Streit um die Volksbühne: Der Hausgeist geht um
Die Revolution muss warten: Die „neue Volksbühnenbewegung“ unter der Leitung von Guillaume Paoli und Jürgen Kuttner veranstaltet einen "wahren" Abend.
Wow, was für eine Pleite: Man kommt, um die Revolution zu erleben. Und dann reden alle nur über die Sozialdemokratie! Aber der Reihe nach. Im Roten Salon der Volksbühne sind sehr viele Menschen versammelt, um den Philosophen Guillaume Paoli und den Theatermacher Jürgen Kuttner zu sehen. Was an deren Sexappeal liegt, klar. Und daran, dass Paoli ein aufrührerisches Anti-Dercon-Manifest verfasst hat, das zur Gründung einer „neuen Volksbühnenbewegung“ aufruft. Und dass Kuttner in einem lustigen Interview noch mal kräftig gegen den designierten Intendanten ausgeteilt hat. Dercon, so Kuttners schönste Anekdote, habe auf einer Mitarbeiterversammlung behauptet, er hätte ganz viele Inszenierungen von René Pollesch auf Youtube gesehen. Die existieren dort aber nur als Zwei-Minuten-Trailer.
Die Zeichen im Roten Salon stehen auf Dercon-Bashing und Widerstands-Beschwörung. Schließlich hat Paoli in seinem Separatisten-Pamphlet versprochen, dass die neue Bewegung – sollte der gefürchtete Kurator wirklich am Rosa-Luxemburg-Platz einziehen – unter dem Namen „Die wahre Volksbühne“ Abende in eigener Regie veranstalten werde. Die sollen überall in der Stadt „den Hausgeist weiter geistern lassen“. Kuttner spöttelt mit Blick ins Rund schon von einem „Vertriebenentreffen“. Schade, dass Castorf & Co dem ferngeblieben sind. Hätte vielleicht für konterrevolutionären Glamour gesorgt.
Es gibt brennende Fragen - doch zuvor: das Pflichtprogramm
Wer also macht mit bei der „wahren Volksbühne“? Welche „sympathisierenden Orte“ werden dem Geist ihre Türen öffnen? Werden die einst von Bert Neumann für die „Rollende Roadshow“ gebauten Wagen ausgemottet? Inszeniert Pollesch bald an der Vagantenbühne?
Brennende Fragen. Aber erst kommt das Pflichtprogramm. Der offizielle Titel dieses lange angesetzten, von der Aktualität eingeholten Abends lautet nämlich: „Die letzten Tage der Sozialdemokratie“. Ein Fanal, das Kulturstaatssekretär Tim Renner momentan ja auf ganz eigene Weise interpretiert, indem er in die Koalitionsverhandlungen seltsame Textnachrichten an den Noch-Partner CDU platzen lässt, die dann an die Öffentlichkeit gelangen: „Mit den Linken werde ich wenig zu lachen haben. Dass ich ihren Sockelheiligen F. Castorf nicht verlängert habe, werden die mir nie verzeihen.“
Nun ist vor allem Kuttner ein geschichtsbewusster Mensch, der sich nicht länger in der Gegenwart aufhält als nötig. Statt über Renner referiert er lieber über die Kriegskredite, die von der SPD 1914 mitgetragen wurden. Und über die Agenda 2010, die geradewegs zum AfD-Erfolg geführt hat. Freilich hängt alles mit allem zusammen. Und natürlich ist es ein interessantes Bild, wenn Paoli die SPD mit einer männlichen Gottesanbeterin vergleicht, die nach dem Geschlechtsakt gefressen wird: „Sie kopuliert mit dem Kapital, mit dem Neoliberalismus.“
Was war noch mal das Thema? Ach ja, die neue Volksbühnenbewegung. Die gibt es noch nicht. Vielleicht bleibt sie auch eine Idee. Viele Skeptiker, Witzbolde und Klugschwätzer melden sich in so einer Art Diskussion noch zu Wort, bis alle Bier trinken gehen. Ziemlich sozialdemokratisch, dieser Abend.
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