch im bürgerlichen Leben zum Tragen – im „Leben, das anzustreben wir alle übereingekommen sind“...

Sie zitieren den ironischen letzten Satz von „Ein Spiel und ein Zeitvertrieb“.

Ich habe Männer-Romane geschrieben, keine Frage. Romane, in denen es um den Konflikt zwischen dem männlichen Selbstverständnis und der Wahrnehmung von außen geht. Aber in keinem meiner anderen Romane präsentiere ich ein Bild vom guten Vater und Ehemann, der pflichtbewussten Frau und zwei süßen Kindern. Ich bitte Sie, so ist das Leben nicht. Ganz abgesehen davon, dass die Institution der Ehe in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin ziemlich gelitten hat.

Gondeln Ihre Figuren deshalb von einem Ehehafen in den nächsten?

Harmonie als Langzeitprojekt ist eine komplizierte Sache. Dabei habe ich selber eine durchaus romantische Vorstellung von der Ehe. Mit der richtigen Person kann sie ein Segen sein. Aber wenn junge Menschen heiraten, dann vor allem aus einem unmittelbaren Bedürfnis heraus, und das ist fleischlicher Natur. Das „Bis dass der Tod euch scheidet“ nimmt vor dem Altar niemand wirklich ernst. Die wenigsten denken dabei auch nur an die nächsten fünf Jahre. Hinzu kommt, dass man einen anderen Menschen nie wirklich kennt, bis es, vielleicht, zu spät ist.

Warum Männer Affären suchen

Sie haben aus Ihren Affären nie ein Geheimnis gemacht, wie Ihre Memoiren „Verbrannte Tage“ zeigen. Ist das ein empfehlenswertes Rezept?

Ich habe mir damit in meiner ersten Ehe jede Menge Ärger eingehandelt. Das war nicht anders zu erwarten. In unserer monogamen Gesellschaft gelten außereheliche Beziehungen als unmoralisch. In Afrika und Asien, in Thailand ist das anders. Sind die Leute deshalb dort unglücklicher als wir hier im Westen? Oder umgekehrt? Im Westen wird Untreue jedenfalls hart bestraft, weil sie unserer Vorstellung von Zweisamkeit widerspricht.

Lassen sich Männer aus anderen Gründen auf Affären ein als Frauen?

Männer erliegen meistens der Versuchung. Frauen tun es, weil sie sich dazu berechtigt fühlen.

So beschreiben Sie es in Ihrem Roman „Lichtjahre“. In „Alles, was ist“ treten die Männer eher wie Jäger und Sammler auf.

Jäger und Sammler (lacht) ... das sind die Männer, über die zu schreiben mich interessiert.

Wie sehr interessieren Sie sich für Ihre Frauenfiguren? In „Alles, was ist“ beschränken Sie sich bei deren Beschreibung hauptsächlich auf das Aussehen, das Vermögen und die Zahl der Scheidungen.

Das stimmt nicht. Die meisten Frauen in „Alles, was ist“ sind nur einmal verheiratet gewesen. Und es ist eine Tatsache, dass Frauen beginnen, sich Sorgen zu machen, wenn sie ihr gutes Aussehen verlieren. Männer mögen sich die Haare färben, wenn sie älter werden. Aber mangelnde Attraktivität stellt für sie kein großes Problem dar, solange sie sich potent genug fühlen.

In „Verbrannte Tage“ schreiben Sie, Europa habe Sie „zum Mann gemacht“. Was meinen Sie damit?

In Europa war alles frisch und offen für mich. Die Kultur, die Architektur, die Geschichte. Besonders die französische Lebensweise empfand ich als befreiend. Nein, befreiend ist nicht das richtige Wort: als bereichernd. Plötzlich lernte ich Dinge kennen und schätzen, von deren Existenz ich bis dahin nicht einmal wusste. Es dauerte zehn Jahre, bis ich zum ersten Mal den Louvre betrat. Aber das war nicht das Entscheidende. Entscheidend waren die Begegnungen mit den Menschen, mit ihrer Art zu leben.

Ein Amerikaner in Europa wollte ich nie sein

Jäger und Sammler. Der Schriftsteller James Salter.
Jäger und Sammler. Der Schriftsteller James Salter.
© Stan Honda/Berlin Verlag

Weshalb sind Sie nie nach Europa gezogen?

Weil ich kein Auslandsamerikaner sein wollte. Ich fühle mich als Amerikaner und will in den USA zu Hause sein. Meine ausgedehnten Aufenthalte in Europa stellten für mich immer eine Art Urlaub von meinen emotionalen und bürgerlichen Pflichten dar. Es ist, als wäre man reich und müsste sich um die Herkunft des Geldes nicht kümmern. Ich genoss die Prinzipienlosigkeit der Italiener, aber ich war froh, nicht für immer unter ihnen leben zu müssen. Ich genoss dieses freie Dasein und konnte mich zugleich darüber erhaben fühlen.

Wie wichtig ist Ihnen Ruhm?

Schriftsteller schreiben, um berühmt zu werden. Um anerkannt und bewundert zu werden. Eine meiner Figuren sagt einmal: „Ruhm ist der einzige Beweis von Größe. Alles andere ist nichts.“ Dem stimme ich natürlich zu.

Schauen Sie den Leuten eigentlich immer als Erstes auf die Zähne? In Ihren Romanen beschreiben Sie stets das Gebiss Ihrer Figuren.

Andere Schriftsteller schreiben über die Farbe der Augen oder über die Form der Nase. Mich interessieren die Zähne.

Weil gute Zähne besonders in den USA ein Statussymbol sind?

Mag sein. Gute Zähne sind aber nicht nur ein Statussymbol. Texaner haben meistens gute Zähne.

Texaner?

Weil da das Trinkwasser reich an Fluor ist. Texanisches Elfenbein nennen wir solche Gebisse. Ja, ich schaue auf die Zähne der Leute. Ihnen zum Beispiel fehlt ein Stück des Vorderzahns.

Das haben Sie bemerkt?

Natürlich.

Und was haben Sie sich dabei gedacht?

Sie hat keine perfekten Zähne. Das macht aber nichts.

Das Gespräch führte Sacha Verna.

James Salter, 1925 in New York geboren, gehört zu den angesehensten US-amerikanischen Autoren unserer Zeit. Kollegen wie Richard Ford und John Irving bewundern ihn für Romane wie „Ein Spiel und ein Zeitvertreib“ (1967) oder das Ehedrama "Lichtjahre" (1975) und rühmen seine glasklare, zuweilen an Hemingway erinnernde Prosa. Salter selbst nennt Thomas Wolfe und André Gide als Vorbilder. Bis er sich mit 32 Jahren als Schriftsteller selbstständig machte, war Salter Militärpilot. Neben seinen Romanen schrieb er Drehbücher, darunter das für den Film „Schussfahrt“ (1969) mit Robert Redford in der Hauptrolle. Nach seinem Abschied von Hollywood hat Salter seine Memoiren „Verbrannte Tage“ (1997) und Kurzgeschichten veröffentlicht. Sein Roman "Alles, was ist" (aus dem Amerikanischen von Beatrice Howeg) ist im Berlin Verlag erschienen (384 Seiten. 22,99 €).

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