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Der größte Stecher von Wuppertal. Regisseur Jan Henrik Stahlberg geht es als Rocky um mehr als nur um die Wurst.
© Alamode

Im Kino: "Fikkefuchs": Der gerupfte Pfau

Jan Henrik Stahlbergs Filmkomödie „Fikkefuchs“ spielt abgründig mit Rollenbildern in Zeiten von Porno- und Genderdebatten.

Es beginnt in einem Sommer in der Ägäis. Rückblende, die Sonne der Jugend, des Meeres und der Liebe Wellen. Am Ende öffnet sich ein Grab, drei, vier Jahrzehnte später, doch davor noch einmal eine paradiesische Sequenz, die Euphorie vor dem Finale: wieder Griechenland, das Meer und ein aphroditischer Liebestraum. Ein Mann um die Fünfzig und sein Sohn Anfang Zwanzig sind nochmal oder erstmals in den Armen zweier junger Frauen gelandet.

In Jan Henrik Stahlbergs Film „Fikkefuchs“ ist das eine sanfte Beglänzung. Die Utopie nach der Dystopie, der südliche Himmel nach der nordischen Hölle. Schlangenzungen könnten das bisschen Glück beim Sex am Strand – der bewusst kein Postkartenstrand ist – auch eine „Männerfantasie“ nennen. Aber, Männer haben nun mal Fantasien, solche und solche, und Menschen sind sie zudem. Auch manchmal Schweine, arme Schweine.

„Fikkefuchs“, darin die offenbar skandinavische Version des F-Worts, klingt schon irgendwie scharf, spitz und nicht ganz geheuer. Im Frühjahr beim Filmfest in München hat diese Low-Budget-Produktion schon ziemlich Furore gemacht, und jetzt untersagten einzelne Städte die Werbeplakate mit dem im Schoß einer Frauensilhouette (gleich einem schwarzen Teufelchen) lauernden Fuchskopf zu kleben.

Der Film wird zugleich beflügelt vom Ruhm, ohne die Proporz-Konsens-Bedenkenträger-Mittelmaß-Kriterien einer kofinanzierenden Fernsehanstalt entstanden zu sein – und er trägt die Bürde, nun völlig unverhofft in die Weinstein-Folgedebatten zu platzen. Insoweit auch ein Knallfuchs. Und Medienkracher, weil die Vorberichte und ersten Rezensionen zwischen Hymnen auf eine „extremistische Komödie“ und Wutanfällen über eine angebliche Ekelpackung wechseln.

"Muxmäuschenstill" gewann den Max-Ophüls-Preis

Der bald 47-jährige Berliner Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Jan Henrik Stahlberg ist tatsächlich ein besonderes Talent. Schon sein mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichneter früher Film „Muxmäuschenstill“ war eine rabenschwarze Komödie über geheime Law-and-Order-Sehnsüchte und offene Sicherheitsbedürfnisse in der modernen Großstadtgesellschaft. Stahlberg spielte seinen Helden Mux als ebenso dämonischen Hilfssheriff wie banal-alerten Businessman, der im Großstadtdschungel Finanzhaie so gnadenlos jagte wie Rollstuhlfahrer, die bei Rot über die Straße wechseln. Eine Figur – zwischen Kleist’schem Kohlhaas und Tarantinos Django, doch mitten in Berlin.

Jetzt ist Stahlberg alias Richard Ockers, genannt Rocky, ein sonderbarer Neualtberliner. Früher soll er bei Frauen der „größte Stecher von Wuppertal“ gewesen sein. Inzwischen mit ergrauter Zauselfrisur samt lachhafter Glatzentonsur am Hinterkopf, mit entsetzlich karierten Hemden über der Hose, speckiger Lederjacke vom Polenmarkt (wie das mal hieß) ist er: ein Metropolitanspießer. Rocky wird eines Tages heimgesucht von einem jungen Mann namens Thorben, den er meist Torsten nennt, und der sein Sohn sein soll, aus Wuppertal. Thorben, von Franz Rogowski ganz wunderbar als rührend versautes Täteropfer gespielt, wirkt besessen von Frauen. Von Männerbilderfrauen. Ein ewig notgeilger Wichser aus dem Pornoprekariat, der eine Kassiererin bei Rossmann gewalttätig begrapscht, in der Klappse landet, ausbricht, zum ahnungslosen Vater nach Berlin-Friedrichshain flieht und von Papa Rocky das Glück bei den Frauen kennenlernen will. Was der erst ablehnt, dann an der Rockyehre gekitzelt ist, worauf sich eine im Grunde zarte, beinahe melodramatische Vater-Sohn-Geschichte in eine Geisterbahnfahrt durch Kneipen, Discos, Swingerclubs verwandelt, bis hin zur gemeinsamen Teilnahme an einem von einer taffen US-Psychologin (raffiniert: Susanne Bredhöft) ausgerichteten Anmache-Coaching. Für Männer, deren Seelen und Schwänze an Versagensängsten, Minderwertigkeitskomplexen oder Selbstüberschätzung leiden.

Kamerazooms auf weibliche Ausschnitte

Das alles könnte nun prollig, spekulativ oder pädagogisch und genderbewusst gesellschaftskritisch wirken. „Fikkefuchs“ aber ist nur: abgründig. Der Film narrt mit Kamerazooms auf weibliche Ausschnitte, als wär’s eine Machochose, und bricht das Männertümelnde mit nur ein, zwei entgeisterten und zugleich wissenden Frauenblicken. Der gerupfte Pfau ist dann nurmehr ein Popanz, der abblitzt, abdonnert, und selten ist ein alternder Mann so zugleich einfühlsam wie schonungslos dargestellt worden. Rocky hat eben gar nichts vom seigneuralen Glanz der Altherrenkomödien mit letzten jungen Lieben.

Stahlberg verkörpert bei seinen mit dem Drehbuchpartner Wolfram Fleischhauer entwickelten Penis- und Psychomonologen: den salbadernden Schleimer und Hosennässer. Aber das mit straubtrockener Insistenz. Mit einem oft paradoxen, provokativen Witz, ja, sogar einem Hauch idealistischer Romantik. „Fikkefuchs“ wird so zum Wechselbad, in dem selbst das eben noch Eklige voller Schweiß, Sperma und Pisse immer wieder virtuos ins grotesk Komische kippt. So in einer mit der Handkamera durchgefilmten minutenlangen Szene, bei der Rogowskis Thorben mit einer massigen Straßenhure in einem Autofond ins nackte Gemenge und Geknäuel gerät: wohl der erste Fall von Laokoongruppensex.

In elf Berliner Kinos.

Peter von Becker

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