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Leidenschaftliche Sammler. Ulla und Heiner Pietzsch.
© dpa

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz kämpft um Mäzene: Der Hang nach Canossa

Die Neue Nationalgalerie zeigt 20 Meisterwerke aus der Sammlung Pietzsch – und hofft auf ein Happy End mit Neubau.

„Es ist nicht notwendig, verrückt zu sein. Aber es hilft.“ Man muss Ulla Pietzsch unbedingt zustimmen. Ihr momentaner Wahlspruch, den die Berliner Sammlerin einem Buch von André Breton verdankt und den sie zur Eröffnung der nun wirklich letzten Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie vor der langen Renovierungspause preisgab, packt das Elend der Stunde in ein poetisches Bild. Ein bisschen verrückt im Sinne ihrer Vorbilder, der Surrealisten, müssen sie und ihr Mann Heiner Pietzsch schon gewesen sein, als beide vor fünf Jahren ihre großzügige Schenkung an die Neue Nationalgalerie mit einer Bedingung verbanden. Dass nämlich ein maßgeblicher Teil jener 120 Werke von Pablo Picasso, Joan Miró oder René Magritte, die sie zu vergeben haben, ständig sichtbar bleibt.

Eine Vorgabe, so klug wie irrwitzig. Pietzsch kennt als langjähriges Mitglied der Freunde der Nationalgalerie die Platznöte der Institution nur zu genau. Die Schenkung mit einem Vorhaben zu verknüpfen, das seit über dreißig Jahren auf seine Realisierung wartet, und dadurch neue Impulse zu setzen, war jedoch nicht bloß ein strategischer Gedanke. Das Sammlerpaar aus Leidenschaft treibt außerdem die pure Angst, ihre hochkarätigen Werke könnten dankend angenommen werden und anschließend im Depot verstauben. Um welche Schätze es sich dabei handelt, war bereits in der großartigen Ausstellung „Bilderträume“ am selben Ort zu sehen. Eine Schau, die 2009 fast 200 000 Besucher anzog.

Das vergaß auch Hermann Parzinger als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht zu erwähnen, der die aktuelle Präsentation „20 Werke für das 20. Jahrhundert. Sammlung Pietzsch“ eröffnete. Ein Häppchen im Vergleich zu den damaligen „Bilderträumen“ – mit Spitzenkunst. Darunter ein ungewöhnlicher figurativer Ikarus von Jackson Pollock aus den Fünfzigern, ein Selbstbildnis von Frida Kahlo, Max Ernsts „Junger Mann ...“ und sein spektakuläres „Gemälde für junge Leute“ von 1943, in dem sich sein künstlerisches Schaffen zur vielteiligen Landschaft verdichtet. Doch auch diese kleine Auswahl erinnert eindringlich daran, welcher Verlust Berlin bei einem Rückzug der Schenkung droht. Denn die Sammler verlieren nicht erst seit gestern die Geduld.

Dass sie sich an die Zusage bloß noch bis Ende des Jahres gebunden fühlten, hat Heiner Pietzsch jüngst in einem Interview geäußert. Das mag manchem bekannt vorkommen. 2012 hieß es schon einmal, der ehemalige Unternehmer habe der Stiftung ein Ultimatum von einem guten halben Jahr gestellt. Bis dahin wolle er eine verbindliche Auskunft über die Möglichkeiten der künftigen Präsentation. Andernfalls werde er vielleicht die Schenkung revidieren. Später hat das Ehepaar noch einige Male seinen Unmut öffentlich gemacht, ohne jedoch Konsequenzen zu ziehen. Und so vielleicht den Eindruck erweckt, der inzwischen 84-jährige Unternehmer sei mit unendlicher Nachsicht gesegnet.

Es folgten: eine Vergleichsstudie zur Standortfrage und die Empfehlung der Stiftung, das Gebäude am Potsdamer Platz durch einen Erweiterungsbau für geschätzte 170 Millionen Euro zu ergänzen. Danach herrschte Stille – bis zum Plädoyer von Kulturstaatsministerin Monika Grütters im vergangenen August, die ein solitäres Gebäude gleich neben der Neuen Nationalgalerie bevorzugt. Plötzlich zog auch Parzinger nach und trug vor wenigen Tagen die Idee eines privaten Investors in die Öffentlichkeit, der das Gebäude errichten und an die Staatlichen Museen vermieten könne (Tagesspiegel vom 16.10.). Und nun eröffnet eine Ausstellung, die im Kalender der Stiftung denkbar kurzfristig ihren Platz gefunden hat und wie ein Gang nach Canossa wirkt.

All dies legt nahe, dass Ulla und Heiner Pietzsch den Druck verstärken. Vielleicht sogar mit der Ankündigung, die Sammlung in der eigenen Villa zu lassen. Oder, noch schlimmer, nach Dresden zu geben. Pietzsch stammt schließlich aus der barocken Museumsstadt, eine Verbindung ist gegeben und Dresden ernsthafte Konkurrenz. Weshalb sonst hat Parzinger in seiner Eröffnungsrede derart auffallend betont, es handle sich hier um „eine Privatsammlung von nationaler Bedeutung, die in eine Nationalgalerie gehört“? Gleichzeitig verwies er auf Werke aus dem Sammlungsbestand, die parallel zum Pietzsch-Kabinett ausgestellt sind: „Da sieht man, wie zusammenfindet, was zusammengehört.“

Auch die stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen, Christina Haak, und Udo Kittelmann als Direktor der Nationalgalerie übertrafen sich bei der Lobpreisung einer „außerordentlichen, wunderbaren Sammlung“, deren zwanzig nun auf Zeit zugängliche Exponate einen „Eindruck von dem großen, großen Schatz“ vermitteln, der da schlummert. Und natürlich wunderbar zum Kulturschatz des Hauses passe. Weshalb „das alles hier unbedingt zusammenkommen soll“, folgerte Kittelmann und beendete seine Rede mit einem Appell: „Ich bin überzeugt, dass Ulla und Heiner an diesem Traum festhalten werden.“

Tatsächlich lenkte Ulla Pietzsch als letzte Rednerin auf dem Podium vorläufig ein: „Mein Mann und ich, wir träumen weiter von dem großen Museum für die Kunst des 20. Jahrunderts.“ Das müssen sie auch, denn Parzinger beschwor noch einmal seinen „Glauben in die Politik“: „Ich denke, wir können uns auf etwas freuen, das dann auch realisiert wird. Wie, das wird man dann sehen, aber ich denke, wir werden dazu zu gegebener Zeit Näheres hören.“ Das klingt dann doch wieder nach dem surrealen Bildertraum, mit dem die Geschichte begann.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 31. Dezember.

Christiane Meixner

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