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Lizenz zum Fliegen. Tom Cruise, natürlich mit Sonnenbrille, verteidigt wie schon in seinem Erfolgsfilm „Top Gun“ die Freiheit Amerikas aus der Luft.
© Paramount

Tom Cruise in "Barry Seal – Only in America": Der Gringo, der liefert

Tom Cruise mischt den Drogenkrieg in den Achtzigern auf: die Komödie „Barry Seal – Only in America“.

Ende der siebziger Jahre brauchte Amerika keine Visionen, sondern Pragmatiker. Heute verhält es sich ja interessanterweise genau umgekehrt. Im Weißen Haus sitzt ein selbsterklärter Pragmatiker ohne Vision. Vielleicht liegt in dieser traurigen Wendung auch schon der ganze Witz von Doug Limans neuem Film „Barry Seal – Only in America“, der seine Ambivalenz bereits im Titel ausstellt – im Original „American Made“ auf subtile Weise sogar noch etwas schärfer. Für entsprechenden Zeitkolorit hat Regisseur Liman in den Archiven gestöbert und stieß bei seiner Suche auf wenig erquickliche Zeitzeugenschaft.

Jimmy Carter zum Beispiel, der den Amerikanern wahrlich nicht als Visionär und schon gar nicht als Pragmatiker in Erinnerung geblieben ist, bei seiner berühmten Ansprache zum Präsidentschaftswahlkampf 1977. „Die meisten Amerikaner glauben“, sagt er in den Archivaufnahmen, „dass die kommenden fünf Jahre schlimmer werden als die letzten fünf Jahre.“ Amerika saß der Vietnamkrieg, Watergate und die Ölkrise noch in den Knochen.

Ein neuer Sheriff in der Stadt

Rückblickend war Carter nicht mehr als ein Insolvenzverwalter, der das Leuchtfeuer an den nächsten Fackelträger des amerikanischen Traums übergab. Barry, den der ewig junge Tom Cruise mit seinem unverschämten Gebrauchtwagenverkäufergrinsen als wandelndes Erfolgsversprechen spielt, nennt diesen Heilsbringer den „neuen Sheriff in der Stadt“. Filmischer Einschub: Ronald Reagan, damals noch mit mittelprächtig verheißungsvoller Hollywoodkarriere, erschießt einen Cowboy. Gegenschnitt: Eine Szene aus „Bedtime for Bonzo“, Reagans hochnotpeinliche „Affenkomödie“ von 1951. Der Witz, der moralische wie der zynische, steckt bei Liman meist im Schnitt.

Barry ist ein Mann für Reagan, daran lässt Liman keinen Zweifel. Allerdings hat später auch Bill Clinton (noch so ein böser Seitenhieb) seine Dienste bitter nötig. Hollywood entdeckt gerade reihenweise vergessene Aufsteigerbiografien wie die von Barry Seal. Der texanische Kongressabgeordnete Charles Wilson in Mike Nichols „Der Krieg des Charlie Wilson“ lieferte die Blaupause dieser neuen Biopic-Spielart: ein Hinterbänkler des amerikanischen Politbetriebs, der quasi im Alleingang die Mudschaheddin mit Waffen für ihren Freiheitskampf gegen die Russen versorgt. Billy hingegen ist ein Entrepreneur und Con Man, er verkörpert ungehemmtes Unternehmertum in politisch unruhigen Zeiten. Damit steht er den babyspeckigen Waffenhändlern in Todd Phillips’ „War Dogs“ oder Börsenguru Jordan Belfort in „The Wolf of Wall Street“ näher als dem Idealisten Wilson.

Mit Kokain gepudert

Tom Cruise ist in vielerlei Hinsicht eine gute Wahl für Barry Seal, ein Wiedergänger zweier früher Cruise-Rollen aus der Reagan-Ära: dem Teenager Joel Goodsen aus „Lockere Geschäfte“ (1983), der das Eigenheim der Eltern in deren Abwesenheit in einen florierenden Puff verwandelt, und natürlich Maverick aus „Top Gun“, dem stilbildenden Amalgam aus MTV- und US-Air-Force-Ästhetik. Auch Barry ist Pilot, allerdings ein schwer unterforderter, weswegen er das Angebot eines windigen CIA-Mitarbeiters (Domhnall Gleeson) annimmt, im Auftrag der „Agency“ ein lukratives Nebengeschäft zu betreiben.

Wir schreiben das Jahr 1978. Barry soll über politisch schwierigen Regionen in Mittel- und Südamerika Luftaufnahmen machen und nebenbei Botendienste übernehmen, bei denen er Kontakte mit einem gewissen Colonel Noriega und dem jungen Pablo Escobar knüpft. Und weil sein Privatjet auf dem Rückweg so leer ist, transportiert er für die Medellín-Brüder große Mengen Kokain. Bald ist Barry auf dem gesamten Subkontinent bekannt als „der Gringo, der immer liefert“ – ein Motto, das auch auf den späten Cruise zutrifft, für den dieses Comedy-Vehikel im dramatischen Retro-Look wie auf den Leib geschrieben ist. Einmal crasht Barry auf der Flucht vor der Grenzpolizei in einem Wohngebiet. Kokaingepudert setzt er seine Flucht auf dem BMX-Rad eines Nachbarsjungen fort, dem er wortlos eine Tasche mit Geld in die Hand drückt.

Vergiftetes Lob auf Amerika

Geldwert, suggeriert „Barry Seal – Only in America“, wurde in den achtziger Jahren nicht in Dollars, sondern in Kilos bemessen. „Amerika ist das beste Land der Welt“, jubelt Barry, während seine junge, sehr blonde Frau Lucy (Sarah Wright) zwischen den Geldkisten im Kleiderschrank nicht mal mal ein passendes Paar Schuhe findet. Sein „Transportunternehmen“ treibt die Wirtschaft einer ganzen Kleinstadt – Mena, Arkansas – vor sich her. Die örtlichen Banken müssen ihre Tresore ausbauen, wenn Barry mit seinen Geldtaschen am Schalter steht.

„Only in America“ beschreibt das heikle Gleichgewicht zwischen Politik und Unternehmertum, eine Art Halliburton-Märchen. Es ist vielleicht ein Zeichen der Zeit, dass Hollywood diese wahren Geschichten neuerdings als Heist-Komödien inszeniert, mit schnellen Schnitten, in attraktiven Farben (Kameramann ist César Charlone, „City of God“) – und wattiert im gut gelauntem Zynismus, mit dem Barry in alten Videoaufnahmen auf den Irrsinn von Reagans Drogenkrieg zurückblickt. Man könnte diesen entfesselten Kapitalismus natürlich auch in gedeckteren Farben erzählen, ohne Retro-Chic und Achtziger-Jahre-Soundtrack. Aber wahrscheinlich ist dieser überbordende Stilwille auch die einzige Chance, den Irrsinn amerikanischer Politik auf Distanz zu halten.

In 21 Berliner Kinos, OV: Neukölln Arcaden, Cinestar Potsdamer Platz, Rollberg

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